Eros & Resonanz – was Verbundenheit ermöglicht
Eine Rezension des zweiten micelab:extract
Vor mir liegt das neue micelab:extract, Band 2 der Serie. Diesmal geht es um „Eros und Resonanz“, während sich das letzte Büchlein um „Angst und Vertrauen“ drehte.
Büchlein, schreibe ich. Nun, vielleicht im Format, aber das „…lein“ betrifft nicht den Inhalt. Wie schon der Vorgänger enthält auch diese Dokumentation der Forschungsergebnisse aus den micelab:explorer- und micelab:experts-Formaten eine geballte Menge Wissen für Eventtreibende.
Die Gestaltung ist handlich und praktisch – mehr Notiz- als Lesebuch. Wieder geben uns sehr viele Grafiken einen Einblick in die explorer-Formate, wir erhalten grafische Momentaufnahmen, sind mittendrin. Öfter tauchen perforierte Seiten auf, die sich aufklappen lassen. Dort stehen Übungen und Experimente, mit denen wir als Leser die verschiedenen Themen des Buches individuell erleben können. Wenn wir es schaffen, die Seiten aufzureißen, ohne sie kaputt zu machen. Meine Finger waren da wohl das eine oder andere Mal zu ungeduldig …
Eros und Resonanz
Im ersten Band ging es um die Frage, wie wir aus der Angst ins Vertrauen kommen – dorthin also, wo offene Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich ist. Denn erst dann, so die These, entstehen echte Beziehungen der Akteure untereinander, entsteht eine „Resonanz“, die Co-Creation bedingt.
Die beiden micelab:extracts bauen aufeinander auf, führen uns von der Angst ins Vertrauen und dann weiter in die Resonanz, um im Zusammenspiel gemeinsam Erlebnisse und Inhalte zu erschaffen. Resonanz ist Gleichklang, ist Berührung, Beziehung und sehr lebendig. Sie ist kein Echo, kein Widerhall, der nur bestätigen würde, was man schon weiß. Resonanz ist immer ein Impuls, der etwas auslöst, der etwas weiterführt. Klar, dass Resonanz wichtig für gelungene Live-Kommunikation ist. Soweit, so klar …
Aber Eros? Da musste ich erst mal überlegen. Eros – wird uns im Buch erklärt – ist nicht nur die Liebe, sondern auch der Drang nach Erkenntnis und spirituell das Liebevolle des Seins. Eros und die „kleinere“ Liebe haben es beide nicht leicht heutzutage. Entweder mit rosa Herzchen verkitscht oder verkniffen hinter geschlossenen Rollläden auf den Samstagabend verbannt. Die Liebe, die Erotik, sind sie heutzutage gesellschaftlich nicht anschlussfähig? Auch den Autoren fiel auf, dass für sie die Beschäftigung mit der Resonanz viel einfacher war als die mit der Liebe – dabei sei es so schön zu lieben, ob Meeresfrüchtepizza oder das eigene Kind.
Treiber der Verbundenheit
Liebe soll mehr walten, sagt uns das Buch, in der MICE-Branche, in der Wirtschaft. Sie ist das verbindende Element und neben der Resonanz der zweite wichtige Treiber der Verbundenheit. Resonanz und Liebe bringen uns in Beziehungen und sind damit die folgerichte Fortsetzung, wenn wir wissen wollen, wie wir den Gleichklang schaffen, bei dem alle an einem Strang ziehen.
Aber die Liebe – so ein großes Gefühl? Der Vorschlag der Autoren: Liebe ist („nur“) eine Haltung, zu anderen Menschen, zur Natur, zu mir selbst. Dann wird es einfach – denn eine Haltung kann ich auch mal ausprobieren, ich kann sie reifen lassen und sie kann zur treibenden Kraft werden – Eros, voll in Action.
Wertvolle Impulse im Buch
Christian Schorpp, Trainer und Naturpädagoge, rät zu Hirschohren, Hundespürnasen und Eulenaugen und meint, dass wir unsere Wahrnehmungsfilter öfter ausschalten müssen. Offenheit als Bedingung für Resonanz nennt auch Impulsgeber Johannes Voit, Profimusiker und Musikpädagoge im Frage-Antwort-Spiel des Buches. Mit offenen Ohren zu hören, fällt uns heute nicht leichter als den Neandertalern, sagt er. Genau wie die Vorredner ist auch Wolfgang Endres, Pädagoge und Resonanzforscher, davon überzeugt, dass ein frischer Blick – offen und vorurteilsfrei – Resonanzfenster öffnet. Bei ihm wird die Resonanzerfahrung zum erotischen Weltverhältnis, wenn Eros mit der goldenen Pfeilspitze schießt und trifft. „Resonanz ist wie Eros eine Energie, die sich unserer Verfügungsgewalt entzieht. Genauso wenig ist es eine Sache des Wollens, sich zu verlieben. Resonanz ist eine Sache des Zulassens.“
Trauen wir uns zuzulassen?
Am Ende des Buches tauschen sich die beiden Kuratoren des micelab:bodensee, Tina Gadow und Michael Gleich, darüber aus, welche Rolle Eros und Resonanz in der MICE-Branche nun wirklich spielen. Und wenn wir uns trauen es zuzulassen, können wir diesem Austausch eine Menge Motivation entnehmen, um eine neue Begegnungskultur zu etablieren. Hier nun die Highlights aus dem Buch:
- Eros und Resonanz lassen sich nicht erzeugen. Zum Glück – so bleibt eine Lebendigkeit, die sich nicht kontrollieren lässt.
- Menschen in Reihen zu platzieren ist ein Resonanzkiller.
- Achtsamkeit ist Grundvoraussetzung für Resonanz – nicht nur in der Konzeption, auch im Kundengespräch.
- Bewertungsraster bleiben vor der Tür – Schluss mit dem automatischen Urteilen.
- Resonanzerfahrungen brauchen eine sensible Moderation – weil wir sie im Konzertsaal oder in der Natur eher erwarten als im Konferenzsetting.
- Muße und Langsamkeit versetzen Menschen in den Modus, in dem sie berührbar sind.
- Resonanz in der Veranstaltungsdramaturgie mitzudenken, unterstützt Teilnehmende, wirklich präsent zu sein.
- Vertrauen lässt Widerstand gar nicht erst aufkommen. Die Regeln des Open Space gelten für Resonanzerfahrungen: „Es ist alles schon da“ und „Die, die da sind, sind die richtigen.“
- Deswegen: Nutzt die vorhandene Expertise, aktiviert sie und denkt weniger daran, welche Promis noch auf die Rednerliste gehören. Menschen leisten, wenn sie gefragt werden, sehr gerne einen Beitrag.
- Fragen öffnen den Resonanzraum.
- In improvisierten Momenten passieren oft die wirklich interessanten Dinge – es wird nahbar, menschlich und lebendig. Resonanz entsteht.
- Zweckfreie Wahrnehmung muss geschult werden – unvoreingenommen und mit frischem Blick sieht plötzlich alles anders aus.
- In Kreisläufen zu denken, macht Veranstaltungen lebendig. Wenn wir im Einklang mit den Naturkreisläufen Morgen – Mittag – Abend lernen, wird es leichter.
- Die Körpersprache der Teilnehmer ist ein Resonanzindikator – wir erkennen intuitiv, ob jemand gelangweilt oder begeistert ist.
Am Ende ziehen die beiden ein schönes Fazit. Es ist kein Wunder, schreiben sie, dass gerade beim micelab:bodensee die Resonanz so ein großes Thema ist – schließlich haben sich dort Partner gefunden, die eigentlich Konkurrenten sein müssten. Aber Konkurrenz und Resonanz vertragen sich nicht, deswegen ist im micelab ein Raum entstanden, in dem liebevolle, lebendige Begegnungen und innovatives Denken möglich sind. Und es ist schön, dass wir als Lesende und Lernende davon profitieren können, vielen Dank an das micelab und alle Mit-Macher.
Zum micelab:bodensee:
Seit dem Startschuss im Sommer 2016 hat sich das micelab:bodensee rasant entwickelt – drei Forschungslabore (micelab:explorer) und fünf Lernmodule (micelab:experts) sind erfolgreich gelaufen, die erste Dokumentation (micelab:extract) ist erschienen und zwei Innovationspreise sind gewonnen, schreibt Gerhard Stübe als Sprecher der Vereinigung BodenseeMeeting und Leadpartner des micelab in der Einleitung zum Buch. Herzlichen Glückwunsch!
Das könnte Sie auch interessieren:
- So klappt’s auch mit dem Meeting
- Das „Wir“ braucht Probierräume
- Warum wir Veranstaltungen ko-kreativ planen müssen
Bildquellen: Jaron Gyger, Anja Köhler