Die Hüpfburg-Kompetenz
Kinder- und Jugendmarketing im Eventbereich
Mickey Mouse macht Selfies, die Maus erklärt die Welt und am Ende wird allen in der Hüpfburg schlecht? Gezieltes Kindermarketing ist mehr als bunte Bespaßung. Während Konzerne längst die sozialen Medien nutzen, um ihre Produkte an den Mann, beziehungsweise das Kind, zu bringen, ist das Thema „Marketingevents mit Zielgruppe Kinder-, Jugend und Familie“ in der Live-Kommunikation und in der Eventmarketing-Branche ein sehr stiefmütterlich bestelltes Feld. Dabei gibt es einige spezialisierte Agenturdienstleister, die sich hier erfolgreich betätigen. Die Frage, die wir uns stellen: Geht es dabei um Entertainment? Um Werbeberieselung? Wie werden echte Markenerlebnisse designt, wie wird eine Identifikation der Marke mit der Zielgruppe hergestellt und wo liegen die Hauptunterschiede zur Live-Kommunikation für die Zielgruppe Ü-18? David Balhorn, Geschäftsführer der Agentur Tigertatze und Rebecca Bittner, Geschäftsführerin von Full Moon Kids, standen uns zu diesen Fragen Rede und Antwort.
Was genau ist Kindermarketing eigentlich?
Das Bewerben einzelner Produkte ist ein Teil des Marketings. Kinder wurden längst als „Wirtschaftssubjekte“ erkannt, ihre Ansprache zunehmend ausgebaut. Im Gegensatz zu mündigen Konsumenten, die ihre Entscheidungen für oder gegen ein Produkt selbst treffen, müssen die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen – sofern durch gezielte Werbung geweckt – von anderen Personen getroffen werden. Wirtschaftlich gesprochen: Der Familienfinanzminister muss einem Kauf zustimmen. Dass Kinder dabei gute Überzeugungsarbeit leisten können, wissen nicht nur alle Eltern, sondern auch die Werbetreibenden. Deren Überzeugungsarbeit übrigens auf den Kopf der Kinder abzielt: Identifikationspotenzial ist das Stichwort. Die Kinder wollen kein Plakat sehen, sie wollen aktiver Teil einer Geschichte sein. „Marken haben ja nicht nur Werbebotschaften, die sie vermitteln, sondern auch Werte, thematische Inhalte und Geschichten, die es zu erzählen gibt. Genau für diese Bereiche ist es unerlässlich, dass Kinder und Jugendliche diese Themen erleben“, erklärt David Balhorn. Dass Marken dabei aus der Medienmasse herausstechen müssen, versteht sich von selbst. „Gerade durch die zunehmende Reizüberflutung ist es für Marken besonders wichtig, aufzufallen. Live-Kommunikation kann dies durch überraschende Markenauftritte, Interaktion auf Augenhöhe und emotionale Markenerlebnisse erreichen“, findet Rebecca Bittner.
Das funktioniert in den klassischen Werbeformaten oftmals übrigens mittels Leitfiguren, denen die Kids und Teens nacheifern, die sie in ihre Wunsch-, Spiel- und Themenwelt mit offenen Armen aufnehmen. Begegnen können sie ihren Helden dann direkt im Alltag: Marken treten als Sponsor ihrer Sportvereine auf, wuseln durch sämtliche sozialen Netzwerke und kommen in Form von Projekttagen sogar in die Schule. Jede Menge Touch-Points zur Bedürfniserinnerung. Was will und kann da (noch) das Live-Event?
Inhalt zählt oder nur live ist echt
Primär soll ein Event nicht verkaufen, sondern, so Bittner, Zielgruppen emotional ansprechen und eine Markenbindung aufbauen. Markenloyalität ist für sie ein weiteres Stichwort, das eine Live-Aktion übersetzen muss. Wenn das Zusammenspiel aus Erlebnis und Antizipation funktioniert, „wenn man Emotionen aufbauen konnte, eine spannende Geschichte erzählt hat und die Inhalte mit nach Hause genommen wurden, dann darf das Ding auch Event genannt werden“, bekräftigt auch Balhorn und erteilt der unüberlegten Event-Hascherei aka klassischem Selling eine klare Abfuhr. Hier schwingt auch die Verantwortung mit, die das Kindermarketing ganz allgemein birgt. Wir haken einmal nach.
MICE Club: Frau Bittner, Herr Balhorn, beim Stichwort Kindermarketing ist das Thema Moral und Seriosität schnell präsent. Können Sie einmal eingrenzen, worum es sich eigentlich handelt? Und wie stecken Sie das Thema für Ihre persönliche Arbeit ab?
David Balhorn: Gut, dass Sie es ansprechen! Kindermarketing bedeutet ganz viel Verantwortung. Es gibt viele Menschen und Agenturen, die Kindermarketing betreiben – von vielen dieser Angebote möchten wir uns distanzieren. Uns geht es mit unserer Arbeit darum, Werte und Inhalte zu vermitteln. Und zwar solche, die wir auch selbst vertreten können. Wenn ein Energiekonzern über erneuerbare Energien informieren möchte, eine Lebensmittelkette darauf aufmerksam machen will, dass Familien beim Einkauf auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung achten sollten oder ein Technikkonzern auf Nachhaltigkeit setzt, dann hören wir zu und nehmen uns dem Auftrag gerne an.
Rebecca Bittner: Bei Kindermarketing geht es, wie der Name schon sagt, um die Bekanntmachung einer Marke oder eines Produktes bei einer sehr jungen Zielgruppe. Teilweise beginnt dies bei einigen unserer Kunden schon im Kindergarten oder in der Grundschule. Wichtig dabei ist, dass man ethische sowie moralische und vor allem juristische Grenzen niemals überschreitet. Auch sollte man nicht vergessen, dass bei Kindern bis etwa zehn Jahren Kaufentscheidungen nahezu ausschließlich von den Eltern getroffen werden. Genau diese Linie zwischen Gut und Böse trennscharf zu erarbeiten, ist eine zentrale Aufgabe gleich zu Beginn unserer Zusammenarbeit mit Marken und Unternehmen. Daher starten wir fast immer mit einem gemeinsamen Workshop. Erst anschließend beginnen wir mit der Ausarbeitung der Kommunikationsmaßnahmen.
MICE Club: Wie sieht das im Ergebnis aus, was bedeutet es, Marken erlebbar zu machen, Identifikation zu schaffen?
David Balhorn: Mit Speck fängt man Mäuse, sagt man. Das ist völlig überholt und genau wegen solcher Annahmen wird die Königsdisziplin „Ansprache von Kindern“ so stiefmütterlich behandelt.
Wir bieten weder Hüpfburg noch Süßigkeiten an und bringen Marken trotzdem oder erst recht in die Köpfe. Zunächst einmal beschäftigen wir uns mit dem Auftraggeber und was er vermitteln möchte, was wir darunter verstehen, was Kinder darüber denken, was sie über die Marke, das Unternehmen, die Institution wissen (können). Hier ist eine gute Recherche wichtig und oft finden wir Dinge, die auf den ersten Blick keiner im Kopf hatte, die aber umso einleuchtender die Welt des Auftraggebers erklären. Das ist ja das Tolle an unserem Job: ein Thema zu konzipieren, um einfach zu erklären, wofür wir Erwachsenen oft 1.000 Worte brauchen.
Rebecca Bittner: Wie bei Veranstaltungsformaten für Erwachsene geht es auch bei Events für Kids und Teens darum, besonders und einzigartig zu sein. Viele Medien werden eingesetzt und viele Sinne angesprochen. Und natürlich dürfen digitale Module wie Fotoboxen und Virtual Reality nicht fehlen.
Wichtig ist und bleibt dennoch der rote Faden: die Geschichte, die im Kopf verankert werden soll, und vor allem auch einfache, klare Botschaften. Und ja, auch Hüpfburgen und Glücksrad funktionieren im Jahr 2018. Die Frage ist nur, in welchem Kontext.
MICE Club: Klare Botschaften sind bei Ihnen beiden ein wichtiges Keyword. Gibt es hier einen Unterschied zur strategischen Planung für eine erwachsene Zielgruppe und wenn ja welchen?
Rebecca Bittner: Wie bei Erwachsenen ist es auch bei Kids wichtig, dass sie auf Augenhöhe angesprochen werden. Also nicht von einem ‚uncoolen’ Erwachsenen, sondern von einem authentischen Gleichaltrigen. So stehen Musical.ly- und YouTube-Stars bei den Kids heute höher in der Gunst als Sportler und Musiker. Der große Unterschied ist, dass die Kaufentscheidung fast immer noch von den Eltern getroffen wird. Was das für die Kommunikation bedeutet? Ganz einfach: Erwachsene beziehungsweise Eltern überzeugt man direkt von den Vorteilen eines Produktes. Finden sie es gut, kaufen sie es. Beim Kindermarketing muss also das Interesse für das Produkt bei den Kindern erzeugt und gleichzeitig die Eltern überzeugt werden, dass das Produkt richtig für das eigene Kind ist.
David Balhorn: Kinder und Familien erreicht man nach unserer Erfahrung am besten, wenn ein Thema spielerisch erlebt wird. Viele unserer Wissensmodule sprechen auch Erwachsene an, obwohl sie primär für Kinder gedacht sind – weil wir ja alle noch einen gewissen Spieltrieb in uns haben. Bei unseren Konzepten formulieren wir ohnehin in der „Du-Form“ und sprechen das Kind im Erwachsenen an, der über die Vergabe des Auftrages entscheidet. Das klappt seit Jahren sehr gut. Es liegt also an der Idee und Umsetzung, dann können sowohl Kinder als auch Erwachsene zusammen erreicht werden.
MICE Club: Wo liegen dabei die größten Herausforderungen?
Rebecca Bittner: Besonders zu sein, wird in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung immer schwieriger. Vom Wettbewerb abheben, in den digitalen Kanälen sichtbar bleiben und dabei nicht überdrehen oder übertreiben. Es braucht gute und vor allem verzahnte Konzepte, online und offline.
David Balhorn: Den potenziellen Auftraggebern den nachhaltigen Wert einer konzipierten Erlebniswelt klar zu machen und dass es sich dafür lohnt, ein größeres Budget in die Hand zu nehmen als für reine Belustigung. Dazu gehört, neuen Auftraggebern und Agenturen zu vermitteln, dass Kinder wissenshungrig sind und sich Themen gerne spielerisch erarbeiten und auch in ihrer ‚Freizeit’ (heraus-)gefordert werden können.
MICE Club: Und was geht gar nicht?
David Balhorn: Das ist eine Frage der Perspektive und der eigenen Ideale. Für uns geht gar nicht, wenn wir Werte vermitteln sollen, für die wir nicht stehen. Rüstungsindustrie und Ungesundes an Kinder heranzutragen beziehungsweise in ein positives Licht zu rücken, ist für uns ein absolutes No-Go.
Rebecca Bittner: Eindimensionalität, rein analoge Eventformate, Bespielung ohne Sinn. Und fehlende Leidenschaft bei der Konzeption und Umsetzung von Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Eine weitere, große Gefahr besteht im Übrigen darin, Kinder und Jugendliche als Zielgruppe nicht ernst zu nehmen. Oft wird unterschätzt, dass Kaufentscheidungen schon von den ganz Kleinen beeinflusst werden.
Kindermarketing ist mehr als Werbung
Gut gestaltete und strategisch konzipierte Live-Events sind eine Bühne, die es zu gestalten und mit all ihrem Potenzial zu nutzen gilt. Damit wächst sie über sich im reinen Wortsinne hinaus. Es geht eben nicht nur um und mit Entertainment. Oder darum, „die Zuckerbrause optisch so aufzuhübschen, dass noch mehr von ihr verkauft werden kann.“ Vielmehr geht es um „Spaß mit Köpfchen“, so Balhorn. Denn das Eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil. Doch beide Seiten müssen gut austariert sein: Der Spaß der Markenbindung dienen und nicht umgekehrt. Reine Kinderbelustigung nämlich führt letztlich zum gegenteiligen Effekt: Die Botschaft, der Inhalt verpufft. Im Gedächtnis bleibt dann lediglich das „tolle Event“ haften, wie Rebecca Bittner betont.
Ein Blick ins Programmheft kann hier durchaus aufschlussreich sein, denn an der Art des Kinderprogramms eines Live-Events lässt sich direkt „etwas darüber erfahren, ob die Kinder ‚einfach nur’ unterhalten und betreut werden sollen oder ob mit dem Kinderangebot auch eine Wertevermittlung stattfinden soll, wo die Kinder ein Teil der Veranstaltung werden“, so Balhorn. Teil der Veranstaltung sein, wie kann das aussehen? „Wenn Kinder sich Themen selbst erarbeiten und es dafür zum Beispiel ein begleitendes Heft gibt oder eine Urkunde, die mit nach Hause genommen werden kann, dann können die Kinder auch Wochen später noch genau erzählen, was sie an diesem Tag gemacht haben. Das Erlebte bleibt und wird positiv mit dem Auftraggeber verbunden.“ Und genau dafür bietet die Bühne als Synonym für das Live-Event die ideale Plattform. Sie ist Auftrag, Verantwortung und Chance zugleich. „Ich glaube, dass mit keiner anderen Kommunikationsmaßnahme wie dem Event erfolgreich Markenbindung bei Kids und Teens erzielt werden kann. Weder kurzfristig noch langfristig. Spaß spielt sicherlich eine wichtige Rolle. Aber ein Event muss weitaus mehr bieten“, fasst auch Rebecca Bittner das Thema zusammen.
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Bildquellen: Full Moon Kids, Tigertatze