Von Top-down zu Me-up
Studie: Was macht das „Erlebnis Messe“ aus?
Über 160 Seiten ist sie stark, eine vom AUMA, dem Verband der Deutschen Messewirtschaft, im Juni veröffentlichte Studie zum Thema „Erlebnis Messe – Dimensionen des Erlebens, ihre Wahrnehmung und Hinweise zu ihrer Inszenierung“. Die wichtigsten Fakten und Erkenntnisse haben wir hier – durchaus frei interpretiert − zusammengetragen. Maßgeblich beteiligt an der Studie waren zudem die ITB Berlin und als ausführendes Organ vor allem das Institut für Publikumsforschung (IfP) an der SRH Hochschule der populären Künste (hdpk) in Berlin.
Es handelt sich hierbei um die erste größere wissenschaftliche Abhandlung zum Thema Messeerlebnis. Die Ergebnisse beruhen auf einer qualitativen Umfrage unter Ausstellern und Messeplanern sowie einer quantitativ ausgerichteten Befragung auf verschiedenen Fach- und Publikumsmessen. Ziel ist es, der Messewirtschaft Auskunft darüber zu geben, was Besucher sich wünschen und welche Handlungsmöglichkeiten daraus resultieren – dies alles vor dem Hintergrund der Erstellung, Steuerung und Beurteilung von „Atmosphären mit Erlebnischarakter“. Die gesamte Studie steht als kostenloser Download auf den Webseiten des AUMA, der ITB und der hdpk zur Verfügung.
Die menschliche Psychologie im Mittelpunkt
Beginnen wir ausnahmsweise einmal beim Ende: Denn beim menschlichen Erleben handelt es sich genau betrachtet stets um die Erinnerung daran. Ist diese positiv, wird auch die damit verbundene Veranstaltung als positiv wahrgenommen. Da das „Erlebnis Messe“ daher rückblickend immer als Ganzes betrachtet wird, sollten Veranstalter und Aussteller versuchen, den Ausgang der Messe positiv zu verstärken. Solche Verstärker können etwa besondere Give-aways, eine hohe Abreisequalität oder die nachträgliche Kommunikation mit dem Besucher sein. Letztere ist ohnehin angeraten, da eine effiziente Nachbearbeitung die wesentliche Grundlage für die Verbesserung der kommenden Messeausgabe darstellt − aber dazu später mehr.
Natürlich lässt sich bei einer Großveranstaltung nicht jeder Gast einzeln „bedienen“, zumal das persönliche Empfinden jedes Menschen äußerst subjektiver und individueller Natur ist. Das wiederum heißt, dass jedes Detail in Planung und Durchführung von Bedeutung sein kann, da man im Vorfeld nicht weiß, was in welcher Form auf den Gesamteindruck einzahlt. So mag etwa allzeit dichtes Gedränge am Messestand vom Aussteller als Erfolg verbucht werden, aber das Erlebnis des Einzelnen trüben. Auch großangekündigte Events, die aus Zeit-, Platz- oder technischen Gründen nur wenigen Besuchern vorbehalten sind, können z.B. bei Nichtteilnehmern, die sich darauf gefreut haben, am Ende zu Unmut führen.
Unabhängig von allen Individualitäten lassen sich personenübergreifend aber durchaus Übereinstimmungen in der Wahrnehmung großer Menschenansammlungen und dichter Situationen finden. Schließlich funktionieren die menschlichen Sinnesorgane am Ende immer gleich. Hier ist eine Clusterbildung ratsam, um Erlebniswelten für größere Gruppen und Gemeinschaften zu inszenieren, denen man eine ähnliche Erwartungshaltung nachsagen kann. Es gilt also, seine Zielgruppen möglichst genau zu kennen oder überhaupt kennenzulernen, was bestimmt nicht jede Fachmesse von sich behaupten kann.
Schlussendlich sollten sowohl das Individualerlebnis als auch das Gemeinschaftsempfinden als positiv wahrgenommen werden, damit ein guter Gesamteindruck im Gedächtnis haften bleibt. Eine gezielte Mischung aus der aktiven Teilnahme des Besuchers und dem Abgeholtwerden durch das Serviceumfeld, also aus Eigeninitiative und Fürsorge, ist in den meisten Fällen der richtige Weg, um im Rahmen einer Messe ein laut der Studie „vollständiges und sinnhaftes“ Erlebnis zu schaffen.
Dem Erwartungshorizont gerecht werden
Sowohl für die gesamte Messeorganisation als auch für den einzelnen Standbetreiber ist es wichtig, die Bedarfe der Besucher bestmöglich zu berücksichtigen. Das beginnt bei an sich recht profanen Fragestellungen wie dem benötigten Raum-/Platzbedarf, eine als angenehm empfundene Zeittaktung, der guten Orientierung vor Ort, Möglichkeiten der Reflektion und Raum zur Interaktion bzw. Kommunikation. Die passgenaue und an die Erwartungshaltung ausgerichtete Umsetzung ist somit ein zentraler Aspekt einer gelungenen Messegestaltung.
Das daran geknüpfte Erwartungsmanagement sollte allen Bezugsebenen gerecht werden, die zwischen Messe, Aussteller und Besucher bestehen. So mag ein noch so spektakulärer Stand womöglich nicht ins Gesamtgefüge einer Messe passen oder das großangelegte Messemarketing nicht das halten, was es verspricht. Je besser sich alle Akteure absprechen und je einheitlicher die daraus resultierenden Pläne sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesamteindruck positiv ausfällt.
Klar ist, dass eine Messe mit zahlreichen Beteiligten nicht in jeder Hinsicht homogen sein kann. Doch trotz enormer Anstrengungen und pausenlosem Einsatz hinter den Kulissen müssen die Ausrichter den Gästen das Gefühl vermitteln, dass alles leicht von der Hand geht. Hierzu ist ein immens hoher Serviceaufwand nötig, der sich aber dann auszahlt, wenn kleine Probleme freundlich gehandhabt und schnell gelöst werden können, wenn Hilfe suchenden Besuchern sympathische und kompetente Ansprechpartner zur Seite stehen. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber wer in einem guten Restaurant nicht angemessen bedient wird, der wird auch das Essen in schlechter Erinnerung behalten.
Vom Erwartbaren zum Überraschenden
Die Studie „Erlebnis Messe“ blickt natürlich nicht nur auf die informativ-organisatorische Seite, sondern widmet sich auch den immer bedeutender werdenden Faktoren Sinn und Genuss. Selbst thematisch „trockene“ Fachmessen konkurrieren heute unbewusst mit den Unterhaltungsmedien und dem Freizeitmarkt. Gäste erwarten schlichtweg das, was sie aus ihrem eigenen Alltag gewöhnt sind. Dazu zählen multimediale Inszenierungen, digitale Add-ons, praktische Apps, freies Breitbandinternet und Lounge-Areas, um nur einige Beispiele zu nennen.
Wie in der modernen Küche geht der Trend hin zur „Fusion-Messe“, die versucht, das beste mehrerer Welten unter einem Dach zu vereinen. So können beispielsweise Vorträge und Workshops in entspannende und belebende Szenarien eingebettet werden, die von Erlebnisexperten entsprechend kreiert werden. Dabei geht es jedoch nicht darum, alles zu versuchen, was technisch möglich ist oder das Budget zu überreizen, sondern mit Blick auf das Gesamterlebnis das Zufriedenheitslevel zu erhöhen. Veranstalter und Aussteller sind dennoch aufgefordert, den vorherrschenden Zeitgeist und aktuelle Techniktrends soweit wie möglich in ihre Planungen einzubeziehen.
Je nach Fachgebiet kann der „Bildungsauftrag“ einer Messe, bei dem es darum geht Wissen zu erlangen und Neues zu lernen, durchaus unabhängig vom unterhaltenden und entspannenden Teil inszeniert werden. Ein wichtiger Aspekt, der bisher kaum Beachtung findet, ist dabei die Motorik, d.h. die physische Bewegung des Besuchers im Raum. Denn diese wird − unabhängig vom klassischen „Stände abklappern“ – als persönlicher Freiraum empfunden. Das Gesamterlebnis wird positiv verstärkt, wenn der Gast das Gefühl hat eigeninitiativ tätig zu sein, wie es durch spielerische, auf Erkundung ausgelegte Konzepte im Raum möglich wird.
Nach der Messe ist vor der Messe
Was die Studie „Erlebnis Messe“ ebenfalls belegt, klingt zunächst profan: Die Geschmäcker sind verschieden. Soll heißen: Unterschiedliche Messen und damit verbundene Ereignisse ziehen auch unterschiedliche Besucher mit divergierenden Interessen und Wünschen an. Dazu gehört auch, wie der „Flow“ einer Messe wahrgenommen wird und was am Ende als Erlebnishöhepunkt der Veranstaltung gilt. Von daher ist es von entscheidender Bedeutung, seine Zielgruppe möglichst gut zu kennen, womit wir wieder beim Anfang dieser Ausführungen wären. Umfragen im Vorfeld und während einer Messe helfen beim Kennenlernen der Wünsche und Erwartungen der Besucher. Besonders qualitative Fragestellungen wie „Was hat Ihnen besonders gut gefallen?“ oder „Was halten Sie für verbesserungswürdig?“ liefern teils überraschende Ergebnisse und helfen, in die Gedankenwelt des einzelnen Besuchers einzutauchen. Generell aber ist jede Messe als ein dynamisches Konzept zu begreifen, das mit der Zeit gehen muss, um mit den wechselnden Bedürfnissen der an sich schon weitgehend gesättigten Masse Schritt zu halten.
Die Fusion mit dem Festival
Die Studie spricht den Trend der zunehmenden „Festivalisierung“ an, mit der eine Verlagerung von Sachargumenten wie Nutzen, Wissen oder Notwendigkeit auf Lebensstilargumente wie Freude, Genuss und Schönheit stattfindet. Hier haben sich in den letzten Jahren – nicht zuletzt getrieben durch die Startup-Szene – Formate etabliert, die immer mehr Festivalcharakter aufweisen. Die gewohnte Top-down-Bespielung findet so ihr natürliches Ende, denn der Besucher entdeckt für sich eigene Erkundungswege, die sich weniger an den ausgeschilderten Laufwegen orientieren, sondern daran, was wann wo an vermeintlich spannenden Erlebnissen geboten wird. Zumindest die Publikumsmesse scheint bereits im Bereich der Unterhaltung angekommen zu sein und stellt für die meisten Besucher inzwischen ein beliebtes Freizeitangebot dar.
Auch die Einbeziehung neuer, abseits vom Messegeschehen gelegener Orte in den Gesamtkontext wird zusehends beliebter. Ob altes Industriegelände oder ehemalige Amüsiertempel – Veranstalter wie Aussteller können auf diese Weise die Messe zur Schaffung besonderer Erlebniswelten und Atmosphären nutzen. So gehen die Verantwortlichen der ITB respektive deren Aussteller beispielsweise schon in vielfältiger Form nach draußen, um bestimmten Besuchergruppen das ganz besondere Erlebnis zu ermöglichen. Während die Basis der Messe stabil bleibt, sorgen eigens geschaffene Enklaven für ein mögliches Highlight, das individuell bespielt werden kann und deshalb in besonderer Erinnerung bleibt.
Fazit: Nach der Messe ist vor der Messe
Gesellschaftliche Veränderungen und Trends wie die zunehmende Digitalisierung fordern von der Messewirtschaft dynamische Anpassungsprozesse. Zwar möchte sich der Besucher auch weiterhin bestens betreut fühlen, dabei aber nicht auf den Eindruck verzichten, dass er selbst sich auf die Reise begibt, um gleichsam neue Welten zu entdecken. Auch wenn jeder individuelle Weg bereits in den Planungen vorgezeichnet ist: Für den Besucher geht es am Ende darum, dass die eigene Initiative zu einer positiven Erlebniswahrnehmung geführt hat.
Aufgrund der Vielfalt an Ausstellern wird die Messe zwar immer ein heterogenes „Gesamtkunstwerk“ bleiben, bietet daher aber im Vergleich zu anderen Eventformaten die Möglichkeit zur Schaffung verschiedenster Erlebniswelten. Das „Erlebnis Messe“ wird dabei auf physisch-biologischer und psychologisch-sozialer Ebene wahrgenommen, die beide entsprechend bedient werden wollen. Die Studie verweist hier auf den Begriff der Atmosphäre, das heißt dem Gesamtkomplex aus leiblich-sinnlicher Wahrnehmung in einer spezifischen Umgebung, der vom Empfindenden bestimmte Attribute beigemessen werden.
Jede Atmosphäre hat erheblichen Einfluss darauf, wie man sich in ihr verhält: in einem Sternerestaurant eben ganz anders als in einem Gasthof, auf der Pferderennbahn anders als im Fußballstadion. Auf ein und derselben Messe lassen sich theoretisch die unterschiedlichsten Atmosphären schaffen, was Segen und Fluch zugleich sein kann. Daher ist es von Bedeutung, die Erwartungen seiner Besucher bestmöglich zu kennen und von der einen Messeausgabe zur nächsten die richtigen Anpassungen vornehmen zu können. Anpassungen, die neben dem aktuellen Zeitgeist und digitalen Trends vor allem eines im Blick haben: die Sicht des Besuchers auf das Messegeschehen sowie auf sich selbst als aktiver Teilnehmer und wichtigste Person vor Ort.
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Bildquelle: Michael Pasternack/GCB