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Meinung, EventTech

7 Weltwunder oder 7 Plagen?

Eine Nachbesprechung des BrandEx Awards 2021

DIE KRAFT hieß das, was wir uns am Abend des 3. März anschauen wollten. DER BrandEx Branchen-Award sollte online verliehen werden. Die Show war mit „Ein Abend unter Freunden“ angekündigt. Wertschätzend, gut gelaunt und positiv klang das.

Über manche Award-Zeremonie wird hinterher mehr berichtet als über die Preisträger. Glamour, große Show, Promi-Auflauf und Branchentreff, ein Fauxpas der Moderation oder ein Preisträger, der den Moment auf der Bühne für wichtige politische Botschaften nutzte. Der BrandEx Award ist nicht so wichtig. Ein paar Unternehmen der Kreativ- und Eventbranche verleihen sich mehr oder weniger gegenseitig ein paar selbstbezahlte Trophäen für das, was sie als „Das Beste“ in der jeweiligen Kategorie ansehen. Faktisch ist es einfach nur „Das Beste“ unter den eingereichten Projekten und das ist ein winziger Bruchteil der in einem Jahr vom sechstgrößten Wirtschaftszweig Deutschlands abgewickelten Events, Kampagnen und Messen.

Eine Million Menschen hält diese Branche nach eigenen Angaben der führenden Verbände in Lohn und Brot. Von denen haben rund 900 eingeschaltet. Das sind halb so viele, wie noch bei Alarmstufe Rot am 28.02.2021 zum 130-Minuten-Live-Talk inkl. aufgezeichnetem Höflichkeitenaustausch mit Finanzminister Olaf Scholz. Was so ein Polit-Promi-Faktor doch ausmacht…

Die knapp zwei Stunden, die ein Teil der Zuschauer wagemutig bis zum bitteren Ende vor dem Bildschirm verbringt, sind eine Bankrotterklärung aller Tugenden und Handwerke der Live-Kommunikation. Zwischenzeitig war ich geneigt, unsere Azubis des Raums zu verweisen, da das Dargebotene für deren Augen kaum geeignet erschien, traten sie ihre Ausbildung doch mit großer Lust auf eine international ausgerichtete, kreative und innovative Branche an. Davon war praktisch nichts zu sehen und zu spüren.

Zu den seit 2019 bekannten Kategorien Architecture / Planning, Craft, Production / Crossmedia / Event gesellte sich dieses Jahr die neue Kategorie Formats. Jury Sprecher Peter Blach, der die Kategorie erfand, erklärt, dass man mit der Kategorie Formats erstmals die Möglichkeit geben wollte, neue Formate vorzustellen. Aha!? Der BrandEx Award hat nun also auch eine Kategorie, in die alles passt, was in keine Kategorie passt. „Messeformate, Festivalformate und Freie Formate“, ergänzt Blach. Es sei ein Alleinstellungsmerkmal des BrandEx. Was in keine Kategorie passt, nennt man in der Musik einfach „Indie“. Indie-Rock, Indie-Pop… Indie-Award. Wäre doch auch was.

Eine Erklärung der Kategorien und der Bewertungskriterien bleiben die Protagonisten schuldig. Aus 101 Einreichungen wurden 38 Gewinner aus 23 Unternehmen gekürt. Interessante Quote. Man zahlt übrigens bei Einreichung und dann nochmal bei Gewinn.

Aus der Sicht eines Konzeptioners, Regisseurs und leidenschaftlichen Unterhalters war der Abend eine Worst-Case-Study und ein Offenbarungseid von Ideenlosigkeit und handwerklichen Schwächen. Wenn das die Vertreter meiner Branche sind, wenn das vor der Öffentlichkeit und unseren Kunden für Branchenansprüche stand, dann möchte ich mich an dieser Stelle klar distanzieren. Eine Auswahl der Pannen soll hier als erster Einblick dienen, eine detaillierte Analyse wird folgen, in mehreren Teilen und mit dem Ziel einer ausführlichen, konstruktiven und zukunftsgewandten Diskussion. Denn wir müssen darüber reden, was da passiert ist.

1. Vorkommunikation, Erwartungshaltung, Community-Interaktion
Zwei verschiedene Hashtags, die Dauer mal mit drei Stunden, dann wieder mit 90 Minuten angegeben, keine klare Info, was passieren wird und warum das für wen relevant ist. Wir dachten, man muss sich bei der Online-Plattform vidivent registrieren, der Stream lief aber wohl auch bei YouTube und Facebook. „Die Kraft“ als Titel in der Vorkommunikation ließ eine Menge erwarten, abgeliefert wurde nichts. Die Community wurde gar nicht erst effektiv aktiviert, weshalb es auch keine wirkliche Interaktion im Vorfeld gab. Vom BrandEx Award 2021 hat leider kaum jemand etwas mitbekommen.

2. Studio und Kamera
Im Spreespeicher Studio Berlin erwartete uns ein Requisitenwirrwarr nicht ohne Schauwert aber ohne Konzept. „Ein Abend unter Freunden“ als Motto der Award-Show oder „Die Kraft“ aus der Vorkommunikation – Warum war das eigentlich unterschiedlich? – hätten jeweils fantastische Möglichkeiten für Deko geboten. Per Green Screen hätte man sich in die prämierten Projekte stellen können. Stattdessen kein Kamerakran, keine Steady-Cam, viele Rücken im Bild und wenig Dynamik in der Bildgestaltung. Eine lieblose Keyboard-Ecke für den unterbeschäftigten Axel von Hagen und über ihm den Lichtaufbau spiegelnde Bilderrahmen.

3. Licht und Ton
Die Größe des kleinen Studios, die Nähe zur Regie wurden nicht nur im wenig glamourösen Einlauf von Moderator Aljoscha Höhn und FAMAB Geschäftsführer Jan Kalbfleisch deutlich, sondern auch in ständig auf der Tonschiene präsenten Regiegesprächen und Hintergrundgeräuschen. Zahlreiche Tonpannen führten zu peinlichen Momenten und die Schalten machten es auch nicht besser. Wir haben viele gesehen, die wir gern gehört hätten und viel gehört, was wir nicht einmal sehen wollten. Dass man Gesprächspartner gleich mehrmals in einen beim Einleuchten vollkommen unterbelichtet gebliebenen Sessel setzt, kann man auch nicht mit der Ausrede „Das ist Kunst“ retten, das muss dann eher weg.

4. Online, Interaktion, Schalten
Aus Köln waren die Konzeptioner Kai Janssen und Simon Stahl zugeschaltet, im Studio vertrieben sich Anja Osswald und Vera Viehöfer die Zeit in der Küche. Es wirkte fast so, als ob niemand hinterfragt hätte, dass die beiden Frauen in der Show selbstverständlich die ganze Zeit in der Küche stehen. Beide Duos sorgten für peinliche Witzchen aus einer zum Glück vergangenen Ära billigster TV-Unterhaltung. Unter anderem versuchten sie, Jan Kalbfleischs getragene Wollmütze zugunsten von Alarmstufe Rot zu versteigern, was schlecht eingeleitet und umgesetzt zu trauriger Häme verkam. Dazwischen Aljoscha Höhn, der eigenen Aussage nach, weil er deutlich billiger als Barbara Schöneberger ist. Na, dann…

5. Einspieler
Wenige der eingespielten Filme sah und hörte man von Anfang bis Ende, irgendetwas fehlte meist. Hinzu gesellten sich handwerklich traurige Continuity-Fehler, denn wenn man die Reise eines riesigen Pakets durch Berlin während einer Abendshow als live verkaufen will, muss man das Material dazu auch am Abend drehen. Bedauerlich war vor allem, dass die durchaus interessant klingenden Siegerprojekte durch schnell wegmoderierte Mini-Filme inhaltlich kaum zur Geltung kamen. In den durchgehechelten Fotos der prämierten Einreichungen waren Bauchbinden uneinheitlich und man bekam kaum mit, wer jetzt eigentlich für was einen Award bekommen hatte.

6. Inszenierung und Content
Wenn eine Award-Show mit schlecht haftenden Herzchen-Tattoos des Moderatorentraumpaars beginnt und endet, muss man sich wirklich fragen, ob es denn gar nicht mehr zu erzählen gab. Hat 2020 wirklich keine besseren Storylines geliefert, insbesondere in unserer Branche? Was hätte man nicht alles passend zu den alternierenden Mottos „Die Kraft“ und „Ein Abend unter Freunden“ erzählen können, das mehr Gehalt gehabt hätte, als kichernd entblößte Unterarmaufkleber. Osswald tat live so, als würde die Social Wall funktionieren, was nicht der Fall war. Viehöfer hat mal beim ESC-Vorentscheid mit roter Tolle gesungen. Georg Broich kann Pizza in Sekunden von Düsseldorf nach Berlin liefern. Und Sabine Loos von den Westfallenhallen macht ihren eigenen Anspruch deutlich: „Super, habt ihr klasse gemacht.“ Ich schreibe für diese Lieblosigkeit, Ideenlosigkeit und Plattitüde eine 6 ins Muttiheft.

7. Gewinner und Verlierer
Verloren haben vor allem die Veranstalter und Beteiligten, was sehr bedauerlich ist, denn man muss ihnen ja unterstellen, das nicht geplant zu haben. Wenn Kunden im Chat kommentieren, dass sie alle Beteiligten der Veranstaltung jetzt offiziell auf die Blacklist gesetzt haben, dann tut das wirklich weh. Warum genau die FRESH-Kategorie für den Nachwuchs weggefallen ist, wurde nicht erklärt. Zahlreiche Gewinner kamen kaum zu Wort, entweder wegen Technikpannen oder weil zu viel Zeit für dusselige Comedy-Versuche unter den Freunden im Studio drauf ging. An die Wirkung, die das auf Außenstehende und Kunden hat, dachte offenbar niemand. Detlef Wintzen von insglück ist als Tagessieger live im Studio, gestaltet einen Schleichwerbe-Battle um das beste Berliner Eis mit Aljoscha Höhn und steht als erster im Abspann bei den Unterstützern des Awards.

Richtig hart ist es, wenn eine Award-Zeremonie nicht einmal mehr tolle Verrisse kassiert. Quer durchs Land haben erfahrene Branchengrößen und Kritiker dem BrandEx Award kaum mehr als einige Absätze gewidmet. Diese Gleichgültigkeit ist die heftigste Ohrfeige für die Veranstalter.

Hey, Branche, wir müssen reden! Oder wie einst Tony Mono, der Comedy-Starproduzent bei 1LIVE, zu sagen pflegte: „Daaaaas geht besser!“ Weil das hier keine Comedy ist, weil es uns alle angeht, weil es unsere Zukunft als Branche ist, lasst uns sprechen. Wir freuen uns auf eure konstruktiv-kritischen Stimmen bei den nächsten Schritten. Stay tuned!


Tobias Weber ist Geschäftsführender Gesellschafter bei der format:c live communication GmbH und ein Teil der Live Streaming-Komplettlösung StreConFlex. Als Regisseur und Creative Director verantwortet er zahlreiche Filmprojekte, Theaterproduktionen und Corporate Events für Weltmarken. Seine Erfahrungen umfassen außerdem crossmediale Konzepte, TV-Produktionen, Road-Shows und Kampagnen sowie Online-Events.


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Bildquelle: format:c live communication GmbH

Autor: Gastautor: Tobias Weber | format:c live communication GmbH

Veröffentlicht am: 12.03.2021


Verfasse einen Kommentar

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Markus Wilmsmann,
mothergrid
17. März, 09:43 Uhr

Diese Mängel sind m.M.n. nicht darauf zurückzuführen, dass es sich um eine Online-Veranstaltung gehandelt hat, dass also das "technische Neuland" die Ursache ist. Wieso werden Online-Events noch nicht ernst genug genommen in der Umsetzung und nicht mit derselben Sorgfalt geplant und durchgeführt?

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Waltraud Jung,
Atlantik Network GmbH & Co. KG
17. März, 07:39 Uhr

Sehr treffend formulierter Artikel, den ich in allen Punkten bestätigen kann. Was mich dabei am meisten ärgert ist, dass es die Kunden bestätigt, die digitalen Formaten noch wenig aufgeschlossen gegenüberstehen. Wenn es nicht einmal die Profis der Eventbranche schaffen, eine Online Award Verleihung gut zu konzipieren und technisch einwandfrei umzusetzen, dann trägt es nicht dazu bei diese Unsicherheiten zu nehmen. Hier ist viel Potential verloren gegangen. Es gibt so viele tolle digitale Eventformate, die hervorragend umgesetzt wurden. Schade, dass man das an dieser Stelle nicht gezeigt hat.

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