Angst und Vertrauen – Große Gefühle, gehalten von einem Gummiband
Eine Rezension des ersten micelab:extract
Mit dem ersten micelab:extract hat das micelab:bodensee die Ergebnisse seiner ersten Explorer-Veranstaltung (Oktober 2016) in einem interessanten Format und mit einem spannenden Titel zu Papier gebracht.
Aus der Angst ins Vertrauen – große Gefühle und ein ungewöhnliches Thema für die MICE-Branche. Sind wir es doch gewohnt, bestenfalls Erlebnis und Rahmen in den Vordergrund zu stellen. Und jetzt Angst und Vertrauen? Sollte es so sein, dass im „Herzen von Meetings“ dieselben Gefühle sitzen, die auch unsere Herzen steuern? Bestimmt eine Skala zwischen Angst und Vertrauen das Handeln der Teilnehmer, der Planer und Veranstalter?
Eine interessante Annahme, die Michael Gleich, Kurator des micelab, im Vorwort trifft. Seine These: Die Angst aller Beteiligten verhindert den Einsatz neuer, interaktiver Formate. Machen wir die unspezifische Angst zur messbaren Befürchtung, wird sie argumentativ behandelbar. So entsteht Vertrauen als Basis für Innovation und Interaktion. Beide tragen im Kern immer die Spontaneität, die Improvisation, das Spielerische – als Ursprung für das, was Meetings einzigartig macht: Der geteilte Moment, in dem etwas Besonderes entsteht.
Impulsgeber des Themas und gleichzeitig Gründungslegende des micelab:bodensee ist das Schlüsselerlebnis eines völlig misslungenen Kundenevents und die Frage, warum sogar Profis lieber im Althergebrachten verharren, auch und sogar wenn sie neue Ideen präsentieren. Die ganze Story des „Unglücks“ wird im Buch erzählt, eingebunden in eine Erfahrungsgeschichte des Collective Story Harvesting.
Dramaturgisch wird der Leser des Büchleins gleichzeitig Teilnehmer der Explorer-Veranstaltung. Wir erleben in einzelnen Kapiteln die Keynote (das Vorwort) ebenso wie die inhaltsreichen Pausen, sind von der Anreise bis zur Heimreise (und damit von der Erwartung bis zum Feedback) durch verschiedene Autoren beteiligt. Wir erfahren von der Wichtigkeit des Raumes und erhalten durch zwischengeschaltete Skizzen immer wieder szenische Einblicke in erlebte Situationen. Das gefällt mir gut, weil es zeigt, wie kurzweilig verschiedene Formate nicht nur ein micelab, sondern auch ein Buch gestalten können.
Als Leser werde ich zudem Teil des micelab-Experiments. Das verdeutlicht mir das Notizbuchformat, Aufmachung und Gestaltung erinnern an ein Moleskine. (= Ich erhalte kein fertiges Wissen zum Konsum, ich muss mir schon die Mühe machen, damit zu arbeiten. So zumindest verstehe ich es.)
Die einfache Bindung schafft eine Lose-Blatt-Sammlung – was gefällt, kann an die Pinnwand. Dazu laden besonders die „kleinen Erkenntnisse“ ein, die das Buch thematisch und optisch unterteilen – wie z.B. „Verstanden ist noch nicht einverstanden. Nichts prägt nachhaltiger als eine eigene Erfahrung“ oder „Der Kongress der Zukunft nutzt die Intelligenz der Gruppe und macht die Kompetenzen jedes Einzelnen für alle fruchtbar. Die Teilnehmenden sind immer auch Teilgebende.“
Die Einladung zum Weiterdenken, die sowohl Form als auch Inhalt des micelab:extracts prägt, ist sinnbildlich für einen Vorschlag an die Branche, anders zu agieren. Am besten repräsentiert durch die Haltung des „Ja, genau…“. Ein fast revolutionärer Ansatz, sowohl in der Planung als auch in der Dramaturgie und Interaktion jeden Impuls positiv aufzunehmen und weiterzuspinnen. Damit würde das Unfertige zum Bestandteil guter Veranstaltungskultur.
Die Basis für dieses Wagnis ist, natürlich, Vertrauen. Denn wo wir das Unfertige nur durch gemeinsames Handeln weiterspinnen können, dort ist die Angst als Antriebsfeder jedes vermeidenden Handelns allgegenwärtig. Dort wo es interaktiv wird, ist Angst viel präsenter als im Frontalen – für die Veranstalter, weil sie Neues wagen, für den Teilnehmer, da er seinen geschützten Raum verlassen muss.
So hat das micelab:bodensee mit dem Buch ein Thema aufgegriffen, das nicht nur für die Branche brennend aktuell ist. Der Prozess von der Angst ins Vertrauen ist ein Schritt, den wir dringend in der Organisationsentwicklung benötigen. Auch hier eine absolut revolutionäre Haltung – wo kämen wir hin, wenn wir jedem Mitarbeiter einfach vertrauen würden? (Ich lasse das jetzt mal so stehen, geben Sie sich die Antwort selbst. Ich mag das Unfertige – siehe oben.)
Sie sehen – es gibt viel nachzudenken. Mir hat der micelab:extract gut gefallen, weil er ein sehr relevantes und hochbrisantes Thema früh aufgreift, gut umsetzt und praxisnah fassbar macht. Und im Gegensatz zu mir nicht nur Fragen aufwirft, sondern auch Lösungsansätze bietet.
+++ Verlosung +++ Verlosung +++ Verlosung +++
Angst und Vertrauen bestimmen das Handeln der Teilnehmer, der Planer und Veranstalter - so lesen wir in der Buchrezension. Beschäftigen Sie sich auch mit der Thematik, wie Sie im Kontext von Veranstaltungen Ängste lösen und Vertrauen gewinnen können?
Wir beim MICE Club verlosen fünf Exemplare dieses schönen Büchleins unter denjenigen, die uns bis zum 27. Oktober 2017, 16:00 Uhr, in dem Kommentarfeld zu diesem Magazinartikel berichten, welche Erfahrungen sie mit Angst & Vertrauen in der Eventbranche gesammelt haben. - Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.
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Bildquelle: micelab:bodensee/Jaron Gyger
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Wunderbare Fragen schon in der Einleitung. Da ja gerade die Herzen die Fähigkeit zur elektromagnetischen Informationsübertragung haben (siehe EKG, das in der Peripherie noch messbar ist) bin ich überzeugt, dass es darum geht auf Veranstaltungen Herzen zu berühren, Austausch und Verbindung zu ermöglichen. Und ja, da ist so manche Angst (Trennung) zu überwinden. Als Lachtrainerin kann ich ein Lied davon singen ;-) Tolles Projekt und ich bin sehr neugierig auf das "Buch".
Bei vielen Veranstaltungen besteht für Agenturen die Schwierigkeit darin, das Vertrauen des Kunden zu gewinnen, sodass dieser sich vor und während der Veranstaltung komplett entspannen und das Geschehen genießen kann - sich also komplett in die Hände der Agentur begibt. Diese Angst der Kunden ist meiner Meinung jedoch verständlich, vorallem wenn es für den Kunden ein wichtiges/ entscheidendes Projekt ist. Für beide Seiten ist es am Ende immer toll, wenn eine Beziehung gewachsen und Vertrauen entstanden ist, die Veranstaltung ein voller Erfolg war und am besten eine weiter bestehende Partnerschaft entsteht. Denn wenn man sich kennt und sich dem anderen öffnet, können die besten Projekte entstehen.
Für einen Kongress wurde von mir ein Poetry Slam als Closing Session vorgeschlagen. Der Meetingveranstalter war skeptisch und wollte sich nicht aus dem konservativen Vortragen wagen. Er ließ sich dann aber doch überzeugen und die Erfahrung war eine total Positive. Viele Meeting TN haben noch lange Zeit später über die umzusetzenden Ziele gesprochen, nachgedacht und daran gearbeitet. Seitdem ist der Meetingveranstalter mutiger geworden und versucht jedesmal neue Wege zu gehen.