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Themensammlung - Inszenierung/Konzeption

Reduktion auf das Wesentliche

Ein Gespräch mit Christiane Varga über Events der Zukunft, Teil 2

Begegnung, Austausch und gemeinsames Erleben. Im zweiten Teil des Interviews erzählt Christiane Varga mehr über Events der Zukunft und die Entwicklungen, die uns erwarten.

Welche neuen technischen Features für die Veranstaltungsorganisation sind Ihnen begegnet?
Dazu fällt mir ein Matching-System ein, das aus dem Onlinedating kommt und auch bei manchen Fluglinien eingesetzt wird. Dabei gibt der Teilnehmer im Vorfeld seine thematischen Präferenzen an, und die Veranstalter bringen dann Leute mit ähnlichen Interessen zusammen. Das wird auch bei Events immer mehr ausprobiert, um das Netzwerken zu fördern.

Ein wesentliches Kennzeichen von Barcamps ist das Ineinandergreifen von realem, physischem Zusammentreffen und einer Präsenz in der digitalen Welt. Sie sprechen von Hybrid-Events, von einer Verschmelzung von real und digital, die sich auf unterschiedlichen Ebenen und in mehreren Dimensionen vollziehe. Welche sind das?
Ein Beispiel: Nintendo hat ein neues Computerspiel nicht auf einer Pressekonferenz vor einer exklusiven Journalistengruppe vorgestellt, sondern auf einer Messe vor allen, die sich dafür interessierten. Gezeigt wurde ein Video, in dem der Entwickler das Spiel vorstellte. Das ist hybrid: Die Präsentation ist digital, das Publikum aber ist real. So wird es einer breiteren Masse möglich, an einem Event teilzuhaben. In Zukunft wird es beides geben: Events, die exklusiv für zahlende Gäste reserviert sind, und Veranstaltungen, die zusätzlich im Internet live übertragen werden. Und natürlich Events, die eine reale Anwesenheit vor Ort mit digitalen Einspielern kombinieren. So entstehen vielfältige Mischformen zwischen real und digital.

In den letzten Jahren hat eine Professionalisierung von Events stattgefunden, insbesondere bei der Durchführung, aber auch bei der Vor- und Nachbereitung. Wird sich der Trend zur Professionalisierung weiter fortsetzen?
Ja, gerade was die Vor- und Nachbereitung anbelangt. Häufig werden die Teilnehmer vor oder nach dem Event mit ausdifferenzierten Fragebögen über eine Onlineplattform nach ihrer Meinung gefragt. Auch im Eventbereich sind Daten Gold wert. Big Data, Datenschutz und Transparenz sind auch hier ein heißes Thema. Das wird in Zukunft eine große Rolle spielen. Streaming oder das Posten von Fotos auf sozialen Netzwerken kann natürlich für manche problematisch sein, ist oft aber auch gewünscht. Die Leute wollen sich nicht verstecken, sondern sind stolz drauf, mit dabei zu sein.

In der Studie findet sich das Beispiel von Drohnen, die über dem Eventraum kreisen und Livebilder auf Projektionswände oder ins Netz übertragen. Ist das ein Problem für das Recht am eigenen Bild? Oder gerade Ausdruck des Eventcharakters?
Das Live-dabei-sein-Wollen ist absolut präsent und verstärkt sich in Zukunft noch über die digitalen Möglichkeiten. Zum Beispiel gibt es eine App, mit der Teilnehmer ganz aktuell Fotos von einem Event auf eine Onlineplattform hochladen können. Andere können damit sehen, wie es dort gerade aussieht, um zu entscheiden, ob sie selbst hingehen oder nicht. Das zeigt: Online und offline verschwimmen immer mehr.

Welches sind für Sie ganz persönlich die spannendsten Entwicklungen?
Ich finde die Fusion zwischen real und digital prickelnd, weil sie die Möglichkeiten der Verbreitung von Wissen erweitert. Die TED-Konferenz hat als erste begonnen, die Redebeiträge live online zu übertragen und ins Netz zu stellen. Das ist eine gute Möglichkeit, ein Event weniger exklusiv zu halten und die Grenzen auszuweiten. Spannend finde ich auch das neue Wir-Gefühl, das sich in ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft ausbreitet. Auf Events geht es nicht mehr um Abgrenzung, nicht mehr darum, einen Wissensvorsprung zu erlangen, sondern man schließt sich zusammen und teilt sein Wissen, teilt sich mit. Und natürlich das Moment der Zufälligkeit und des Spielerischen. Immer mehr wird deutlich, dass die angesprochenen Serendipity-Effekte sehr, sehr wichtig sind, um Neues entstehen zu lassen.

Überraschend fand ich die Aussage, die Events der Zukunft seien grün und regional. Kann man das so pauschal sagen?
Wir sagen nicht, dass jedes Event in Zukunft grün und regional ist. Aber die Menschen legen auch bei Veranstaltungen zunehmend Wert auf eine umweltfreundliche Organisation - dass also nicht so viel Plastikmüll entsteht, dass das Essen regional und nachhaltig ist und so weiter. Diese Einstellung war früher eher in Nischen präsent, diffundiert jetzt aber mehr und mehr in den Mainstream. ‚Regional‘ ist noch elementarer. Die Verortung in einem räumlichen Kontext spielt in Zeiten der Globalisierung und des World Wide Web eine neue, wichtige Rolle. Das zeigt sich an vielen kleinen Events, die die Region mit einbinden, zum Beispiel, indem bewusst Essen aus der Region angeboten wird.

Gewinnt der Ort weiter an Bedeutung oder hat sich der Run auf die besonderen Orte bereits totgelaufen?
Das ist etwas ausgereizt. Obwohl ein Ort immer in irgendeiner Form auf Menschen wirkt, ist er nicht entscheidend. Für eine Veranstaltung zuerst einmal den verrücktesten oder speziellsten Ort auszusuchen, um dann alles Weitere zu überlegen, ist ein Fehler. Eine Veranstaltung steht und fällt mit der Grundidee und der Übermittlung des Themas. Sind Konzept und Inhalt gut, und ist der Ort dann auch noch speziell, okay, aber der Ort gibt nicht den Ausschlag. Deshalb lassen viele Veranstaltungen den Ort einfach Ort sein. Nur bei Pop-up-Events spielt der Ort eine zentrale Rolle. ‚Pop-up‘ heißt, ein Event relativ spontan in Art eines Flashmobs entstehen zu lassen, nur besser organisiert. Events werden so mobil und können unterschiedliche Orte bespielen.

Und der Faktor Zeit?
Auch das ist extrem ausdifferenziert. Ich finde es nach wie vor gut, wenn Veranstalter ein Event etablieren, das einmal im Jahr stattfindet, mit dem sich die Leute identifizieren und es fest einplanen. Gleichzeitig setzen viele andere Events auf eine höhere Flexibilität, zum Beispiel durch eine Onlinepräsenz, Stichwort ‚hybrid‘. Entscheidend ist: Die Menschen wollen sich das Event passend zur Arbeitssituation oder zur familiären Situation auswählen. In unserer Gesellschaft besitzt es einen großen Wert, eine Auswahl zu haben.

Menschen wollen Menschen begegnen, wollen mit Menschen sprechen. Gewinnt dieses Motiv an Bedeutung, gerade im digitalen Zeitalter?
Auf jeden Fall. Die digitale Kommunikation wird nie die reale Kommunikation ersetzen können. Wenn Menschen mit Menschen zusammen sind, spielen biochemische Prozesse eine Rolle, man sieht den anderen, man riecht den anderen, man nimmt ihn als Ganzes wahr und kann deshalb das Gesagte besser einschätzen. Deswegen gewinnen Events noch einmal an Bedeutung, weil man sich wirklich trifft, Zeit miteinander verbringt und sich einem Thema widmet, in welcher Form auch immer.

Das ist der entscheidende Punkt?
Absolut. Dieses Motiv war schon immer da, gewinnt aber an Bedeutung. Früher ging es ums Sehen und Gesehenwerden, heute geht es immer stärker um die Begegnung mit dem anderen, den Austausch und das gemeinsame Erleben.

Das spiegelt sich auch in dem, was Sie als ‚Revival des Salons‘ bezeichnen. Ja, auch hier geht es darum, einen Raum zu öffnen für Gespräche. Das ist programmatisch für unsere Zeit. Denn es ist heute ein Luxus geworden, Raum und Zeit zu haben, sich mit anderen zusammenzusetzen und in einer offenen Atmosphäre, in der aber jeder achtsam und respektvoll ist, über ein Thema zu reden. Ich höre und lese von allen Seiten Beispiele, wie der Salon in unterschiedlichen Formen und Größen etabliert wird: als eine Gesprächsform, in der man den Überblick hat, sich aufgehoben fühlt und Kraft schöpfen kann.

Gerade diese Kleinheit der Form des Salons könnte unterstreichen, dass es ganz entscheidend nicht auf die spektakuläre Inszenierung eines Events ankommt, sondern auf die Intensität der Beziehungen, die dort möglich werden. Kann man das so sehen?
Ja, das kann man so sehen. Schön formuliert und zusammengefasst.

Danke, auch für das Gespräch.

Erfahren Sie mehr zum Thema im ersten Teil des Interviews mit Christiane Varga.


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Bildquelle: Marvin Pelny

Autor: Winfried Kretschmer (Gastautor)

Veröffentlicht am: 13.03.2016


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