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Meinung, Agenturen, EventTech

Studio und Kamera

Teil 2 der Nachbesprechung des BrandEx Awards 2021

Nach meinem Überblick zum BrandEx Award 2021, löse ich mein Versprechen ein, und gehe detailliert in 7 Artikeln auf die Award-Verleihung ein. Wohlgemerkt erhebe ich keinen journalistischen Neutralitätsanspruch. Kritik ist subjektiv, kann sich in der Beschreibung des Kritisierten jedoch um Objektivität bemühen. Jeden Artikel teile ich in die Beobachtung und die Konsequenz auf. Es entsteht daraus eine Art Leitfaden für Live Shows im Online-Event-Zeitalter. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich biete Ansätze, Gedanken, Ideen und Visionen und der Rest ist – wie man so schön sagt – up to you!

Die Seite im Freundebuch hat diesmal unser Bildgestalter und Kameramann DOP Michael „Muck“ Kremtz ausgefüllt und seine Inspirationen in diesen Artikel einfließen lassen.

BEOBACHTUNG

„Keine Angst vor Hybrid. Wir sind Profis“, kündigt die Homepage des Spreespeicher Studio von Nikkus vollmundig an. In der Regie setzte man auf die, der Firmen-Homepage nach zu urteilen, fast ausschließlich im Volkswagenkonzern gesammelte Erfahrung der Berliner up and friends GmbH.

Schon in den ersten Sekunden nach dem Einspieler – der Übergang von der sonnig-poppigen Intro-Musik zum altbacken anmutenden Boogie-Woogie-Sound von Axel von Hagen am Keyboard wirkt holprig – sieht man viel Rücken. Moderator Aljoscha Höhn und FAMAB Geschäftsführer Jan Kalbfleisch schlängeln sich durch die Regie auf die nahe Bühne. Im weiteren Verlauf der Show wird man noch oft hören, wie nah die Regie an der Showfläche und vor allem an den Mikros ist.

An der Rückwand hängt ein Bilderrahmen mit dem BrandEx-Award-Plakat. In der Glasscheibe des Rahmens kann der Zuschauer den Lichtaufbau als Spiegelung bewundern. Zwei Kameras zum Hin- und Herschalten zwischen Höhn und Kalbfleisch wären die richtige Wahl gewesen, ergänzt durch eine Totale. Stattdessen wird mit einer Kamera zwischen beiden im On hin und her geschwenkt. Generell laufen ständig Menschen durchs Bild. Ein rotes Licht bei Kameras, die gerade live sind, scheint es nicht zu geben. Höhn kommentiert das immer wieder, es ändert sich daran bis zum Schluss nichts.

Hätte man das „von“ im Namen des Studio-Musikers Axel von Hagen überhört, wäre unter Jazz Fans die Freude über den Karlsruher Gitarristen Axel Hagen groß gewesen. Es handelt sich allerdings um Axel von Hagen, Gründer und Inhaber einer Messebaufirma aus Blomberg. Warum er hier den Alleinunterhalter gibt, bleibt ein Geheimnis der Organisatoren. Von Hagen sitzt hinter einem roten Keyboard. Es scheint, als habe er sein Repertoire bereits in den ersten 22 Minuten rausgehauen, als der Ton-Mann offenbar seine Café del Mar Playlist zur Überbrückung der Verzögerung nicht finden konnte. Keine Verkleidung ums Keyboard, kein Notenständer für die Notizen, kein Studiomonitor. Von Hagen verbringt viele Momente der Show nach rechts gebeugt, um in den auf dem Boden liegenden Notizen nachzulesen, was als nächstes nicht klappt. Aljoscha Höhn zeigt derweil das Studio und hält ein Bild vom letzten Award in die Kamera. Man erkennt nichts, denn die Kamera kommt nicht nah genug ran.

Die Deko von Kaluza + Schmid bietet einige Schauwerte, wirkt aber zusammengewürfelt. Konzept ist kaum zu erkennen. Kein schickes Stage-Design wie in TV-Studios, die man bei Bedarf auch mieten kann, ein bunter Requisitenreigen.

In der Studioküche erwarten den Moderator schließlich zwei Frauen. Allein diese Symbolik lässt einen kurz die letzten LinkedIn Gender-Debatten nochmal durchleben. Warum nehmen Anja Osswald von Phocus Brand Contact und Vera Viehöfer von EREIGNISHAUS einfach hin, dass ihr Ort in der Show – Spoiler: Beide haben genau NICHTS mit Catering zu tun – ausgerechnet die Küche sein muss? Hier bleiben sie die nächsten 120 Minuten festgetackert, ob zum Cocktailmixen, Kommentieren oder kalte Broich-Pizza essen. Moderator Höhn verrät schon mal, dass die zwei auch Preisträgerinnen sind. Na, das kann ja spannend werden. Nicht.

KONSEQUENZ

Konzeption ist der Rahmen, der alles zusammenhält. Es reicht nicht, einen Klappentext zu schreiben und dann zu hoffen, dass jeder versteht, was gemeint ist. Wenigstens eins der zwei Mottos „Die Kraft“ und „Ein Abend unter Freunden“ hätte konsequent in Bühnenbild und Studioästhetik umgesetzt werden können: Eine WG-Küche, der Hotspot einer jeden Party, eng, dunkel und Romantik entsteht durch das Einschalten der Dunstabzugshaubenbeleuchtung. „Die Kraft“ inszeniert in einem Fitnessstudio, einem Boxring oder auf einer überdimensionalen Waage – denn das Gleichgewicht der Eventbranche ist aktuell durch die Pandemie empfindlich gestört.

Dekoration, Requisite und Ausstattung sind Beziehungen auf Zeit mit einem Thema, einer Idee, einer Welt. Diese Liaison sollte von Leidenschaft geprägt sein. Konzepte sind Gemeinschaftswerk und Individualglanztat zugleich. Wenn wir zusammen diskutieren, planen, fühlen, dann passt der Raum zum Motto, dann wird ein Thema visuell erlebbar, dann schaffen wir kreative Orte der Faszination. Auch mit farbigen Lichtakzenten und weniger flach gesetztem Licht schafft man Kontraste und Tiefe in einer Szenerie und setzt Highlights. Mehr dazu im nächsten Artikel.

In unseren Proben – für die man immer genug Zeit einplanen sollte – erschließen wir uns im Team das Set. Moderatoren lernen Entfernungen kennen und besprechen mit Kamera und Regie Wege und Einstellungen. Requisiteure erklären Details. Setbauer zeigen die Möglichkeiten und definieren benötigte Umbauzeiten. Gemeinsam wächst ein Bild von dem, was man in dem erschaffenen Raum erleben, zeigen und tun kann. Dieses Bild wird dann durch die Kameras vermittelt und trägt die Begeisterung für kleine und große Dinge, Themen und Protagonisten zum Zuschauer.

Mit Blick auf Teil 1 meiner Reihe und das Community-Building haben die Zuschauer im Studio völlig gefehlt. Man kann eingesendete Fotos und Videos zeigen, eine Twitter Wall sogar architektonisch effektvoll einbauen und Schalten nach Hause zu den internationalen Gästen umsetzen. Über die Show hinweg kann auf einer LED-Wand ein Kunstwerk mit den Interpretationen des Mottos entstehen. Es ist außerdem möglich, den Zuschauern die Kameraauswahl zu überlassen.

Musik und Entertainment verkaufen wir regelmäßig und zu Recht unseren Kunden als unverzichtbar. Viele Künstler hätten sicher gern mit einem bezahlten Auftritt in der Show begeistert. Was man hätte bieten können, zeigten nicht zuletzt Jan Böhmermann und das Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld mit Woodkid, den sie als Hologramm aus Paris nach Köln ins Studio des ZDF Magazin Royale holten. Wenn digital so einfach ist, wieso zeigt der BrandEx Award uns dann einen Mann am Keyboard?

Hey, Branche, wir müssen reden! Oder wie einst Tony Mono, der Comedy-Starproduzent bei 1LIVE, zu sagen pflegte: „Daaaaas geht besser!“ Weil das hier keine Comedy ist, weil es uns alle angeht, weil es unsere Zukunft als Branche ist, lasst uns sprechen. Wir freuen uns auf eure konstruktiv-kritischen Stimmen bei den nächsten Schritten. Stay tuned – für Teil 3 von 7.


Tobias Weber ist Geschäftsführender Gesellschafter bei der format:c live communication GmbH und ein Teil der Live Streaming-Komplettlösung StreConFlex. Als Regisseur und Creative Director verantwortet er zahlreiche Filmprojekte, Theaterproduktionen und Corporate Events für Weltmarken. Seine Erfahrungen umfassen außerdem crossmediale Konzepte, TV-Produktionen, Road-Shows und Kampagnen sowie Online-Events.


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Bildquelle: format:c live communication GmbH

Autor: Gastautor: Tobias Weber | format:c live communication GmbH

Veröffentlicht am: 22.03.2021


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