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Themensammlung - Meetingarchitektur

Worauf es bei Moderation ankommt

Ein Gespräch mit Leon Houf

Die Online-Plattform für Zukunftsideen changeX behandelt Themen des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft. In Kooperation mit dem MICE Club veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen spannende Beiträge unseres Content-Partners, wenn wir diese für unsere Leserschaft interessant finden.

Moderation ist nicht Leitung. Sie verfolgt keine eigenen Interessen, ist nicht Partei. Sondern versucht, alle Beteiligten einzubinden und alle Themen zur Sprache kommen zu lassen. Entscheidend dabei: eine neutrale, fragende Haltung einnehmen, Perspektiven herausarbeiten, Kontexte deutlich machen, dem Meeting eine Struktur geben. Je mehr Teams sich selbst organisieren, desto wichtiger wird die Fähigkeit dazu. Moderation wird zu einer Rolle im Team, entwickelt sich von einer spezialisierten Funktion zu einer Basiskompetenz. Da ist gut zu wissen: Moderation lässt sich lernen.

Moderation, ist das wieder nur so ein Schlagwort? Etwas, was angesagt ist, weil eine Sitzung leiten nicht mehr so ganz zeitgemäß klingt? Die Eingangsfrage unseres Interviews reflektiert diese Annahme. Und erntet sogleich Widerspruch. Leitung und Moderation sind zwei grundverschiedene Dinge. Was Moderation auszeichnet und welchen Stellenwert sie im digitalen und agilen Umfeld erfährt, davon handelt unser Gespräch mit Leon Houf.

Leon Houf ist Experte für Moderation, Kommunikation und Entscheidungsfindung. Bei train Gesellschaft für Personalentwicklung ist er verantwortlich für digitales Lernen und digitale Tools in Training und Moderation.

Früher wurden Sitzungen geleitet, heute werden Meetings moderiert. Wo ist der Unterschied zwischen Leitung und Moderation?

Der Unterschied zwischen Sitzungen leiten und Meetings moderieren liegt nicht im Historischen, beides ist heute relevant. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass die Moderatorin oder der Moderator nicht inhaltlich beteiligt ist und deshalb das Geschehen zwischen den Teilnehmenden, ihre Verhaltensweisen sowie die Strukturen und Prozesse in der Gruppe in den Blick nehmen kann. Wer moderiert, hat sozusagen kein eigenes Eisen im Feuer. Eine Leitung hingegen trägt inhaltliche (Mit-)Verantwortung, verfolgt manchmal eigene Interessen und steuert über die eigenen Entscheidungsmuster auch den Prozess. Die daraus resultierenden Probleme und Fehlentscheidungen kann eine Moderation verhindern.

Die Moderationshaltung

Wenn Sie sagen, beides sei relevant - wann ist Leitung gefragt und wann Moderation?

Eine Führungskraft sollte ein Meeting leiten, wenn sie eigene inhaltliche Interessen oder Positionen hat. Das könnte zum Beispiel sein, die eigenen Positionen oder Strategien der Organisation zu erläutern, mit einer Gruppe abzustimmen oder eine Umsetzung zu planen. Solche Situationen sind gerade in klassisch arbeitenden Organisationen sehr häufig. Hier eine Moderationshaltung vorzuspielen, würde die Illusion wecken, dass die Gruppe Entscheidungen treffen darf, die die Führungskraft indessen schon längst getroffen hat. Das führt nur zu Enttäuschung.

Wenn Sie von Moderationshaltung sprechen - wie zeigt sich diese ganz konkret?

In zwei Dingen: Einmal durch inhaltliche Neutralität. Eine Moderation ist nicht beteiligte Partei. Sie versucht nicht, Entscheidungen oder Ziele durchzudrücken, sondern ist bemüht, in einer offenen Haltung alle Informationen auf den Tisch zu bringen und in einer Art und Weise zusammenzuführen, dass ein gutes Ergebnis entsteht. Das Zweite ist eine personenbezogene Neutralität, die sicherstellt, dass alle Teilnehmenden gleichwertig an dem Prozess teilhaben können, dass niemand bevorzugt wird und auch stillere Personen zu Wort kommen und ihren Beitrag leisten können.

Für die Beteiligung aller zu sorgen, ist das der entscheidende Punkt?

Ja. Denn es geht darum, dass in einem Meeting oder Workshop Ergebnisse erzielt werden, die für alle tragfähig sind und dann auch von allen umgesetzt werden. Häufig jedoch wird irgendetwas beschlossen, an das sich dann aber niemand hält, weil die Teilnehmenden nicht dahinterstehen. Wenn aber alle beteiligt sind, sich alle zu einem Vorschlag und seiner Relevanz äußern können und Ideen einbringen können, wie dieser Vorschlag anschließend umgesetzt werden soll, erhöht das die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg des Meetings. Weil alle hinter den Ergebnissen stehen. Das ist die Chance, die eine Moderation bietet.

Das setzt voraus, dass ein Moderator auf unterschiedlichen Ebenen agiert, also die inhaltliche Ebene ebenso im Blick hat wie den Prozess?

Und diese verschiedenen Ebenen machen Moderationen so herausfordernd - und zugleich so spannend. Eine Moderatorin, ein Moderator muss stets auf mehreren Ebenen aktiv sein. Sie oder er muss die inhaltliche Ebene im Blick haben, die Prozessebene, das Zwischenmenschliche und natürlich das große Ganze: In welchem Kontext steht dieses Meeting? Und wie kann ich dafür sorgen, dass für die Organisation gute und relevante Ziele erreicht werden?

Perspektiven und Entscheidungsmuster herausarbeiten Was setzt das voraus? Ein Wachsein verbunden mit der Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen?

Genau. Ganz wichtig ist, dass eine Moderatorin versteht, dass der gleiche Inhalt aus verschiedenen Perspektiven sehr unterschiedlich beschrieben werden kann. Manche Menschen verharren starr in ihrer eigenen Perspektive. Dann entstehen auf einmal Konflikte, wo eigentlich gar kein so großer Dissens vorhanden ist, sondern sich einfach nur zwei Blickwinkel auf dieselbe Sache gegenüberstehen. Also zwei verschiedene Perspektiven mit einem unterschiedlichen Fokus. Wenn eine Moderatorin das versteht, kann sie dafür sorgen, ein Verständnis zwischen den Teilnehmenden herzustellen. Das bedeutet: Gemeinsamkeiten deutlich machen; herausarbeiten, wo genau die Unterschiede liegen; und verhindern, dass es zu einer Art Fundamentalkritik kommt, nach dem Motto „Was der andere sagt, ist sowieso alles Blödsinn". Aufgabe der Moderation ist, herauszuarbeiten, wo man sich vielleicht doch einig sein kann. Dafür ist es nötig, verschiedene Perspektiven einnehmen zu können und zu verstehen, wo sie vielleicht auch übereinstimmen.

Welche Methodiken gibt es, um solche Perspektivwechsel in einem Meeting, in einer Gruppe herzustellen? Wie macht ein Moderator das?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen ist es sehr wichtig, Dinge explizit zu machen, zum Beispiel, indem der Moderator in eigenen Worten wiederholt: „Ich habe jetzt verstanden, dass …" Zum anderen gibt es einige Kreativmethoden, um Perspektiven herauszuarbeiten, zum Beispiel die Sechs-Hüte-Methode, die dazu zwingt, das gleiche Problem auch in anderen Blickwinkeln wahrzunehmen. Oder man bittet jemanden, der gerade die eine, eigene Idee supertoll findet, diese als „Anwalt des Teufels" bewusst schlechtzureden - damit alle Teilnehmenden verstehen: Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille und man kann eine Idee ganz unterschiedlich betrachten. Dazu kann ein Moderator anleiten. Hierbei ist dann auch die neutrale Moderationshaltung wichtig, die verhindert, dass ein Moderator vorschnell für eine Perspektive, auch unbewusst, Partei ergreift.

Sie beschreiben es als besondere Herausforderung, unbewusste Entscheidungsmuster zu erkennen. Ist das mehr als Menschenkenntnis?

Das ist mehr als Menschenkenntnis, weil es sich um grundlegende Entscheidungsmuster handelt, die eine Gruppe strukturell beeinflussen können. Menschenkenntnis sagt uns vielleicht, wie wir mit einem speziellen „Charakterkopf" umzugehen haben. Menschliche Entscheidungsmuster zu berücksichtigen, bedeutet aber, zu verstehen, wie Menschen sich grundsätzlich in gewissen Situationen verhalten, und sich dabei auch der eigenen Muster bewusst zu sein. Weil diese Entscheidungsmuster erst einmal unbewusst sind, ist es oft erforderlich, ganz bewusst Dinge gegen die Intuition zu tun. Das kann sich in dem Moment für alle ungewohnt anfühlen, aber es ist wichtig, um diese Muster zu brechen, damit bessere Ergebnisse erreicht werden können.

Welche Entscheidungsmuster sind das, die Gruppen so stark beeinflussen können? Geben Sie uns ein paar Beispiele?

Zum Beispiel, dass man sich eher an Dinge erinnert, die in der Erinnerung emotional stark belegt sind, sei es als sehr schön oder auch als sehr unangenehm. Solche Extremsituationen werden sehr gut erinnert, auch wenn sie für die Entscheidung vielleicht gar nicht relevant sind. Während andere Dinge, die nicht so in Erinnerung sind, vielleicht viel bedeutender sind.

Zum anderen: Schon die Reihenfolge, in der Ideen präsentiert werden, bestimmt darüber, wie viel Aufmerksamkeit diese Optionen erhalten. Auch wenn ich einer Person das erste Wort gebe, wird sie mit der Idee, die sie vorstellt, mehr Aufmerksamkeit von den anderen Teilnehmenden bekommen als eine Person, die ihre Idee mittendrin kundtut. Das sollte ein Moderator berücksichtigen.

Und schließlich lieben es Menschen, in ihrer eigenen Meinung bestätigt zu werden. Sie suchen oft geradezu nach Bestätigung. Das sollte eine Moderatorin sehen, und sie sollte wirklich dagegenhalten, indem sie anregt, nach weiteren Informationen zu suchen. Gerade auch nach Informationen, die gegen die eigene Meinung sprechen. Eine Moderatorin sollte verhindern, dass ein Meeting oder Workshop nur die eigene Meinung bestätigt. Ziel ist es, ein besonders umfangreiches Informationsfeld herzustellen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

Digital und agil moderieren

Man braucht ja nicht weiter die großen Veränderungen zu betonen, die sich in Unternehmen vollziehen. Zum einen durch die Digitalisierung, zum anderen durch agile Methoden der Zusammenarbeit. Welche Herausforderungen bringt das für die Moderation mit sich? Stichwort digital und agil moderieren?

Die größte Herausforderung beim digitalen Moderieren ist für viele sicher die neue Technik. Sie verlangt eine Umgewöhnung. Es gilt, sicherzustellen, dass alle Beteiligten wissen, wie das funktioniert, und damit umgehen können. Vor allem aber sollte ein Moderator sich der Stärken digitalen Moderierens bewusst sein. Digital lassen sich manche Dinge viel besser umsetzen, etwa wenn schnell ein Meinungsbild erfragt werden soll oder die Anonymität von Aussagen wichtig ist. Man sollte sich klar sein, wann genau man digitale Methoden benutzen möchte.

Bei den agilen Methoden sind zwei Dinge wichtig. Zum einen sind digitale Methoden an sich schon agil. Man kann sie schnell an veränderte Situationen anpassen. Für Teams, die mit agilen Methoden arbeiten, kann Moderation sehr hilfreich sein, um die eigenen Prozesse zu reflektieren und die agilen Ziele besser zu erreichen.

Das war jetzt vielleicht ein bisschen viel in eine Frage gepackt. Wenn wir zunächst beim Digitalen bleiben: Wo liegen die Chancen und wo die Risiken digitaler Verfahren und Methoden in der Moderation?

Der größte Vorteil ist natürlich, gerade in Corona-Zeiten, dass es keine Rolle spielt, wo die Teilnehmenden sich befinden. Auch bei hybriden Meetings oder Workshops, wo ein paar Leute im Raum sind und die anderen irgendwo auf der Welt verstreut, lassen sich digitale Methoden wunderbar nutzen. Dabei ziehen die Leute im Raum keinerlei Vorteil aus ihrer physischen Anwesenheit. Ein weiterer Vorteil ist wie gesagt die Schnelligkeit, auch gerade bei größeren Gruppen. Bei einer Moderation mit mehr als zehn Leuten sind digitale Methoden deutlich schneller. Und sie bieten eine größere Anonymität. Nehmen wir einen Konfliktworkshop, in dem ein sehr heikles Thema angesprochen wird und die Teilnehmenden ihre Besorgnisse äußern sollen: Wenn sie diese auf Karten schreiben, lässt sich immer irgendwie die Handschrift identifizieren. Geben sie sie aber digital ein, ist eine größere Anonymität garantiert. Dadurch können wirklich große Problempunkte angesprochen werden. Und das ist vielleicht einer der entscheidenden Vorteile digitaler Methoden.

Und die Risiken liegen wohl darin, dass Technik oft nicht funktioniert, wie sie soll?

Ja. Gerade haben wir von den verschiedenen Ebenen gesprochen, auf denen eine Moderatorin aktiv ist. Kommen dann noch technische Details hinzu, kann das durchaus fordernd sein, gerade bei den ersten Moderationen. Daran muss eine Moderatorin, ein Moderator sich erst einmal gewöhnen. Langfristig aber übersteigen die Chancen die Risiken deutlich. Es geht um einen intelligenten Mix aus digitalen und analogen Formen der Moderation.

Wie kann ein solcher intelligenter Mix aussehen?

Sind alle Teilnehmenden in einem Raum, könnte man natürlich rein analog arbeiten. Digitale Methoden lassen sich aber gezielt einsetzen, um neue Möglichkeiten zu schaffen und die Zusammenkunft und ihre Ergebnisse zu verbessern. Zum Beispiel, indem alle Teilnehmenden gleichzeitig aktiv werden können. Oder um Gleichwertigkeit oder Anonymität herzustellen. Oder einfach um Abwechslung zu schaffen. Nur analog oder nur digital wird für Teilnehmende und Moderatoren irgendwann auch ermüdend. Um die Stärken beider Ansätze zu nutzen, sollte schon in der Vorbereitung festgelegt werden, welche Schritte der Moderation analog und welche digital durchgeführt werden sollen.

Moderation und Agilität

Sie sprechen von einer großen Schnittmenge, einer großen Deckung zwischen Design Thinking beziehungsweise Scrum und Moderation. Wo liegen diese Gemeinsamkeiten?

Darin, dass die Beiträge der einzelnen Personen sehr viel gleichgewichtiger und offener auf den Tisch kommen. Bei Design Thinking ist wichtig, zu wissen, was einzelne Leute von einem Prototyp halten. Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern zunächst sollen alle Informationen auf den Tisch. Danach erst schaut man, was sich mit diesen Informationen weiter machen lässt. Auch bei Scrum ist es wichtig, in einen Austausch zu kommen.

Diese offene Neugierde "Was möchten andere Leute uns mitteilen?" zeigt ganz deutlich, dass Moderation sowohl bei Design Thinking wie auch bei Scrum eine sehr wichtige Rolle spielt. Sie ist in diesen Methoden schon eingebaut. Deshalb sollte jemand, der mit diesen Methoden arbeitet, ein Grundverständnis von Moderation besitzen.

Steckt dahinter ein wenig die Befürchtung, dass die klassische Moderation von neuen, agilen Methoden überrollt wird?

Nein, denn die Methoden haben unterschiedliche Anwendungsbereiche. Design Thinking und Scrum kommen vor allem in Produktions- und Designprozessen zur Anwendung. Moderation hingegen ist sehr viel allgemeiner angelegt und in jeder Art von Workshop, Meeting und Zusammenkunft von Bedeutung. Es gilt, diese beiden Methoden gut miteinander zu kombinieren, weil Moderation, wie gesagt, bei Design Thinking wie bei Scrum von Haus aus eine große Rolle spielt.

Wie kommt Moderation bei Scrum ins Spiel?

Schon auf einer allgemeinen Ebene. Bei den Daily Stand-ups zum Beispiel, wo alle Teilnehmenden zusammenkommen, um kurz den Status zu besprechen. Zweitens ist es wichtig, die Rollen zu unterscheiden: Wer ist Scrum Master, wer Scrum Coach, und welche Rolle spielt Moderation für diese Rollen? Vor allem der Scrum Coach kann auf Moderationstechniken zurückgreifen, um ein Team zusammenzuführen und gemeinsam Ergebnisse zu erarbeiten.

Und wie schaut das bei Kanban aus?

Ähnlich. Man sollte sich bewusst machen, welche Verantwortlichkeiten in der Prozessebene stecken, und die explizit klären.

Daily Stand-ups lassen sich auch unabhängig von Scrum anwenden, also in Teams, wo es eine explizite Rollenverteilung wie in Scrum nicht gibt. Verlangt ein einfaches Daily Stand-up nach einer Moderation?

Es verlangt nach einer gewissen Struktur. Es sollte mindestens eine Person geben, die den Rahmen strukturiert. Sonst kann es leicht passieren, dass Teilnehmende zu lange sprechen oder Fragen nicht präzise genug beantworten. Da ist es wichtig, dass eine Person die Rolle der Moderation übernimmt. Diese Rolle muss auch gar nicht sonderlich umfassend angelegt sein und kann in einem Team auch reihum gegeben werden. Aber es ist hilfreich, festzulegen, wer die Rolle der Moderation übernimmt, wer die Fragen stellt und wer dafür sorgt, dass das Meeting nicht den Rahmen sprengt.

Moderation wird zur Rolle im Team

In selbstorganisierten Teams kommen Entscheidungsverfahren zur Anwendung, die sich auch in der klassischen Moderation finden, zum Beispiel Punkte kleben oder Timeboxing zur Beschränkung der Redezeit. Solche Werkzeuge in einem Team einzubringen, ist auch eine Form von Moderation. Geht da Moderation im Grunde im Team auf? Sie haben das vorhin angedeutet.

Auf der einen Seite ja, weil jede(r) eine gewisse Verantwortung übernimmt. Das ist auch gut so und sehr hilfreich. Wenn immer nur eine Person für die Moderation zuständig ist, steht und fällt alles mit dieser einen Person. Je mehr Leute Verantwortung übernehmen, desto besser!

Nicht ganz einfach ist es allerdings, die gesamte Prozessebene abzudecken, also zu reflektieren und zu hinterfragen, wie der Prozess läuft, in dem sich das Team befindet. Es gibt Leute, die dies sehr gut reflektieren können: „Leute, ich glaube, wir verrennen uns gerade in einem Subthema." Deshalb ist es hilfreich, mindestens eine Person zu haben, die besonders auf diese Dinge achtet und sich inhaltlich einen Schritt zurücknimmt. Ein Team könnte etwa festlegen: Heute achtet XY darauf, dass wir uns nicht verrennen, dass wir nicht über die Zeiten gehen und die Prozessebene im Blick behalten.

Moderation wird dann zur Rolle im Team?

Genau. Letztendlich ist es eine Rolle, mit der eine gewisse Verantwortung, mit der Rechte, aber vor allem auch Pflichten einhergehen. Diese Rolle kann in einem Team auch reihum gegeben werden. Das muss nicht immer die gleiche Person sein. Es ist vielleicht sogar manchmal besser, wenn diese Rolle im Team verteilt wird, sodass jeder lernt, in dieser Rolle zu agieren und diese Blickwinkel anzunehmen.

Eine kleine Schleife noch eingezogen: Es überrascht ein wenig, dass Sie im Buch zufällige Zusammentreffen in der Kaffeeküche als Meetings thematisieren. Es ist doch gerade das lockere, informelle Gespräch, das die Kaffeepause auszeichnet.

Auf der einen Seite ja. In der Kaffeepause wird natürlich viel über Fußball oder was auch immer gesprochen. Auf der anderen Seite werden in der Kaffeeküche aber auch sehr viele Informationen ausgetauscht, die man eigentlich in einem ganz normalen, formalisierten Meeting erwarten würde. Das ist auch gut so, weil dies den Informationsfluss in einem Unternehmen befördert. Man muss sich nur bewusst sein: Wenn so viele Informationen fließen, werden letztlich auch Entscheidungen vorbereitet. Und wenn dieser Punkt erreicht ist, dann muss jemand sagen: „Moment mal, das hier ist mehr als ein lustiger Kaffeeplausch geworden. Wir besprechen gerade wichtige Entscheidungen im Projekt!" Und ab dieser Grenze ist eine Moderationshaltung unerlässlich. Für die lockeren Gespräche, die nicht arbeitsbezogen sind, die also vor dieser Grenze liegen, da braucht es das natürlich nicht.

Geht dann nicht das Informelle verloren?

Was verloren geht, ist vielleicht das Einfach-frei-lustig-vor-sich-her-Quatschen, aber dafür sind ja die privaten Themen da. Sobald aber die „Grenze der Arbeitsrelevanz" überschritten ist und Informationen, die für die Organisation relevant sind, besprochen werden, ist es eben kein Freizeitgespräch mehr, sondern ein arbeitsbezogenes Gespräch. Es ist immer noch schön, wenn es ein informelles Gespräch ist, dennoch hilft die Moderationshaltung. Das heißt, dass man eine fragende Haltung einnimmt und auch Kontexte beachtet.

Wenn solche informellen Meetings nach Moderation verlangen, kann man dann daraus ableiten, dass Moderationsfähigkeit in einer Organisation allgemein verfügbar sein sollte?

Definitiv. Eine fragende Haltung einzunehmen, bedeutet, nicht davon auszugehen, dass die eigenen Informationen die einzig wahren sind, sondern dass auch andere Leute Informationen haben, die sehr hilfreich sein können. Dieser Perspektivwechsel ist wichtig. Kontexte zu beachten, das heißt, zu sehen, welche anderen Leute noch wichtige Informationen haben können, und dem Gespräch eine Struktur, einen Prozess geben zu können. Also nicht drei Informationen weitergeben und direkt zur Entscheidung kommen. Sondern fragen: „Was müssen wir sonst noch beachten? Wer ist noch beteiligt?" Diese Fähigkeiten sind elementar, gerade in Organisationen, die im Transformationsprozess stecken.

Kann jeder Moderationsfähigkeit erlernen, und sei es nur für einen informellen Rahmen?

Das lässt sich auf jeden Fall lernen. Die Haltung dahinter ist für manche vielleicht etwas schwieriger einzunehmen. Manchen macht dies mehr Spaß, anderen weniger. Aber letztlich kann das jeder lernen.

Kontexte herstellen

Noch mal nachgehakt: Kontexte herzustellen bedeutet?

Kontexte herzustellen heißt, sich bewusst zu sein, dass es verschiedene Perspektiven gibt - und dass es vielleicht noch weitere Perspektiven gibt als die bislang besprochenen. „Welche anderen Perspektiven gibt es noch?", ist die entscheidende Frage. Also „thinking outside of the box". Und es bedeutet, das Geschehen aus der Vogelperspektive betrachten zu können. Also zu wissen, welche Bedeutung dieses Meeting oder dieser Workshop hat und welche Ergebnisse für die Gesamtorganisation wichtig sind. Das muss man sehr bewusst tun, und es ist auch nicht leicht. Aber man kann es wie gesagt lernen.

Wir haben vorhin von der Selbstorganisationsfähigkeit in Teams gesprochen. Zugespitzt gefragt: Braucht Selbstorganisation Moderation?

Auf jeden Fall. Nicht unbedingt alle Methoden. Aber auf jeden Fall die Haltung und die Prozessideen hinter einer Moderation. Je mehr die Mitglieder einer Organisation darin geschult sind, desto leichter kann Selbstorganisation funktionieren. Und je besser das alle Leute in einer Organisation für sich verinnerlicht haben, umso besser gelingen auch Transformationsprozesse.

Dieses Interview veröffentlichen wir in enger Kooperation mit der Online-Plattform changeX, wo der Beitrag zuerst erschienen ist.


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Bildquelle: © Tetsuro Miyazaki

Autor: Winfried Kretschmer (Gastautor)

Veröffentlicht am: 19.05.2022


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