Jetzt MICE Club-Mitglied werden oder 30 Tage kostenfrei testen

Best Practice - Public Event

Rockende Supermärkte

Discounter entdecken Festivals als Marketingplattform

Ein mehrtägiges Rockfestival. Zehntausende junge Menschen „hausen“ hier unter einfachsten Bedingungen, vergnügen sich, sind dabei relativ anspruchslos und wollen ihre Grundbedürfnisse dennoch bestmöglich befriedigt wissen. Sicherlich keine Zielgruppe für teure Designermarken, aber wenn man es sich recht überlegt: durchaus eine dankbare Klientel für Lebensmittel-Discounter.

Lidl war 2014 als erster auf dem „Hurricane“-Festival mit einer eigenen Pop-up-Filiale präsent, ein Jahr später folgten „Rock am Ring“ und „Rock im Park“. Fast verwundert es, dass es derartige Engagements erst seit fünf Jahren gibt, denn die meisten Festivalbesucher wollen selbstredend günstig satt und schnell bedient werden. Schließlich wartet auf der Bühne schon der nächste Act, während sich vor den zahlreichen Fressbuden und Getränkeständen lange Schlangen bilden.

So hat sich auch Aldi erstmalig im Sommer letzten Jahres entschlossen, die Festivalbühne zu betreten: mit einer über 2.100 Quadratmeter großen Filiale auf dem „Deichbrand“ in Cuxhaven. Mehr als 55.000 Besucher waren hier zu Gast, um Künstlern wie Clueso, Die Toten Hosen, The Killers, Casper, Amy MacDonald, Alligatoah und Mando Diao zuzujubeln. Über 200 Mitarbeiter aus dem gesamten Aldi-Nord-Gebiet verkauften hier ausgewählte Produkte, darunter fast 170.000 Getränkedosen, knapp 60.000 frische Brötchen und rund 36 Tonnen Eiswürfel. Gleich 16 Kassen waren in dem zeltähnlichen Bau im Einsatz, um den Festivalbesuchern möglichst kurze Wartezeiten zu garantieren. Insgesamt wurden 78.000 Einkäufe registriert.

Erst Eventmarketing schafft Markenidentifikation

Insgeheim ist das Engagement der Discounter von vielen Festivalbesuchern lang herbeigesehnt worden, vorrangig aus Kosten- und Bequemlichkeitsgründen, versteht sich. Das haben die verantwortlichen Eventagenturen erkannt und damit die Chance ergriffen, aus gesichtslosen Discountern coole Lifestyle-Anbieter zu machen. Das noch junge Engagement der Supermärkte ist von Seiten der Eventplaner geschickt und folgerichtig lanciert worden, vor allem aus zwei Gründen:

1. Der Bedarf ist da, die Zielgruppe steht bereit

Die großen Festivals locken jeweils zehntausende junger Musikfans an und damit eine attraktive Käuferschicht, die im Rahmen einer konzentrierten Aktion bedient werden kann. Hier trifft man auf eine eher weniger kaufkräftige Zielgruppe, die extrem preisbewusst ist und Flexibilität zu schätzen weiß. In Kombination mit speziellen Festival-Apps, bargeldlosen Zahloptionen, gezielten Social-Media-Aktivitäten und einem begleitenden Internetauftritt spricht man bewusst die „Digital Natives“ an und damit die Kundschaft von morgen. Außerdem ist man im Festivalumfeld praktisch konkurrenzlos. Schließlich ist der Platz begrenzt und so dürfte es äußerst unwahrscheinlich sein, dass Aldi, Lidl, Netto und Penny auf ein und derselben Veranstaltung vertreten sind. So teilt man sich den großen Kuchen eben in mundgerechte Stücke auf.

2. Das Markenimage wird mit Leben gefüllt

Kaum eine Supermarktkette vermag es, eine emotionale Bindung zu ihrer Kundschaft herzustellen. Man präferiert in der Regel den nächstgelegenen Discounter, aber empfindet die eine Hausmarke nicht etwa als stylischer als die andere. Eine Markenidentifikation ist so gut wie nicht gegeben, da man hier einfach günstig für den täglichen Bedarf einkauft. Auf einem Rockfestival jedoch können Aldi, Lidl und Co. plötzlich zum „Best Buddy“ einer Zielgruppe werden, die noch jahrzehntelang zur festen Kundschaft zählen kann. Schließlich wird nicht nur eine essenzielle und bislang oft bemängelte Versorgungslücke geschlossen. Man bekennt sich ebenso zum Lifestyle und Musikgeschmack der Festivalbesucher, was positive Emotionen weckt und durchaus auch nachhaltige Kundenbeziehungen schaffen mag.

White Rabbit goes Aldi

„Wir sind überwältigt von den Eindrücken des Festivals und freuen uns über die durchweg positive Resonanz der Festivalbesucher. Wir haben uns über ein Jahr lang auf dieses Ereignis vorbereitet und können nun auf einen großartigen Erfolg zurückblicken“, so Felix Rottmann, Geschäftsführer der Aldi-Regionalgesellschaft Hesel. Verantwortlich für die Konzeption und Umsetzung zeichnet die Eventagentur White Rabbit, deren zielgruppengerechte Ideen schnell Anklang fanden.

An insgesamt vier Tagen hatte „Aldi am Deich“ jeweils bis Mitternacht geöffnet und sich so auch zeitlich dem Festivalprogramm angepasst. Passend dazu wurden die Kunden in der Ansprache natürlich geduzt und die Pop-up-Filiale im Marketing unter anderem als „begehbarer Kühlschrank“ bezeichnet. Ebenso setzte man auf bargeldlose Bezahlmöglichkeiten und brachte dafür eigens eine Guthabenkarte heraus, die bei einem Restguthaben auch nach dem Festival in allen Aldi-Märkten weiterhin Gültigkeit besaß.

Besucher konnten sich selbstverständlich auch online über die Aldi-Präsenz auf dem „Deichbrand“-Festival informieren. Zusätzlich zum Warenangebot und den Öffnungszeiten wurden hier auch generelle Tipps gegeben, besondere Festivalrezepte veröffentlicht und ein Gewinnspiel lanciert. In diesem Jahr soll das Sortiment um ausgewählte Outdoor-Artikel wie Wurfzelte, Gaskocher, Taschenlampen und Campingstühle erweitert werden.

East End rockt mit Rossmann

Auch die Drogeriemarktkette Rossmann, hinter dm die Nummer zwei in Deutschland, geht im Sommer 2019 erneut auf Tour – gemeinsam mit der auf Markenerlebnisse spezialisierten Agentur East End, die für den Kunden die Konzeption für die drei Festivals „Southside“, „Highfield“ und ebenfalls „Deichbrand“ entwarf. Schließlich wollen sich die Fanmassen auf engem Raum auch hygienisch gut versorgt wissen. Das Gesamtkonzept wird das Motto „Rock & Refresh“ tragen. Auf fast 500 Quadratmetern Fläche bietet Rossmann hier ein ausgewähltes Hygiene- und Lifestyle-Sortiment an. Neben dem Pop-up-Store wird es zudem einen separaten Bereich geben, in der Festivalbesucher ihren ganz persönlichen Look kreieren können.

„Festivals sind längst viel mehr als nur ein Konzerterlebnis für Musikbegeisterte. Sie stehen heute für ein besonderes Lebensgefühl“, sagt Peter Czora, Geschäftsleitung Marketing bei Rossmann. „In diesem einzigartigen Umfeld erreichen wir unsere junge Zielgruppe viel intensiver als auf dem klassischen Wege. Mit der Unterstützung von East End wollen wir uns in unserem dritten Festivaljahr noch breiter aufstellen.“ Die Agentur wird das Engagement der Drogeriekette daher auch im Vorfeld und im Nachhinein kommunikativ begleiten und so das Erlebnis für die Zielgruppe verlängern, vor allem in Social-Media-Kanälen.

„Festivals werden bei Marken immer beliebter, weil sie eine einmalige Möglichkeit und kreativen Spielraum bieten, um in direkten Kontakt mit den Kunden zu treten“, so Oliver Golz, Gründer und Geschäftsführer von East End. „Wir finden hier ein perfektes Umfeld vor, um die Produkte und Marken aus dem Drogerieangebot erlebbar zu machen und die Besucher abgestimmt auf ihr persönliches Erlebnis zu begleiten.”

Ein Modell macht Mode

Die Festivalbetreiber freut das Engagement der Supermärkte und Discounter. Der „Wacken Open Air“-Veranstalter Holger Hübner sagt, dass die Kooperation für die Gäste „kürzere Wege, eine bessere Versorgung direkt auf dem Gelände und faire Preise“ bedeute. Als einer der Wacken-Partner eröffnet Kaufland 2019 zum zweiten Mal eine 1.300 Quadratmeter große Filiale auf dem Festivalgelände.

Als Nebeneffekt muss die kleine Gemeinde Wacken (wenngleich längst zum Kultschauplatz mutiert) nicht mehr ganz so viele durch die Straßen streunende Metal-Fans „ertragen“. Jedoch wird die lokale Konkurrenz durch das Kaufland-Engagement geschwächt, was vor allem in den sozialen Medien angeprangert wurde. Gleiches gilt wohl für die Streetfood- und Getränkestände, deren Haupteinnahmequelle vor allem die großen Festivals sind. Man sollte es wie im realen Leben auch am Ende wohl der Kundschaft überlassen, ob man lieber für einen Sechs-Euro-Snack ansteht oder sich mal eben für zwei Tage mit „Dosenfutter“ zum selben Preis eindeckt.

So gesehen haben die Marketingverantwortlichen der Discounter und Supermärkte ihr „Eventpotenzial“ erst recht spät entdeckt. In einem eher klassisch orientierten Consumer-Segment bedurfte es sicherlich der Überzeugungsarbeit von Eventspezialisten und langer Kooperationsverhandlungen mit den Festivalorganisatoren, ehe ein Erfolgsmodell geboren wurde. Inzwischen ziehen aber immer mehr Unternehmen nach, sodass es in diesem Sommer wohl endgültig zur Normalität werden wird, auf Festivals günstig in großen Pop-up-Stores einkaufen zu können.


Das könnte Sie auch interessieren:


Bildquelle: Aldi Nord

Autor: Frank Brehm

Veröffentlicht am: 09.05.2019


Verfasse einen Kommentar

×

×