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Porträt

„Das Publikum sieht am Ende nur die fünf bis 10 Minuten auf der Bühne“

Berufsbilder in der Eventbranche: Ein Interview mit Elisabeth Schmidt, freie Künstlerin und Schwungtuchartistin

Elisabeth ist eine junge Artistin, die 2012 die Staatliche Artistenschule in Berlin absolvierte und direkt als große Auszeichnung den von memo-media vergebenen Preis »Sprungbrett« für den besten Newcomer 2012 bekam. Kurz darauf gewann sie ganz überraschend beim Youth Circus Festival Wiesbaden die Bronzemedaille und wurde zum 3. New Generation Zirkusfestival nach Monte Carlo eingeladen, wo sie dann den Prix TMC von Monaco erhielt. Seither tourt sie sowohl national als auch international und begeistert mit einer ausgefeilten Technik und einer überwältigenden Ausstrahlung, die das Publikum in den Bann zieht.

MICE Club: Liebe Eli, schön, dass wir miteinander sprechen. Jetzt haben wir wie lange – 4 Monate? – gebraucht, bis wir telefonieren konnten. Du bist viel unterwegs, warst über den Jahreswechsel auf einem Kreuzfahrtschiff engagiert, nächste Woche bist Du in Korea. Wie suchst Du Deine Jobs aus?

Mein Kreuzfahrtengagement kam über den Cirque du Soleil, damit habe ich mir einen Traum verwirklicht. Ich habe es bei der Premiere gar nicht fassen können, dass ich wirklich auf der Bühne sein darf, um für diesen weltbekannten Zirkus zu performen. Bis mein erster Auftritt vorbei war, kam mir das alles sehr surreal vor, dann überkam mich die Realität zusammen mit Glück, Stolz und natürlich Erleichterung.

Und wenn es nicht der „Cirque“ ist, kommen meine Anfragen meistens über Agenturen, wie zum Beispiel das nächste Engagement in Korea. Als Freiberuflerin kann ich frei entscheiden, was ich annehme und was nicht. Klar, ich muss Geld verdienen, aber mir müssen auch das Konzept, die Anfrage und die Bedingungen zusagen, sonst lasse ich es.

Ich mag Zirkusfestivals sehr gerne, trete im Varieté auf. Reine Zirkusjobs – so klassisch mit Wohnwagen, Tieren und so weiter – mache ich sehr selten. Auf Galaveranstaltungen oder Jubiläen trete ich auch viel auf – mein nächstes Engagement in Korea ist zum Beispiel die 50-Jahr-Feier eines Unternehmens.

MICE Club: Du brauchst mit Deiner Schwungtuchartistik bestimmte Locations, die viele Bedingungen erfüllen müssen. Dein Technical Rider – also Dein Anforderungsprofil an Technik, Ausstattung und Sicherheit – ist bestimmt ziemlich umfangreich. Zirkus und Varieté sind darauf eingestellt, o.k. Aber die Galas?

Ganz große Hotels oder Veranstaltungszentren erfüllen oft die Bedingungen. Für mich steht und fällt eine Showanfrage mit dem Technical Rider, in dem ich meine Bedingungen sehr, sehr genau definiere. Da ich Luftartistin bin, steht Sicherheit ganz oben und die Anforderungen an die Räumlichkeiten sind nicht zu unterschätzen.

Allerdings habe ich verschiedene Nummern, die in den Ansprüchen an die Technik unterschiedlich sind, damit ich je nach Anfrage und Location variieren kann. So findet man eigentlich immer eine Lösung. Ich kann zum Beispiel mit der Deckenhöhe ein bisschen spielen. Sieben Meter sind mein Minimum, aber mit Abstrichen an der Show kann ich Kompromisse machen. Ich kann über alles sprechen, aber Sicherheit geht vor. Was mich immer wieder erstaunt ist, dass man vorab 6- oder 7-mal telefoniert hat, ich dann vor Ort ankomme und alles anders ist als besprochen.

MICE Club: Und was machst Du dann?

Das Beste draus (lacht) … letztlich gehört es zu meinem Job und ist fast schon Standard, dass die Situation vor Ort doch anders ist, als besprochen. Wichtig ist es, lösungsorientiert zu agieren: „Los Leute, wir haben heute Abend eine Show, was machen wir jetzt?“ Das kommt gut an und dann finden wir gemeinsam eine Lösung, das hat bisher zumindest immer geklappt.

MICE Club: Du sagtest gerade, dass du verschiedene Nummern „in petto“ hast, wie entwickelst Du eigentlich Dein Programm?

Meistens lasse ich die Musik wirken. Musik ruft bei jedem Menschen verschiedene Emotionen hervor. Beim Kreieren eines Acts stütze ich mich auf diese Emotionen, schaue was passiert, was die Musik bei mir auslöst und lasse mich zum großen Teil dadurch inspirieren.

Dann gibt es natürlich Shows, wie beim Cirque du Soleil, in denen der Stil und das Konzept vorgegeben sind, gewisse Kostüme gesetzt sind oder auch eine bestimmte Art, sich zu bewegen. So etwas kann ich einbauen, das finde ich toll, jedes Mal diese Herausforderung anzunehmen und zu sehen, was entsteht. Beim „Cirque“ habe ich auch erstmalig mit einem Choreografen und einem Trainer zusammengearbeitet, die ihre Zeit ausschließlich meinem Act gewidmet haben. Es ist sehr cool, sofort Feedback zu erhalten und umzusetzen. Man muss sich allerdings darauf einlassen können.

MICE Club: Von wem erhältst Du sonst Feedback, als Soloartistin?

Wir Artisten helfen uns viel gegenseitig, wir kennen uns untereinander, befragen uns zu neuen Nummern. Die Welt ist ja klein, man lernt sich auf unterschiedlichen Jobs kennen, bleibt in Kontakt, hat Lust, etwas miteinander auszuprobieren und manchmal entsteht daraus eine tolle Zusammenarbeit, manchmal auch nicht. Ich glaube, das ist nicht viel anders als bei anderen Kreativen.

MICE Club: Das stimmt. In vielem erkenne ich meine Freelancer-Tätigkeit wieder. Auch Du musst ja Buchhaltung, Management, Kundenwerbung und so weiter selbst machen, richtig?

Na ja, ich habe eine Steuerberaterin, sonst wäre mir das mit den vielen Auslandseinsätzen und Ausnahmeregelungen zu kompliziert. Aber Du hast schon recht, Anfragen beantworten, technische Anforderungen prüfen und besprechen, Termine abstimmen, Reisen planen und auch das Reisen selbst, all das nimmt viel Zeit in Anspruch. Glücklicherweise muss ich relativ wenig (Eigen-)Werbung machen, aber trotzdem muss ich auch raus, mir andere Shows anschauen, neue Ideen sammeln. Auch das Entwickeln neuer Nummern oder Programme bezahlt mir niemand und dann natürlich Workshops, Fotoshootings, Physiotherapie …

Das Publikum sieht am Ende nur die fünf bis 10 Minuten auf der Bühne…

MICE Club: … und regt sich über die hohen Künstlergagen auf?

Ja, genau. Aber mein Job fängt nicht an, wenn ich die Bühne betrete und hört auch lange nicht auf, wenn ich sie verlassen habe. Meine Performance dauert ein paar Minuten, davor habe ich mich aufgewärmt und das Make-up gemacht. Alleine das dauert schon länger als der Auftritt. Ich trainiere zudem täglich mehrere Stunden, das darf man auch nicht vergessen.

MICE Club: Täglich mehrere Stunden Training – wie trainierst Du?

Sehr abhängig vom Engagement – wenn ich, wie beim Cirque du Soleil, 12 Shows in der Woche habe, dann sieht mein Training anders aus, als wenn ich nur einen Auftritt habe oder gar eine Pause. Dann wird auf jeden Fall an fünf oder sechs Tagen trainiert – aufwärmen, „in die Luft“ gehen, Krafttraining, nebenher vielleicht noch Fitnessstudio und Tanzen. Außerdem gebe ich Workshops, das ist auch Training für mich und eine weitere, schöne Seite meines Jobs.

Elisabeth Schmidt

Dazu kommt das ständige Erweitern, Erneuern von Nummern und das Ausprobieren meiner Ideen, damit neue Programme entstehen. Demnächst treffe ich mich mit einem Kollegen in Barcelona, wir haben Lust, ein Duo zu kreieren, mal sehen, was daraus entsteht. So etwas gehört alles dazu – also nix mit 10 Minuten Auftritt, dicke Gage, fertig.

MICE Club: Ich sehe, Du wendest viel Zeit dafür auf, damit Dein Körper, der Dein Kapital ist, fit bleibt. Wie ist das, darfst Du „sündigen“, Party machen, Kalorienbomben essen?

Ich darf sündigen, klar, ich darf sowieso alles, was ich will. Wenn Du so viel mit Deinem Körper arbeitest wie ich, dann entwickelst Du ein feines Gespür für das, was geht und was nicht geht. Manchmal nervt es auch, wenn jedes kleine Zipperlein „HIER“ schreit, aber das bleibt nicht aus – mein Körpergefühl ist wichtig und kann mir im Ernstfall das Leben retten.

Aber ich kann und muss auch mal über die Stränge schlagen. Natürlich nicht, wenn ich 12 Shows die Woche habe, da geht Party gar nicht. Aber speziell auf Zirkusfestivals gibt es immer diese Ausnahmesituationen, da wird viel gefeiert und wenn wir am nächsten Tag alle etwas übernächtigt sind, wird besonders (aufeinander) aufgepasst.

Ich sage Auftritte extrem ungern ab, habe auch schon mit 39 Grad Fieber im Tuch gehangen. Was geht, mache ich, aber wenn es nicht geht, dann signalisiert mein Körper mir das.

MICE Club: Letztendlich musst Du es selbst entscheiden – nervt es nicht manchmal, dass keiner Dir sagt, was zu tun ist? Anders gefragt, könntest Du Dir ein klassisches Angestelltendasein vorstellen?

Du wirst lachen, ich habe das letztes Jahr ausprobiert und ein Praktikum in einer Agentur gemacht. Das war total cool, aber auch sehr, sehr anstrengend. Acht Stunden am Tag auf dem Stuhl sitzen? Nicht mein Ding. Auch fand ich es schwierig, in diesem Umfeld Anweisungen zu erhalten und ausführen zu müssen. Das war schon eine Umstellung. Insgesamt war es sehr bereichernd für mich. Von daher – mal sehen was kommt.

MICE Club: Du studierst auch noch, habe ich erfahren – wie passt das zeitlich in Deine Engagements? Oder brauchst Du ein zweites Standbein, um gut leben zu können?

Nein, ein zweites Standbein brauche ich wirklich nicht, ich kann sehr gut von meinen Gagen leben. Das überrascht mich übrigens selbst am meisten, ich hätte anfangs nicht damit gerechnet. Mein Studium hat andere Gründe. Zum einen reicht mir das Künstlerdasein nicht, ich brauche auch was für den Kopf. Außerdem ist zu erwarten, dass ich in dem Job nicht alt werden mag. Irgendwann lässt die Leistung nach und dann werde ich meinen eigenen, hohen Ansprüchen nicht mehr genügen. Deswegen lieber schon jetzt ein Wirtschaftsstudium. Daran gefällt mir, dass ich mir mit Wirtschaftswissenschaften alle Türen aufhalte, sehr breite Möglichkeiten habe. Vielleicht möchte ich später im Entertainmentbereich arbeiten, als Tourmanagerin oder eine eigene Company gründen? Mal sehen was kommt, ich lege mich da nicht fest.

Elisabeth Schmidt

MICE Club: Bei all diesen Plänen stündest Du nicht mehr auf der Bühne, sondern im Hintergrund, ohne Publikum. Das wird sicherlich eine Umstellung. Wie ist es aktuell, was macht für Dich ein gutes Publikum aus?

Ein gutes Publikum gibt mir die Power, die ich benötige, um in Schwung zu kommen, um richtig gute Leistung zu bringen. Für mich lässt ein gutes Publikum seinen Emotionen freien Lauf und scheut sich nicht, Begeisterung, Fröhlichkeit oder Ergriffenheit zu zeigen. Das Gegenteil habe ich auch schon erlebt. 300 Anzugträger, die so seriös waren und so im „Job-Modus“, dass außer einem Höflichkeitsapplaus nichts passiert ist. In so einer Situation ist es für mich schwierig, selbst Emotionen auf die Bühne zu bringen. Nichts ist schwieriger, als vor einem gefühlt leeren Saal 100 Prozent zu geben.

MICE Club: Mir fällt in letzter Zeit auf, dass immer mehr Zuschauer aufstehen und gehen, bevor der Schlussapplaus so richtig begonnen hat. Erlebst Du das auch so?

Ja, diese traurige Entwicklung sehe ich auch und ich sehe auch immer mehr Menschen im Publikum mit dem Handy dasitzen und draufstarren. Also wenn das hier jemand liest: Man sieht das, lasst es bitte! Eure Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Anerkennung sind so wichtig, sonst macht mein Job keinen Spaß mehr. Klatscht, jubelt und habt Freude und steht bitte nur auf und geht, wenn es Euch nicht gefällt, dann ist das völlig OK.

MICE Club: Gibt es etwas außer Applaus und Aufmerksamkeit, was Dir wichtig ist?

Wenn Freunde von mir dabei sind oder im Publikum sitzen, das ist wunderbar. Zum einen bei Galas, wenn ich zwischen Proben und Auftritt lange Pausen habe und diese zusammen mit einer Freundin verbringen kann. Zum anderen auch während der Show selbst, da macht es viel mehr Spaß, wenn bekannte Gesichter im Publikum sind. Ich bin dann automatisch aufgeregter …

MICE Club: … und das ist gut?

Ja, das ist gut. Je aufgeregter ich bin, desto besser ist meine Leistung.

MICE Club: Dann können Dir ja wahrscheinlich auch größere und kleinere Katastrophen nicht viel anhaben? Bist Du gut im Improvisieren?

Ich habe schon Performances gehabt, bei denen ich zu 100 Prozent improvisieren musste, da die Bühnenanforderungen nicht passend waren, die falsche Musik abgespielt wurde oder andere Pannen passiert sind. Dann reagiere ich halt auf die Situation und mache irgendwas. Schließlich ist es das, was das Publikum von mir erwartet.

MICE Club: Falsche Musik oder andere Pannen, oh je. Aber Du hattest bestimmt auch wunderbare Bühnenmomente. Magst Du uns Deinen schönsten Bühnenmoment verraten?

Ich glaube, die Momente die mich am meisten bewegen, sind die unerwarteten, die Erfolge, von denen ich gar nicht zu träumen gewagt habe. Kurz nach meinem Abschluss an der Artistenschule durfte ich am Youth Circus Festival in Wiesbaden teilnehmen. Eine Premiere also und für mich auch eine Ehre, alleine, dass ich teilnehmen durfte. Deswegen habe ich bei der Preisverleihung nicht wirklich aufgepasst, weil ich nicht mit einem Preis gerechnet habe. Die Verleihung fing mit kleinen Preisen an und ging dann über in die Medaillen. Spätestens jetzt wurde es wirklich unwahrscheinlich für mich und dann fiel mein Name – für die Bronze-Medaille! Das war ein Gefühl – wow – ich konnte es gar nicht fassen. Ein paar Stunden später wurde ich zum Zirkusfestival nach Monte Carlo eingeladen… ein toller Abend!

MICE Club: Wow, das hört sich wirklich nach Gänsehaut an. Ich glaube, unser Gespräch hat deutlich gezeigt, dass Dein Künstlerdasein mit den 10 Minuten „in der Luft“ überhaupt nicht ausreichend beschrieben ist. Dass es zwar überraschend viel Normalität gibt, aber eben auch ganz viele sehr besondere Momente, Menschen und Orte, die Dich immer wieder tief bewegen. Danke, Eli, dass Du ein paar von diesen Momenten im Gespräch mit uns geteilt hast.


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Bildquelle: http://www.schwungtuch-artistik.de

Autor: Andrea Goffart

Veröffentlicht am: 19.04.2018


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