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Themensammlung - Inszenierung/Konzeption

Reduktion auf das Wesentliche

Ein Gespräch mit Christiane Varga über Events der Zukunft, Teil 1

Die Zeit scheint vorbei, da ein Event immer noch spektakulärer sein musste als das vorangegangene. Der Trend hat sich gedreht. Nicht mehr das besondere Erlebnis steht im Mittelpunkt, sondern die Qualität der Beziehungen zu anderen: Begegnung, Austausch und gemeinsames Erleben bieten Vergewisserung auf der Suche nach Orientierung.

„Früher ging es bei Events um das Erlebnis, in Zukunft geht es um Orientierung“, sagt Christiane Varga, die für das Zukunftsinstitut dem ‚Event der Zukunft‘ nachgespürt hat. Christiane Varga ist Redakteurin und Referentin am Zukunftsinstitut in Wien mit den Schwerpunkten New Living, New Work und Geschlechterrollen. Die Germanistin und Soziologin ist seit 2012 im Thinktank des Zukunftsinstituts.

Frau Varga, Sie schreiben, Events avancierten im 21. Jahrhundert zu einer wesentlichen Kulturtechnik. Was sind Events heute?
Heutzutage wird ein Kindergeburtstag nicht einfach mit ein bisschen Topfschlagen gefeiert, sondern man macht daraus ein Event. Events sind etwas Vertrautes, etwas Selbstverständliches geworden: eine Kulturtechnik. Man kann von einer Eventisierung des Alltags sprechen. An professionelle Veranstalter stellt das neue Herausforderungen, da die Teilnehmer zu Kennern avanciert sind und über einen gewachsenen Erfahrungsschatz in Sachen Events verfügen. Ihnen muss man etwas Besonderes bieten, will man sich aus der Masse der Events hervortun.

In Ihrer Studie geht es nicht nur um professionelle Events - Tagungen, Kongresse, Sport-Events - sondern auch um Alltags-Events, Familienfeiern, Partys und so weiter. Worin unterscheiden sich die heute von früher?
Hochzeiten, Geburtstage, Kindergeburtstage, der 80er des Großvaters werden heute anders gestaltet als früher. Dadurch haben Events ihre Exklusivität verloren. Vor ein paar Jahrzehnten noch waren Events etwas Besonderes, sie standen nur einer bestimmten Gruppe offen. Heute sind sie nicht mehr so hierarchisch geprägt, sondern allgemein zugänglich. Sie haben sich quasi demokratisiert. Dadurch verändern sich die Anforderungen an Events.

In welcher Hinsicht haben sich Events in den zurückliegenden Jahrzehnten am stärksten verändert?
Zuallererst dadurch, dass es mehr davon gibt. Hinzu kommt: In den 90ern und zu Beginn des neuen Jahrhunderts waren Events sehr amerikanisch geprägt: Eines war größer, pompöser und bombastischer als das andere. Das hat sich zu einer gewissen Festivalkultur hochgeschaukelt. Heute gibt es den Gegentrend: Man reduziert und fokussiert auf das Wesentliche. Diese Veränderung beobachte ich im Augenblick. Natürlich wird es in Zukunft auch Mega-Events geben, aber der Trend geht in Richtung Reduktion. Wir leben in einer Überinformationsgesellschaft und möchten bei Events nicht weiter überfordert werden. Sondern wir erwarten etwas Kuratiertes.

Gibt es verbindende Entwicklungstrends, die sowohl das private Event als auch die professionell organisierten Events auszeichnen?
Im Privaten sind wir noch in der Phase des Größer und Spezieller, die vor ein paar Jahren die großen Events geprägt hat. Viele denken, der Kindergeburtstag, die Hochzeit, die Einweihungsparty müsse ganz speziell, ganz individuell sein, mit eigenem Motto und ausgetüfteltem Konzept. Hier wirkt noch der Megatrend Individualisierung. Im Veranstaltungsbereich beobachten wir das Gegenteil. Chichi beeindruckt niemanden mehr. Es geht um Reduktion auf das Wesentliche.

Eine zentrale Entwicklung des letzten Jahrzehnts war die Entstehung von Barcamps, bei denen die Teilnehmer das Programm des Events selbst gestalten. Wird sich dieser Trend zur Co-Kreation fortsetzen?
Auf jeden Fall. Er wird sich sogar noch verstärken, weil das Netzwerkprinzip, aus der digitalen Welt kommend, sich zunehmend ins Analoge ausbreitet. Immer mehr Bürger möchten partizipieren und sich engagieren - und dafür ist Co-Kreation prädestiniert. Hinzu kommt: Netzwerken ist für Freelancer und Wissensarbeiter ganz allgemein sehr wichtig, nicht nur auf gesellschaftlichem Parkett, sondern um sich auszutauschen, Wissen zu teilen und um neue Jobs zu generieren. Deswegen werden diese neuen Formen weiter wachsen.

Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie als bedeutend für die Zukunft?
Früher ging es bei Events um das Erlebnis, in Zukunft geht es um Orientierung. Das bezeichne ich als Substanz: Dass der Veranstalter Themen kuratiert, also vorher selektiert, auswählt, das Wichtige herausschält und so Orientierung gibt. Events, wo Ruhe und Konzentration herrschen und Raum zum Denken geschaffen wird, werden zunehmend wichtig. Das klingt bierernst oder schwer, kann aber durchaus mit Spaß verbunden sein. Wichtig ist, dass eine Grundorientierung, ein Grundstatement dahintersteht.

Bei Barcamps schließen sich Kuratieren und Selbstorganisation offenbar nicht aus. Kuratieren bedeutet hier, dass die Veranstalter einen Rahmen setzen, den die Teilnehmer füllen?
Diesen Raum zu ermöglichen, physisch wie psychisch, ist auf jeden Fall eine Art von Kuratieren. Beim Barcamp selbst steht dann nicht das Kuratieren, die Schaffung von Orientierung im Vordergrund, sondern das gemeinsame Erarbeiten eines Zukunftsbildes. Hier kann dann auch dieses Serendipity-Moment entstehen, das bei Events in Zukunft bedeutend wird: Indem eben nicht alles von vorne bis hinten durchgeplant ist, sondern Möglichkeitsräume vorhanden sind, wo Dinge dem Zufall überlassen bleiben, wo ein spielerisches Moment wirksam wird und man schaut, was passiert, wenn sich unterschiedliche Köpfe austauschen. Das hat viel mit Selbstermächtigung und Partizipation zu tun, und dafür braucht es einen offenen Raum. Hier zeigen sich zwei unterschiedliche Formen von Events der Zukunft: ein kuratiertes, Orientierung gebendes, und ein erarbeitendes, partizipatives.

Auf der anderen Seite haben wir durchorganisierte Mega-Events, in denen kaum etwas ungeplant bleibt. Auch diese Entwicklungslinie wird sich in Zukunft fortsetzen?
Sofern es klar kommuniziert ist, hat das durchaus eine Chance, aber es darf nicht überfrachtet sein. Einen festeren Rahmen zu haben, kann auch wohltuend sein, wenn man sich auf ein Thema konzentrieren möchte. In jedem Fall wird es in Zukunft immer wichtiger, trotz aller Organisation und Rahmensetzung, einen Austausch zwischen den Teilnehmern zu ermöglichen. Etwa indem ausreichend Pausen vorgesehen sind oder ein Nach-Event, bei dem die Teilnehmer sich unterhalten, austauschen und vernetzen können.

Das war Teil 1 des Gesprächs mit Christiane Varga über Events der Zukunft. Lesen Sie am 17. März mehr über die Studie und die spannenden Entwicklungen in Teil 2 des Interviews.


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Bildquelle: Marvin Pelny

Autor: Winfried Kretschmer (Gastautor)

Veröffentlicht am: 03.03.2016


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