Grundmodus der Zusammenarbeit
Ein Gespräch mit Simon Werther über die Facetten von Feedback
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Feedback hat viele Facetten. Unser Gespräch versucht, möglichst viele davon deutlich werden zu lassen - von Agilität über Überwachung bis Zusammenarbeit.
Simon Werther ist Professor für Leadership an der Hochschule München, Berater, Keynote Speaker und Autor zahlreicher Fachbücher und Fachartikel. Er ist Experte für Feedback und Mitgründer des Start-ups HRinstruments, das Tools für unterschiedliche Feedbackformen anbietet. 2020 ist sein Buch Feedback in Zeiten der Agilität erschienen.
Herr Werther, ganz hinten in Ihrem Buch findet sich ein kleiner Stoßseufzer: „Immer dieses Feedback!" Bekommen Sie das öfter zu hören?
Ja, Feedback wird durchaus kontrovers gesehen. Es ist nicht per se positiv besetzt. Einfach deshalb, weil Feedback immer eine Auseinandersetzung mit sehr persönlichen, identitätsstiftenden Aspekten des eigenen Verhaltens bedeutet. So finden sich in Unternehmen häufig zwei Lager: Offen, dynamisch, flexibel, agil eingestellte Mitarbeitende und Führungskräfte sind offen für das Thema und nehmen sich dessen an, während andere eher in ihrer Komfortzone bleiben möchten.
Um diese Lagerbildung aufzugreifen: Wie erklären Sie einem Feedbackskeptiker die Bedeutung von Feedback?
Damit, dass Feedback ein Ausgangspunkt für Veränderung ist und Veränderung immer vielfältige Chancen mit sich bringt. Ich würde also über die potenziellen Chancen argumentieren - ohne zu verschweigen, dass mit Feedback natürlich Herausforderungen einhergehen, weil Bestehendes infrage gestellt wird: bestehende Verhaltensweisen ebenso wie bestehende Strukturen, Routinen, Rituale.
Welche Herausforderungen und Chancen sind das vor allem?
Zunächst: Eine Rückmeldung an sich heißt noch nicht, dass etwas damit passiert. Man muss darüber in einen Austausch gehen, muss die Rückmeldung einordnen und gewichten und muss Veränderungen daraus ableiten. Das ist ein Prozess, der durchaus Aufwand und einiges an Zeit erfordert. Wenn das allerdings ernsthaft geschieht, bietet Feedback die große Chance, eine bessere Ebene der Zusammenarbeit und eine höhere Ebene der Zufriedenheit bei der Arbeit zu erreichen. Und ich bin davon überzeugt, dass das etwas genuin Menschliches ist, das für jeden von uns ein Anliegen darstellt.
Woher rühren diese Vorbehalte gegenüber Feedback? Liegt das darin, dass Feedback immer die eigene Selbstwahrnehmung mit Fremdwahrnehmungen konfrontiert?
Es hängt sicher damit zusammen, dass Feedback immer eine Erweiterung und Infragestellung der eigenen Wahrnehmungen bedeutet und so die eigene Identität und Realitätskonstruktion herausfordert. Weil Feedback die Realität, wie ich sie bisher wahrgenommen habe, ein Stück weit zurechtrückt. Feedback verändert meine Identität und Realitätskonstruktion, wenn ich mich des Feedbacks wirklich annehme und es zumindest teilweise in meine Selbstwahrnehmung integriere. Es ist ein konstruktivistischer Prozess, der erfordert, sich zurückzunehmen und aus einer Metaperspektive auf mich selbst, mein Team, mein Unternehmen zu schauen und diese Wahrnehmungen dann zu etwas Neuem zusammenzufügen. Das fällt verständlicherweise nicht jedem leicht. Und das kann mit vielen Ängsten verbunden sein. Feedback bedeutet also eine Reise in Richtung einer neuen Identität, egal, ob es die Identität eines Individuums, eines Teams oder eines ganzen Unternehmens ist.
Nun ist Feedback immer eine heikle Sache, hat oft den Beigeschmack von Dreinreden, Belehren, Besserwissen. Wie kam denn Feedback überhaupt in die Arbeitswelt? Historisch ist es vermutlich eine relativ junge Geschichte.
Diese Ausrichtung von Feedback auf Verhalten, auf Persönlichkeit und Zusammenarbeit ist ein recht junger Ansatz. Das hat die letzten 20, 30 Jahre stark an Fahrt aufgenommen, verbunden mit der Entwicklung von Formaten wie Mitarbeitergesprächen, 360-Grad-Feedback, Mitarbeiterbefragungen. Davor war Feedback eher objektiviert und bezog sich auf Leistung und Produktivität. Es hatte somit die Ausprägungen „richtig oder falsch": schneller werden, besser werden, und das gemessen an objektiven Kriterien. Dieses Bild wurde und wird immer noch über familiäre und gesellschaftliche Sozialisation, schulische und universitäre Bildung und unser Lernen weitergegeben und schwingt heute bei vielen von uns noch mit.
Doch davon müssen wir uns unbedingt lösen, wenn wir Feedback als Chance für tiefgreifende Entwicklung begreifen möchten. Denn auf der Ebene des Verhaltens, der Persönlichkeit und der Zusammenarbeit gibt es kein „richtig oder falsch". Die grundlegende Frage ist vielmehr: „Wie sehe ich mich und die Welt, und wie sehen andere mich und die Welt?" Daran schließt sich die Frage an, wie man konstruktivistisch etwas Neues, etwas Besseres daraus gestalten kann, aber eben nicht zwangsweise im objektiviert produktiven Sinne. Insofern ist diese Variante von Feedback zweifellos eine jüngere Entwicklung, die durch die Transformation in Richtung einer stärker dienstleistungsgetriebenen und digitalisierten Wirtschaftswelt noch mal beschleunigt wurde. Gerade durch agile Ansätze wie beispielsweise Scrum, bei denen Feedback in Form von Retrospektiven einen extrem hohen Stellenwert besitzt, hat das Thema weiter an Dynamik und Gewicht gewonnen. Auch das ist eine recht junge Entwicklung.
Kürzlich ist Feedback über die Praxis beim Online-Händler Zalando in negatives Licht geraten. Das 360-Grad-Feedback-System, das das Unternehmen einsetzt, wird sehr kontrovers beurteilt; Mitarbeiter sprachen von „360-Grad-Überwachung", das Unternehmen hingegen von „gelebter Feedbackkultur", Datenschützer haben Änderungen durchgesetzt. Wie ist dies aus Ihrer Sicht zu bewerten?
Ich kann die Bedenken der Datenschützer in diesem Fall durchaus nachvollziehen, da es offensichtlich weniger um entwicklungsorientierte Rückmeldung als um leistungsorientierte Rückmeldung geht. Diese Differenzierung ist für personenspezifisches Feedback von sehr großer Bedeutung, da Feedback als Leistungsbeurteilung natürlich eine ganz eigene Dynamik mit sich bringt und bei falscher Prozessgestaltung und unpassenden Rechte- und Rollenkonzepten durchaus zu Überwachung führen oder sich zumindest so anfühlen kann. Die Gewährleistung von Anonymität und umfassende Einsichtsrechte für das Management sind hier besonders kritische Punkte.
Bei Feedback als Entwicklungsförderung verhält es sich hingegen anders, da hier die individuelle Entwicklung von Mitarbeitenden im Mittelpunkt steht. Doch auch hier sind angemessene Anonymität an den richtigen Stellen und passende sowie datenschutzkonforme Einsichtsrechte wichtig. Spannend ist hier zusätzlich die Frage nach den Folgen von Feedback: Wenn Feedback auf wenig transparente Art und Weise negative Folgen für den Mitarbeitenden nach sich ziehen kann, dann spricht vieles für eine unpassende Prozessgestaltung und ein unangemessenes Rechte- und Rollenkonzept.
Agile Konzepte gewinnen zunehmend an Boden in den Unternehmen. In der Breite gesehen - wie schätzen Sie die Entwicklung von Feedback in den Unternehmen ein?
Die Bedeutung von Feedback, von digitalen Feedbackinstrumenten ebenso wie von analogen Feedbackformaten, hat stark zugenommen, gerade in den letzten drei, vier, fünf Jahren. Aber es ist in fast allen Unternehmen immer noch ein großes Entwicklungsfeld und hat viel Ausbaupotenzial. Nachdem Feedback stark identitätsstiftend und konstruktivistisch wirkt und stark mit der Kultur zusammenhängt, ist es ein langer Prozess. Nichts, was sich von heute auf morgen durchsetzen wird.
Von welchem Zeitrahmen gehen Sie aus?
Realistisch fünf bis zehn Jahre, wenn ein Unternehmen wirklich ernsthaft die eigene Feedbackkultur entwickeln will. Deshalb überrascht es auch nicht, dass es in fast allen Unternehmen noch deutliche Entwicklungspotenziale besitzt. Dennoch sehe ich viele Fortschritte. Vor allem hat die Bedeutung von Feedback gerade auf der Leitungsebene, bei Vorständen und Geschäftsführern, stark zugenommen. Aber es gilt, das mit Leben zu füllen und über mehrere Jahre dranzubleiben, damit es eine ernsthafte Veränderung und einen wirklichen Kulturwandel nach sich ziehen kann.
Worin bestehen denn diese Voraussetzungen für eine Etablierung von Feedback?
Ein ganz zentraler Punkt ist Vertrauen. Vertrauen in verschiedenste Richtungen: (Selbst-)Vertrauen in mich als Individuum, Vertrauen in die kollektive Zusammenarbeit und in meine Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen in die Führungskräfte, Vertrauen in das Unternehmen - Vertrauen auf allen Ebenen letztlich. Wenn Vertrauen nicht Grundlage jeglichen Feedbacks ist und Vertrauen nicht ein Kulturmerkmal innerhalb des Teams oder Unternehmens bildet, dann ist es schwierig bis unmöglich, eine wirkliche Feedbackkultur zu etablieren. Weil Feedback dann als Gefahr wahrgenommen wird, weil es missbraucht werden kann, um Entscheidungen und Prozesse durchzusetzen.
Vertrauen ist also eine ganz entscheidende Voraussetzung. Hinzu kommt ein gewisser Reifegrad im Hinblick auf Selbstreflexion, auf die kritische Wahrnehmung der eigenen Person. Denn das ist Voraussetzung, um Selbst- und Fremdbild zu etwas Neuem zusammenfügen zu können.
Und Agilität, die ja momentan sehr hoch im Kurs steht, wirkt als Beschleuniger dieser Entwicklung?
Durch die Fokussierung auf Agilität, auf agile Strukturen und agile Prozesse in Unternehmen gewinnt auch Feedback an Bedeutung. Agilität bedeutet ja letztlich, dass die Anpassungsfähigkeit erhöht wird. Somit ist Agilität ohne Feedback schwer möglich, denn Feedback ist der Ausgangspunkt für Anpassung und Veränderung. Und Feedback führt somit zu einer stärkeren Agilität, weil in einem kontinuierlichen, iterativen Prozess Dinge hinterfragt und weiterentwickelt werden. Insofern befeuern sich diese beiden Entwicklungen wechselseitig.
Würden Sie die Zusammenhänge zwischen Feedback und Agilität sowie Feedback und Iteration ein bisschen ausführlicher darstellen? Das finde ich einen sehr spannenden Aspekt.
Ich fange mal mit Feedback und Iteration an. Bei Feedback geht es letztlich darum, dass eine Person sich kontinuierlich weiterentwickelt, eben nicht nur durch eigene Erfahrungen, sondern auch durch Rückmeldungen, die sie bekommt, also im besten Fall durch wertschätzendes, konstruktives Feedback. Findet das in gewissen Zyklen statt, also in Iterationen, beispielsweise alle zwei Wochen oder einmal im Monat eine Retro-Runde mit den Mitarbeitenden, dann entsteht eine Regelmäßigkeit, die in einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess mündet.
Und genau dieser Iterationsgedanke ist ein Grundmerkmal agiler Ansätze. Um mal Scrum herauszugreifen: Scrum bedeutet, feste Zyklen einzuführen, beispielsweise einen dreiwöchigen Sprint, der eben immer drei Wochen dauert und an dessen Ende immer eine Retrospektive stattfindet, wo die Beteiligten zurückschauen und fragen: „Was ist uns als Team gut gelungen und was ist uns nicht so gut gelungen?" Dadurch entsteht eine Kontinuität in der Zusammenarbeit, die eine beständige Weiterentwicklung ermöglicht. Auf diese Weise kommt auch Struktur in einen sehr komplexen Prozess der Weiterentwicklung, sei es der Zusammenarbeit im Team im Hinblick auf agile Strukturen und Prozesse, sei es der persönlichen Weiterentwicklung, der Personalentwicklung, der Teamentwicklung, der Organisationsentwicklung im Hinblick auf Feedback. Insofern gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Allgemein gilt: Feedback ist ein zentrales Element aller ernsthaften agilen Ansätze und Methoden. Denn durch Feedback werden Verbesserungen erreicht, kommt Weiterentwicklung in Gang, Produktivität und Zufriedenheit erhöhen sich. Auch wenn das natürlich kein Automatismus und kein Selbstläufer ist. Daher ist Feedback immer Element eines Transformationsprozesses in Richtung Agilität. Und zwar zwangsläufig, weil sich Agilität kulturell oder strukturell nicht entwickeln kann, wenn nicht systematisch Feedbackprozesse etabliert werden, wenn sich nicht ein Feedbackverhalten entwickelt und eine Feedbackkultur entsteht, in der Feedback zum Grundmodus der Zusammenarbeit wird.
Stichwort Feedbackkultur - Sie sprechen auch von Feedbacklandschaft. Was verstehen Sie unter diesen Begriffen?
Feedbackkultur meint eine Unternehmenskultur, die ein offenes und wertschätzendes Feedback explizit als kollektiv geteiltes und erstrebenswertes Kulturmerkmal pflegt und dies in den Werten und Normen der Organisation verankert. Das bedeutet, dass man sich auf kultureller Ebene ernsthaft mit dem Thema Feedback auseinandersetzt. Um das operativ umzusetzen, braucht es Ansätze, Methoden, Instrumente - digitale oder analoge -, und das ist es, was ich gerne als Feedbacklandschaft bezeichne: eine vielfältige Szenerie mit verschiedenen Elementen, von denen jedes seine Bedeutung und Berechtigung hat und nur durch deren Zusammenspiel ein Ganzes, eine Landschaft entsteht. Eine Feedbacklandschaft ist somit die operative Umsetzung der Feedbackkultur anhand verschiedener Instrumente, Formate und Ansätze.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel eine Mitarbeiterbefragung auf organisationaler Ebene, die jährlich durchgeführt wird; eine Pulsbefragung, die quartalsweise durchgeführt wird; ein Entwicklungsgespräch für Mitarbeitende, das ebenfalls alle drei Monate durchgeführt wird; ein Teamdialog, der einmal im Monat stattfindet, eine Retrospektive, die kontinuierlich projektbezogen abgehalten wird - und so weiter. So greifen verschiedene Instrumente mit unterschiedlichen Zielsetzungen ineinander, ergänzen sich und ergeben in Summe eine Feedbacklandschaft, die die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Feedbackkultur unterstützt. Das ist der Grundgedanke.
Es ist jetzt recht viel von Tools, Instrumenten und Ansätzen die Rede gewesen. Doch sind Tools der entscheidende Punkt? Kommt es nicht viel mehr auf eine bestimmte Grundhaltung der beteiligten Personen an: Offenheit, Lernbereitschaft, die Fähigkeit, mit Sichtweisen anderer umzugehen?
Auf jeden Fall. Das spielt kulturell eine große Rolle. Die Haltung, die Sie ansprechen, ist letztlich eine Grundvoraussetzung, die für mich bei den Punkten Reifegrad und Selbstreflexion beinhaltet ist. Aber gut, dass Sie diesen wichtigen Punkt noch einmal aufgreifen, denn die tollsten Tools und die besten Methoden können komplett verpuffen, wenn nicht eine Offenheit vorhanden ist, die Tools und Methoden letztlich erst möglich macht. Offenheit bedeutet sowohl Vertrauen zueinander als auch die Bereitschaft, sich selbst zu öffnen für Neues aus dem Selbstreflexionsprozess. Das sind Voraussetzungen auf individueller und kultureller Ebene, um eine Feedbacklandschaft zum Fliegen zu bringen, um das mal so auszudrücken.
Also eine Bereitschaft, Wissen zu teilen und voneinander zu lernen. Ist es das, was eine Feedbackkultur auszeichnet?
Das ist zweifellos ein wichtiges Merkmal einer Feedbackkultur. Doch es geht nicht nur um Wissen, sondern es geht auch um Bedürfnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Werte, Normen und vieles mehr. Letztlich geht es um die Bereitschaft, sich fachlich, inhaltlich und persönlich offen zu begegnen und sich gegenseitig zuzumuten.
Das verträgt sich vermutlich nicht gut mit einer hierarchischen Unternehmensorganisation. Bedingt eine Feedbackkultur ein partizipatives Organisationsmodell?
Vollkommen richtig, genau deshalb geht die Etablierung einer Feedbackkultur oftmals mit einer umfassenden strukturellen Transformation von Unternehmen einher. Soziokratie oder Tribe Models sind zwei Ansätze, die genau in diese Richtung gehen. Doch genau hier wird es durchaus herausfordernd, weil die Unternehmenskultur in vielen Unternehmen extrem hierarchisch und autoritär geprägt ist. Und viele Geschäftsführer und Vorstände zwar gerne von Agilität und Flexibilität sprechen, aber ungern ihre eigene Macht und ihren eigenen Einfluss abgeben. Doch genau das ist Voraussetzung dafür, dass ein partizipatives Organisationsmodell und eine echte Feedbackkultur zum Leben erweckt werden.
Gut. Mein Einwand eben zielte vor allem auf die verbreitete Tool-Orientierung, die auch im Feld Agilität zu beobachten ist.
Diese Gefahr sehe ich auch. Ich erlebe recht häufig, wie ein Wandel in Richtung stärkerer Agilität im Unternehmen total falsch verstanden wird - ganz nach dem Motto: Wir führen jetzt Scrum ein, dann sind wir agil. Wo Tools gleichgesetzt werden mit Kultur und Haltung. Letztere sind aber die Voraussetzung dafür, dass ein Tool wirklich einen Mehrwert schaffen kann. Scrum in einem hierarchischen Kontext zu etablieren, führt keineswegs zu einem agilen Transformationsprozess, sondern schafft allenfalls eine sehr paradoxe Parallelwelt.
Insofern: Tools sind nicht die Lösung, sondern ein Baustein von vielen, um das Thema Feedback voranzubringen. Und analog ist es bei Agilität. Ich glaube, hinter dieser Tool-Orientierung steckt der Wunschglaube, es reiche, schnell ein, zwei, drei Tools einzuführen, und schon wäre man auf Kurs, egal ob es um Feedback oder Agilität oder Digitalisierung geht. Dahinter steht sicherlich auch der Wunsch, Komplexität reduzieren zu können. Weil es schön wäre, wenn es so einfach wäre. Aber so einfach ist es eben nicht. Natürlich ist es viel mühsamer, sich eines komplexen Veränderungs- und Transformationsprozesses anzunehmen, der über Jahre im Zusammenspiel verschiedenster Methoden und Tools in verschiedenen Konstellationen begleitet werden muss.
Dennoch ist die Entwicklung bei den Tools durchaus interessant: Da scheint es eine Veralltäglichung von Feedback zu geben. Feedback wird kleinteiliger, geht weg von den großen Instrumenten wie der alljährlich stattfindenden Mitarbeiterbefragung oder einem relativ aufwendigen 360-Grad-Feedback hin zu kleineren Schritten und iterativen Zyklen, gerade bei den digitalen Tools. Ist das richtig beobachtet?
Vollkommen richtig beobachtet. Das hängt auch mit dieser Parallelität der Entwicklung im Bereich Agilität zusammen. Da gibt es viele Wechselwirkungen. Generell gilt: Feedback wird kleinschrittiger, kontinuierlicher, geht weg von Jahres-, Zweijahres-, Dreijahreszyklen hin zu 14-tägigen, monatlichen bis quartalsweisen Iterationen oder selbstgesteuerten Ansätzen, wo es gar keine festen Zyklen mehr gibt, sondern ein Team oder eine Projektgruppe für sich einen Feedbackprozess starten kann. Sowohl mit festen Iterationen als auch mit selbstgesteuerten Ansätzen wird Feedback kleinschrittiger und ist dadurch natürlich näher dran an der Realität und realistischer in den Ergebnissen. Das Problem der oftmals aufwendigen analogen Feedbackformate lag oftmals gerade auch in der langen Laufzeit. Überspitzt gesagt wurde alle ein, zwei, drei Jahre eine große Mitarbeiterbefragung gestartet, und wenn dann zwei, drei Monate später die Ergebnisse vorlagen, sah die Realität eigentlich schon wieder anders aus. Digitale Tools dagegen liefern Feedback quasi in Echtzeit. Sobald aber Papierprozesse beteiligt sind, entsteht eine so große Verzögerung, dass schnellere Iterationen und kürzere Zyklen gar nicht mehr möglich sind.
Das führt zur Frage: Wie aufwendig oder „wie groß" muss ein Feedback eigentlich sein? Der Begriff Mikrofeedback beinhaltet ja genau dieses Kleinteiligere. Also im Grunde Feedback in den Alltag einfließen zu lassen. Ist der Begriff hilfreich?
Auf jeden Fall. Auch dieses kleinteiligere, alltägliche Feedback ist eine Entwicklung der letzten Jahre, für die es verschiedene Begrifflichkeiten gibt. Teilweise wird von Mikrofeedback gesprochen, teilweise, gerade wenn es um digitale Ansätze geht, von Instantfeedback. Gemeint ist ein ganz stark arbeitsbezogenes, alltagsbezogenes Feedback, losgelöst von Zyklen und Iterationen. Also ein Feedback, das sich verselbständigt und in den Alltag integriert wird und das dadurch viel kleinere Häppchen von Rückmeldung umfasst. Das ist eigentlich das, was man sich als Zielzustand wünschen würde: Wenn es gelingt, eine Feedbackkultur und eine wirkungsvolle Feedbacklandschaft aufzubauen, dann braucht es irgendwann gar keine vorgegebenen Zyklen und Iterationen mehr, weil individuell und teamseitig proaktiv und selbstgesteuert sehr kleinteilige, alltagsbezogene Rückmeldungen gegeben und empfangen werden, ohne dass es feste Anlässe dafür bräuchte. Das wäre die Königsdisziplin. Noch sind wir aber noch nicht so weit - und vielleicht ist es auch eine Utopie, jemals zu diesem Zustand zu kommen. Weil ein solches Feedback im Alltag, wenn es stressig wird und sich Dinge ändern, dann doch unter den Tisch fällt. Insofern sind Instant- und Mikrofeedback ein Format neben vielen anderen. Aber dieses kleinteilige Feedback ist genauso wertvoll wie institutionalisiertes, umfangreicheres Feedback, weil es einen starken Bezug zum Arbeitsalltag hat.
Ich hatte Mikrofeedback und Instantfeedback gar nicht als synonyme Begriffe wahrgenommen.
Es ist auch nicht deckungsgleich. Bei Mikrofeedback liegt, so wie ich es konzeptionell kennengelernt habe, der Fokus stärker im Präsenzfeedback, im direkten Austausch oder auch auf einem telefonischen Minifeedback. Instantfeedback hingegen ist vollständig auf der digitalen Ebene angesiedelt. Aber im Kern sind beide Formen sehr ähnlich. Der Hauptunterschied ist tatsächlich das Medium: persönlich präsent beziehungsweise per Telefon bei Mikrofeedback versus ein in einem digitalen Tool abgebildeter kleinschrittiger Prozess bei Instantfeedback.
Mikrofeedback hieße in diesem Sinne, das kleine Lob, die Wertschätzung, die direkte Rückmeldung in den alltäglichen Umgang einfließen zu lassen?
Genau.
Wenn Feedback alltäglich würde als ein Prozess gegenseitigen Lernens, wäre der Begriff Feedback dann noch nötig und sinnvoll? In radikalen Ansätzen der Organisationsentwicklung findet sich ja bereits der Vorschlag, das Wort Feedback durch „Dialog" zu ersetzen. Trifft es das? Oder braucht es doch irgendwie eine Form und einen Anlass, und sei es zur Erinnerung und Ritualisierung?
Feedback und Dialog sind schon sehr unterschiedliche Konzepte, wenn ich es aus einer wissenschaftlichen Perspektive betrachte. Darüber hinaus bin ich kein Freund davon, durch eine andere Benennung tiefer liegende Herausforderungen lösen zu wollen. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich bin auf Basis der psychologischen Forschungsergebnisse, die mir bekannt sind, der Überzeugung, dass Rituale von extremer Bedeutung für uns Menschen sind, sowohl im beruflichen als auch im privaten Alltag. Gerade durch Stresssituationen kommen wir in einen anderen kognitiven Verarbeitungsmodus, unsere Sinne nehmen selektiver wahr. Das bedeutet, dass gerade in solchen Situationen und Zuständen die Bedeutung von Ritualen und von eingespielten Iterationen und ritualisierten Abläufen hilfreich ist. Auf Feedback sollte immer Dialog folgen, dem würde ich uneingeschränkt zustimmen. Aber Feedback durch Dialog zu ersetzen, löst erst mal kein Problem.
Wenn wir uns diese ganze Bandbreite anschauen, vom Mikrofeedback über diverse Tools bis hin zur Feedbacklandschaft: Liegt darin die Zukunft des Feedbacks?
Davon bin ich überzeugt. Weil es nicht den einen Ansatz, die eine Methode gibt, die alle Herausforderungen löst. Deswegen kommt man nur mit einem Pluralismus an Ansätzen, an Methoden, an Formaten zum Ziel. Auch deshalb, weil innerhalb eines Unternehmens, gerade bei größeren, aber auch bei kleineren, immer Mitarbeitende mit verschiedenen Reifegraden, mit unterschiedlichen Vorerfahrungen, mit einer unterschiedlichen Haltung zusammenkommen. Deshalb kann die eine Methode für den einen extrem hilfreich sein, während sie für den anderen gar nicht funktioniert. Eine Feedbacklandschaft spannt deshalb bewusst einen Möglichkeitsraum auf und bietet verschiedene Formen an, sich mithilfe von Feedback weiterzuentwickeln. Das ist das große Potenzial, das darin verborgen ist.
Also gilt die Grunderkenntnis aus der Organisationsentwicklung, dass es das Organisationsmodell, die Blaupause nicht gibt, auch für Feedback?
Ja. Bei Organisationsentwicklung ist es so, bei Feedback nicht anders. Vielleicht ist deswegen die Thematik selbst nach über zehn Jahren für mich immer noch so spannend. (lacht)
Die Vielfalt ist eher eine Bereicherung?
Total. Das finde ich das Schöne. Es ist immer wieder beruhigend, dass es so viele wertvolle Ansätze der Organisationsentwicklung gibt. Und so viel funktionieren kann, aber eben nicht muss. Ein Pluralismus an Ansätzen und Methoden macht es so abwechslungsreich für alle Beteiligten. Und das kann man eins zu eins übertragen auf Feedback.
Dieses Interview veröffentlichen wir in enger Kooperation mit der Online-Plattform changeX, wo der Beitrag zuerst veröffentlicht wurde.
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