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Themensammlung - Change-Kommunikation

Das glückliche Unternehmen

Vertrauenskultur am skandinavischen Beispiel

Bildung, Design, Work-Life-Balance und wirtschaftlicher Erfolg: Die skandinavischen Länder sind quasi das Ass im Ärmel, wenn es um „proven success“, um Leuchtturmprojekte und Vorbilder geht. Gerade die skandinavische Arbeitskultur, ihre Art, Geschäfte zu machen, unterscheidet sich fundamental vom Rest der Welt. Das Schlüsselwort: Vertrauen. Keine Plattitüde. Sondern Kulturprinzip.

„Wir arbeiten vertrauensvoll und auf Augenhöhe zusammen, kommunizieren transparent und gelebte Wertschätzung ist bei uns mehr als nur ein Wort“ – so oder so ähnlich lesen sich hierzulande fast schon abziehbildgleich die Imagebroschüren großer wie kleiner Unternehmen. Vertrauen scheint ein fester Kulturbestandteil deutscher Unternehmen zu sein. Unternehmenskultur ist allerdings nicht das, was man sagt, sondern das, was man tut. Andernfalls ist Lean Management das Papier nicht wert, auf dem seine Parameter gedruckt sind.

Eine Frage der Einstellung

Skandinavische Unternehmen sind ihr Wert. Ihre Vision. Werte und Visionen sind dafür da, die Vorstellungen der Arbeitnehmer zu spiegeln, die sich voll und ganz mit dem Unternehmen identifizieren. Das geht sogar so weit, „dass Mitarbeiter kündigen, wenn ihre Werte mit denen des Unternehmens nicht mehr deckungsgleich sind“, sagt beispielsweise Glücksforscherin Maike van den Boom. Ein Grund, weshalb ein skandinavischer Manager seine Leute einfach „loslassen“ kann. „Denn sie wissen, wonach sie gemeinsam streben.“

„Great leaders are willing to sacrifice the numbers to save the people. Poor leaders sacrifice the people to save the numbers.“ (Simon Sinek)

So ist es in skandinavischen Unternehmen auch völlig unüblich, dass Mitarbeiter von Vorgesetzten kontrolliert werden. Kontrolle verschwendet Ressourcen, ist kontraproduktiv, schürt Misstrauen und führt zu Missgunst, so Pleo-Deutschlandchefin Marie Moesgaard. Kurzum: Manager geben in Skandinavien nicht den Ton an. Ihre Aufgabe ist es, den Mitarbeitern den Weg frei zu machen.

Nichts, was sich am Reißbrett planen und linear durchtakten lässt – Unternehmenskultur ist ein sozialer Prozess, der sich aus der Interaktion sämtlicher und damit verschiedener Akteure, aus den Wechselwirkungen zwischen Beziehungen und System ergibt. Ganz im Sinne der Systemtheorie von Niklas Luhmann sind Führungskräfte auch immer nur Akteure, die Impulse in das System geben können. Das zeigt sich in skandinavischen Unternehmen übrigens auch in flachen Hierarchien und einem geringeren Gehaltsgefälle. Kompetenz statt Profilierung. Echte Teamarbeit und ein tiefes Gefühl der Zusammengehörigkeit sind der schwedischen Kultur quasi immanent. Jeder soll sich einbringen. Jeder soll mithören. Sich einmischen. Fehler machen. Deshalb sind geschlossene Türen, Menschen, die sich in Meetingräumen verschanzen, verpönt. Denn: „Der Zufall liegt in der Luft“, wie eine skandinavische Philosophie besagt. Jede Meinung ist gefragt, es gibt kein reines Expertentum.

Eine Frage der Haltung

Dieser Haltung liegt das anthropologisch begründete „grundsätzliche soziale Vertrauen“ des Menschen zu Grunde. Tatsächlich ist Vertrauen in Skandinavien kulturell bedingt fester Bestandteil der Gesellschaft und damit auch der Unternehmens-DNA. Man vertraut „aus Prinzip“. Und nicht, weil es ein Konzeptpapier so vorsieht. Beispiel Schweden: Hier herrscht Menschen gegenüber eine völlig andere Grundeinstellung als bei den Deutschen. 90 Prozent gehen davon aus, dass man seinen Mitmenschen blind vertrauen kann. Jeder Mensch ist von Natur aus gut, ehrlich und möchte sein Bestes geben – so das skandinavische Mindset. Dieser Vertrauensvorschuss ist für Unternehmenslenker, für Organigramm-Hüter und Jobtitel-Inflationäre jenseits des europäischen Nordens noch immer gewöhnungsbedürftig. Dabei beweisen rund um den Globus immer mehr moderne Unternehmen, so Moesgaard, dass eine vertrauensbasierte Unternehmenskultur nicht nur das Wohlbefinden des Teams verbessert, sondern auch Umsatz und Gewinn steigert.

Vertrauen macht glücklich – und erfolgreich

Norweger, Dänen, Schweden und Finnen: laut „World Happiness Report“ sind diese Nationen mit die glücklichsten der Welt. Das zeigt sich auch in der Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Dabei wiegt, wie Maike van den Boom in zahlreichen Interviews mit unseren skandinavischen Nachbarn herausgefunden hat, die Vertrauenskultur besonders schwer. Neuroökonom Paul Zak hat das Ganze mit seinem Artikel „The Neuroscience of Trust“ in der Harvard Business Review in Zahlen gefasst, wonach 60 Prozent der Unternehmensmitglieder in einer vertrauensbasierten Kultur zufriedener mit ihrer Arbeit sind als in einem Unternehmen, in dem wenig Vertrauen herrscht. 70 Prozent identifizieren sich stärker mit dem Unternehmenszweck und 66 Prozent fühlen sich mit ihren Kollegen enger verbunden. Auch spannend: Burn-out-Fälle sind um 40 Prozent geringer und jeder Einzelne verdient im Jahr durchschnittlich 6.450 US-Dollar mehr.

„Unternehmen mit sehr großem Vertrauen übergeben Menschen Verantwortung, allerdings ohne diese zu mikromanagen. Sie behandeln Mitmenschen wie verantwortungsbewusste Erwachsene.“ (Paul Zak)

Kein Wunder, dass unter dem Stichwort „New Work“ immer mehr Firmen eine Kultur implementieren wollen, die in Skandinavien längst etabliert ist. Warum? Geht es nach Marie Moesgaard, hat das zwei Gründe:

  1. Die zunehmende Digitalisierung geht mit dezentralisierten Entscheidungen und Verantwortlichkeiten einher. Beides kann sich jedoch nur auf Basis gegenseitigen Vertrauens entfalten.
  2. Menschen sind Menschen, weshalb sie auch als Menschen behandelt werden sollten. Um sich wirklich entfalten, innovativ sein und Leistungen erbringen zu können, ist Vertrauen fundamental. Kontraproduktiv hingegen ist das in vielen Unternehmen forcierte kompetitive Arbeitsklima. In einer Kultur, in der sich jeder gegen Kollegen und Führungskräfte absichern, seinen Wert herausstellen muss, bleibt keine Zeit für Innovation. Vertrauen hingegen fördert auch die Risikofreude am Experimentieren, das für eine Weiterentwicklung essenziell ist.

Doch ganz gleich, ob es um flexible Arbeitszeiten, Eigenverantwortung, Fehlerkultur oder den rationalen Diskurs über alle Hierarchieebenen hinweg geht – ohne einen immensen Vertrauensvorschuss, sagt Marie Moesgaard, ist nichts davon möglich. Netflix hat das verstanden und gilt als Extrembeispiel vertrauensbasierter Unternehmenskultur. Urlaub, Geschäftsreise, Spesenabrechnung oder Arbeitszeit – es gibt nur eine Policy: „Nutzt euer Urteilsvermögen bestmöglich.“ Unternehmenskultur, so Netflix-Mitbegründer Marc Randolph, gehöre in kein Konzeptpapier, sondern entstehe dadurch, wie Menschen miteinander umgehen und durch ihre Erwartungen aneinander.

Fazit: Die Prinzipien skandinavischer Vertrauenskultur

  • Flexibel arbeiten: immer wieder mal im Home Office zu arbeiten ist üblich.
  • Familie vor Arbeit: Home Office, Wochenende, Feierabend – jeder vertraut dem anderen, dass er seine Arbeit irgendwie und irgendwo erledigt. Die Arbeit folgt wo möglich dem Menschen, nicht umgekehrt. Da düst man ohne schlechtes Gewissen durchaus schonmal um 14 Uhr zum Fußballturnier der Kinder.
  • Identifikation und Sinn: Werte und Visionen spiegeln in hohem Maß die Vorstellungen von Arbeitnehmern wider, man muss sich mit Zielen und Motiven identifizieren können. Skandinavier fragen bei ihrem Tun stets nach dem Sinn und gleichen diesen mit ihren Werten ab. Schon Kinder lernen, alles zu hinterfragen und Autoritäten nicht einfach zu akzeptieren.
  • Mehr Team, weniger Neid: Teamarbeit ist Usus, es gibt keine Konkurrenz, keine Hintergedanken. Auch weil die Schere zwischen einzelnen Positionen nicht so groß ist. Neid ist eher unbekannt, dazu tragen ein geringes Gehalts- und Hierarchiegefälle bei, aber auch die Einstellung, dass jeder so einzigartig sein sollte wie möglich. Ist doch gut, wenn jemand etwas besser kann, das macht am Ende alle gemeinsam besser.
  • Fehler und Missgeschicke sind gut: Fehler passieren und sind sogar erwünscht. Daran ist nichts peinlich und muss daher auch nicht verschwiegen werden: Offen werden Fehler diskutiert, was Verbesserung möglich macht. Diese Haltung soll mutiger machen, was schon Kinder in der Schule lernen. Damit kennen Skandinavier keine Schuldzuweisungen, während man in Deutschland immer einen Sündenbock sucht. Schwedische Geschäftsführer beispielsweise suchen die Ursache sogar bei sich selbst: „Wenn du den Fehler machen konntest, haben wir es wahrscheinlich nicht richtig erklärt.“
  • Bescheidenheit statt Geltungsdrang: Es geht um die Substanz, nicht um den Putz. Bescheidenheit ist hohes Gut, eine „Ich bin toll“-Mentalität ist gar nicht nötig, wenn die Idee überzeugt.

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Bildquelle: Background photo created by ijeab - www.freepik.com

Autor: Yvonne Egberink

Veröffentlicht am: 27.08.2020


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