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Belfast: Riesige Gemälde an Hauswänden und Mauern

Und doch: Der Hass lebt weiter

Sie hat etwas Unheimliches, auch heute noch: Über viele Kilometer zieht sich die Mauer durch Belfast, und wer entlang des Betonwalls spaziert, fühlt sich seltsam beklemmt. Die Szenerie wirkt gespenstisch, zumal Schulen und Kindergärten gleich hinter der Mauer durch zusätzlichen meterhohen Stacheldraht eingezäunt sind. Da können auch die unzähligen „Murals“ nicht beruhigen: riesige Bilder auf der Mauer und auf Hauswänden, die von der tragischen Vergangenheit Nordirlands erzählen. „Passt auf Eure Kameras auf“, ruft uns ein junger Mann zu, „hier laufen viele dreckige Iren rum!“

Fast 30 Jahre lang, von 1969 bis 1998, währten die „Troubles“, wie die Nordiren den blutigen Konflikt zwischen pro-britischen Protestanten (Unionisten) und irischen Katholiken (Nationalisten) nennen. Mehr als 3.500 Menschen starben, fast die Hälfte von ihnen Zivilisten. Gegenseitige Provokationen, der Bau von Barrikaden sowie Straßenschlachten waren alltäglich. Während Englandverfechter ganze Straßenzüge der Katholiken in Brand steckten, griff die radikale Irische Befreiungsfront IRA später zu Bombenattacken auf Geschäfte und Polizei. Allein in Belfast mussten bis 1973 rund 60.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen – nach Anschlägen, Schießereien, oder weil man sie dazu gezwungen hatte.

Titanic-Center lockt MICE-Gäste

Von bürgerkriegsähnlichen Wirren ist in der quirligen City von Belfast, 335.000 Einwohner, heute nichts mehr zu spüren. Protestanten wie Katholiken schlendern durch die innerstädtischen Einkaufzentren, Touristen bewundern das schmucke Rathaus – eines der wenigen Sehenswürdigkeiten in der ansonsten nicht mit architektonischen Schönheiten gesegneten Stadt.

Titanic-Center in Belfast

Als Tourismusort gilt Belfast nicht, auch wenn das riesige Erlebnis-Center „Titanic Experience“ inzwischen Hunderttausende anzieht. Auf dem Gelände der längst nicht mehr existierenden Schiffswerft Harland & Wolff wurde es 2012 eröffnet – dort, wo genau 100 Jahre zuvor die „Titanic“ gebaut wurde. Das Center gilt heute auch als beliebte MICE-Location: Es verfügt über mehrere Tagungsräume und viel Platz für Empfänge und Dinner.

Äußerlich könnte der seltsam spitze Bau einem Eisberg nachempfunden sein, oder einem Schiffsrumpf, vielleicht auch einer Mischung aus beidem. Multimedial inszeniert das Museum das kurze Leben des damals weltgrößten Passagierschiffes: Bei seiner Kollision mit dem Eisberg riss es im April 1912 mehr als 1.500 Menschen in den Tod.

Gegenseitige Provokationen

Der ganz neue Stadtteil, der rund um das Center entsteht und in dem 35.000 Menschen leben sollen, ist auch der Startschuss zu einem friedlichen Belfast. Noch aber existieren sie: verbale Beschimpfungen und gegenseitige Provokationen der Bewohner. Wenn auch in abgeschwächter Version. Marschieren heute etwa die pro-britischen Extremisten mit ihren orangen Tüchern durch die City, regt sich kaum noch einer ihrer Gegner darüber auf: Die Männer sind in sichtbar fortgeschrittenem Alter, Nachwuchs bleibt offenbar aus. Die einzigen, die die Umzüge wahrnehmen, die einst zu Schießereien führten, sind die wenigen Touristen an den Straßenrändern.

Ein anderes Bild eröffnet sich wenige Busminuten von der Innenstadt entfernt. Die Viertel, in denen Protestanten und Katholiken wohnen, sind nach wie vor voneinander getrennt. Am deutlichsten wird das im Gebiet der Shankill Road (Unionisten) und Falls Road (Nationalisten). Weht auf der einen Seite in so gut wie jedem Vorgarten die britische oder gar englische Flagge, dominieren auf der anderen Seite die irischen Farben. Aber auch an befremdlich wirkenden Denkmälern kommen Besucher vorbei: Die IRA-Kämpfer werden dort nach wie vor mit vielen Blumen als „Helden" verehrt, der bewaffnete Kampf gefeiert, Katalanen und Palästinensern die Solidarität versichert. Und ein Mural auf dem Haus einer Parteivertretung von Sinn Fein – heute in einer Koalitionsregierung mit der pro-britischen DUP – zeigt den IRA-Aktivisten Bobby Sands.

Hier, zwischen Shankill und Falls Road, befinden sich die mit Abstand meisten Murals in Belfast. Originelle Motive mischen sich mit Bildern hasserfüllter Propaganda und blutigen Kampfszenen: Auch nach der Friedensregelung von 1998 lebt bei vielen die Abneigung fort. MICE-Veranstalter bieten spezielle Murals-Touren an, aber auch Taxifahrer haben sie als Zusatzgeschäft entdeckt.

Noch eindrucksvoller als in Belfast sind die Murals im gut zwei Stunden entfernten Londonderry – oder Derry, je nachdem, welcher Fraktion man angehört. Die irisch besiedelte Bogside war einst Brennpunkt der Troubles: Brutal stürmten Protestanten 1969 das Viertel, und drei Jahre später erschossen britische Soldaten 13 Bewohner der Stadt (Bloody Sunday). „You are now entering free Derry“ (Sie betreten nun das freie Derry) heißt es etwa groß auf einer Hauswand. Auf anderen Wänden sind Soldaten zu sehen, Panzer, Flüchtende und Friedenstauben. Ein Denkmal erinnert ebenso an die Opfer wie das im Februar 2017 erweiterte „Museum of Free Derry“. London hat sich 2010 für die Taten entschuldigt.

Brexit reißt Wunden wieder auf

Gänzlich geheilt sind die Wunden nicht; der Brexit könnte sie wieder aufreißen. Zur heutigen Ruhe in Nordirland trägt auch die Tatsache bei, dass sowohl Nordirland als auch Irland der EU angehören, die Grenzen somit gefallen und die Verbindungen zwischen den beiden Gebieten fließend geworden sind. Vor 20 Jahren noch unvorstellbar: Selbst Krankenhäuser werden mittlerweile gemeinsam genutzt, und in touristischer Hinsicht lässt sich der britische Norden von Irland vermarkten.

Nun aber geht bei manchen die Angst vor neuen Grenzen um – zumal die mit der pro-irischen Sein Finn koalierende DUP in ein Bündnis mit der Brexit-Vorkämpferin Theresa May eingetreten ist. Immerhin lässt die DUP sich dies mit einer Finanzspritze von gut 1 Mrd. Euro versüßen. Geld, das allen Nordiren zugute kommen soll und das wirtschaftliche wie soziale Gräben, mit ursächlich für den Hass, zumindest flach halten könnte.


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Bildquelle: Oliver Graue

Autor: Gastautor: Oliver Graue // BizTravel

Veröffentlicht am: 01.03.2018


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