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Porträt, Agenturen

„Die Tools sind nur Beiwerk. Es geht um Emotionen.“

Berufsbilder in der Eventbranche. Heute im Gespräch Johannes Ries, Eventplaner und Inhaber der Agentur ries events in Aschaffenburg

Johannes Ries hat seit über 20 Jahren nur eines im Sinn: Events, die bewegen. Mit seiner Aschaffenburger Agentur betreut der Quereinsteiger mit sechs Mitarbeiterinnen große Konzerne ebenso wie mittelständische Unternehmen. „Events bieten die einzigartige Chance, Menschen zu berühren“, erklärt er. Und von sich selbst sagt er, dass er immerzu verrückte Ideen im Kopf hat. Dass diese Ideen keine Flausen sind, hat er mit seinem Team in den letzten 20 Jahren tausend Mal bewiesen. Mit uns spricht er über das Berufsbild des Eventplaners im Agenturbereich.

MICE Club: Lieber Johannes, um unsere Neugierde zuerst zu befriedigen, wie bist Du zu Deinem Job gekommen?

Per Zufall, oder Schicksal? Als Elektrotechniker sollte ich eigentlich den elterlichen Betrieb übernehmen. Nachdem ich den sechzigsten Geburtstag meines Vaters zu aller Zufriedenheit organisiert hatte, nahm er mich beiseite und meinte: „Junge, wenn du diese Leidenschaft im täglichen Job hättest, wäre uns allen gedient.“ Das hat mir schwer zu denken gegeben und ich habe mit Anfang 30 meine Laufbahn komplett geändert. Erstmal ganz kleine Brötchen gebacken und Menschen aus aller Welt, vor allem Amerika, bei ihrer Ahnenforschung in Deutschland begleitet. Ein unglaublich erfüllender Job, den ich irgendwann wieder machen möchte. Über das Thema Incentivereisen bin ich schließlich da gelandet, wo ich heute bin, als Chef einer Agentur mit sechs großartigen Mitarbeiterinnen und langjährigen Kunden wie Bayer, Hekatron oder Zalando. So ein Quereinstieg ist heutzutage (leider) fast nicht mehr möglich, die Branche ist so komplex geworden.

MICE Club: Wie zeigt sich diese Komplexität in der Live-Kommunikation?

In vielen Regularien zum einen. Zum anderen in der engen Verknüpfung des Eventthemas mit dem Marketingbereich. Es geht fast immer darum, Marketingthemen emotional aufzuladen. Es wird also kein Anlass, sondern ein Thema gefeiert. Deswegen sind die Grundlagen eigentlich immer die gleichen, nur die Tools müssen wir austauschen. Klingt einfach, ist aber jedes Mal wieder eine Herausforderung.

MICE Club: Wie ist das mit der Leidenschaft, geht die darüber verloren?

Nein, keinesfalls, die spüre ich jeden Tag und ich habe nur Menschen um mich herum, die diese Leidenschaft teilen. Wer sich selbst zu wichtig nimmt und die Belange des Kunden zu wenig sieht, passt nicht zu uns. Das erkenne ich mittlerweile früh. Die meisten steigen bei uns über ein Praktikum ein, so können wir schnell sehen, ob jemand brennt oder ob er oder sie nur einen „schicken“ Beruf ausüben möchte.

MICE Club: Vom „Brennen“ zum „Ausbrennen“ ist es nicht weit…

Ausbrennen tut hier keiner. Wir achten auf Work-Life-Balance, haben wir schon getan, bevor es das Wort gab. Es ist nicht fehlender Erfolg, sondern Absicht, dass wir so klein geblieben sind. 10, maximal 15 Leute sind ein Team. Wenn es größer wird, wird das Rad zu groß, um es zu drehen. Die Kunst ist, bescheiden zu bleiben. Wir haben wunderbare und günstige Büroräume, fahren Bahn und Fahrrad. Diese überschaubare Größe und unsere Bescheidenheit geben uns die Möglichkeit, authentisch zu agieren, lust- nicht kostengetrieben zu entscheiden. Wir können Kunden und Aufträge ablehnen. Wir haben die Freiheit deutlich zu sagen, wenn uns ein Auftrag sinnlos erscheint. Deswegen machen wir auch keinen Pitch mit, es sei denn, er wird bezahlt.

Das ist die eine Seite – den Druck von außen klein zu halten. Auf der anderen Seite machen wir (meistens) pünktlich Feierabend, fahren im Sommer mal an den Baggersee. Und – wir betreuen Veranstaltungen im Schichtbetrieb, so dass niemand 14 Stunden malochen muss. Dazu gibt es allerdings eine Voraussetzung: Man muss sich aufeinander verlassen können. Wenn man so Hand in Hand arbeitet, dann darf keiner den Unsinn des anderen ausbaden.

MICE Club: Siehst Du diese Bescheidenheit, von der Du eben sprachst, als Alleinstellungsmerkmal?

Hm, vielleicht ist sie tatsächlich der Grund, dass unsere Kunden uns über so viele Jahre treu sind. Weil sie wissen, dass wir nicht antreten, um ihre Kohle zu verpulvern. Wir hatten schon Projektanfragen, da wurde uns ein großes Budget quasi aufgedrängt – „Wir wollen eine neue Vision lancieren und das darf richtig was kosten.“ Aber unsere Idee hat dann gar nicht viel Geld gekostet. Wir brauchten nur einen Berg und die Menschen. Das war billig, aber hoch emotional. Was will ich damit sagen – die Idee muss stimmen und manchmal kostet die Umsetzung richtig viel Geld und manchmal eben nicht. Wichtig ist, dass wir nicht davon profitieren, wenn wir die Kosten in die Höhe treiben. Wichtig für unsere Kreativität und im Kundenverhältnis. Deswegen haben wir ein Bonussystem, das Kostenersparnis honoriert und nicht bestraft.

MICE Club: Also gute Events zu kleinen Preisen?

Nein, wir sind keine Billigheimer. Emotionale Events zu genau den Kosten, die sein müssen. Manchmal sind es die unverzichtbaren Kleinigkeiten, die man hinterher gar nicht sieht, die die Kosten treiben. Wenn zum Beispiel unser Kunde Bayer die 150 besten Verkäufer aus aller Welt in Deutschland zusammenkommen lässt, sind Menschen aus Tadschikistan und Guatemala dabei, die vorher noch nie ihr Land verlassen haben, keine Seele kennen, weder Deutsch noch Englisch sprechen. Die kann ich mitlaufen lassen nach dem Motto „bisschen Schwund ist immer“ oder ich stelle ihnen Betreuer an die Seite, die ihre Sprache und Mentalität verstehen und sie mitnehmen in die Gemeinschaft. Dann wird es erfolgreich und erst dann bleibt so ein Treffen in den Köpfen und in den Herzen.

MICE Club: Wie geht Ihr mit Kunden um, die für „den letzten heißen Scheiß“ den Großteil eines Eventbudgets verheizen wollen, während für die Basics nur ein Rest bleibt?

Wir sind offen und ehrlich, wenn eine Idee blöd ist. Ich setze mich da im Zweifel durch und sage zu den Marketingverantwortlichen, „Ihr habt doch alle nur Schiss mit eurem 08/15, lasst mich mal mit dem Chef sprechen“. Dieses Engagement, unbequeme Wege auf sich zu nehmen und für Überzeugungen einzustehen, führt dazu, dass Kunden bleiben oder wiederkommen. Auch der Kunde im eben erwähnten Beispiel übrigens, der Chef fand die Idee nämlich super!

MICE Club: Das klingt nach Zusammenarbeit auf Augenhöhe?

Wer uns als Dienstleister sieht und nicht als Partner, der ist bei uns falsch. Die Art, wie wir arbeiten, funktioniert nur auf Augenhöhe. Im Team genauso wie mit den Partnern, den Kunden und Gästen.

Für uns ist es eine große Freude, mit ganz unterschiedlichen Kunden zu arbeiten, die Behäbigkeit eines Konzerns in Leichtigkeit umzumünzen, ebenso wie die Verrücktheit unseres neu gewonnenen Kunden Zalando auszunutzen und in großartige Veranstaltungen abzuleiten. Die Fragen dahinter sind immer die gleichen: „Was wollt ihr erzielen, warum gebt ihr das Geld aus?“ Anders gefragt: „Die Idee, mit der ihr mir jetzt hier kommt – wie ist die Zielsetzung dahinter?

MICE Club: Ist dieses Herausarbeiten der Zielsetzung der Grund, warum Unternehmen eine Agentur beauftragen und ihre Events nicht selbst planen und organisieren sollten?

Ja, zum einen kaufen sie jemanden ein, der die richtigen Fragen stellt. Zum anderen ist es eine sinnvolle und effizienzsteigernde Arbeitsteilung, mein Auto repariere ich ja auch nicht selbst. Klar, ich kann mir ein Handbuch „Eventmanagement“ kaufen und loslegen. Das ist aufwändig und fehlerträchtig, während für uns als Eventplaner viele Sachen selbstverständlich sind. Sicherheitskonzepte zum Beispiel. Letztens zeigte mir ein Kunde begeistert einen Palast in Marrakesch – „Hier will ich feiern.“ Ich habe direkt gesehen, dass es nicht funktionieren wird, weil Notausgänge fehlen. Er hätte vielleicht noch monatelang weitergeplant. Wir wissen vorher, was nachher passiert. Wenn jemand sowas zum ersten Mal macht, passieren ihm all die Fehler, die wir in den vergangenen zwanzig Jahren schon gemacht haben.

Wir beraten zudem zu Steuerthemen, können damit viel Geld einsparen und natürlich haben wir Volumenverträge mit den Technikanbietern und können oft ganz andere Konditionen bieten. Kurz: Für uns ist Eventorganisation Alltag und den haben wir perfekt durchorganisiert. Damit es jedes Mal reibungslos ist, gibt es ein Regiehandbuch mit bis zu 300 Seiten zu jeder Veranstaltung. Von daher, liebe Kunden, konzentriert euch auf das, was ihr kommunizieren wollt – auf die Zielsetzung hinter dem Event. Wir machen den Rest.

MICE Club: Wie wichtig sind dabei aktuelle Trends?

Es gibt immer tausend Trends, wichtig ist der Zusammenhang, in den wir sie bringen. Zum Beispiel „Gamification“, was mache ich damit? Wir können eine Neuerung von der Kanzel verkünden oder wir können sie spielerisch erfahrbar machen. Konkret: In der Versicherungsbranche gibt es die Tendenz, immer die Gleichen zu ehren, die besten 60, die besten 100. „Aber was ist mit den anderen, die auch seit Jahren für euch arbeiten“, haben wir gefragt, „lasst die doch nicht immer auf der Strecke“. Also haben wir über ein Onlinespiel eine andere Art der Incentivierung gestartet, um allen die Chance zu geben, auf Mallorca „die Welle zu reiten“.

MICE Club: Wenn Du jetzt bitte mal für Eure Kunden sprichst: Was macht für sie Events erfolgreich?

Wenn wir – wie oben gesagt – alle Beteiligten mitnehmen. Erfolg ist, wenn die Verantwortlichen in den Unternehmen beginnen zu brennen. Manchmal müssen wir dieses Feuer erst entfachen und ein bisschen stochern: „Okay, dein Chef hat gesagt, dass wir das so und so machen sollen, aber können wir da nicht noch mehr rausholen?“

MICE Club: Und für Euch – was macht es für Euch zum Erfolg?

Die Rückmeldungen im Fragebogen. Unser oben erwähntes Bonussystem beinhaltet nämlich die Verpflichtung, uns zu beurteilen. 99 Fragen (ja, so viele) stellen wir unseren Kunden und danach sind wir weiter. In der Qualität zu wachsen, das geht nur langfristig. Fehler darf man machen, aber nur einmal. Das ist der messbare Erfolg, der fühlbare ist eher so ein Flow. Wenn ich merke, dass ich die Bedürfnisse des Kunden und der Teilnehmer richtig erkannt und umgesetzt habe, obwohl es so gar nicht mein Geschmack ist. Wenn ich gerade dann höre, dass es die „beste Veranstaltung ever“ war, dann freue ich mich riesig. So sehe ich, dass wir unser Business wirklich beherrschen.

MICE Club: Das heißt, Eventmanager organisieren nicht nur, was ihnen selbst gefällt? Müsst Ihr Eure eigenen Vorlieben in dem Beruf kräftig zurücknehmen?

Das ist die hohe Kunst. Schau, ich bin 55 Jahre alt. Wenn ich für Ernst & Young und deren überwiegend sehr junge Berater etwas organisiere, dann wollen die Party machen, morgens um 4 Uhr ist die Tanzfläche voll und 200 Leute rocken ab. Da freu ich mir den Wolf, wenn ich das höre und bin gleichzeitig froh, dass ich die Nachtschicht nicht betreuen muss.

Es muss den Gästen gefallen, nicht uns. Was brauchen die, was hilft denen? Solche Feinheiten, zum Beispiel Essgewohnheiten zu berücksichtigen, das macht uns zu Profis.

MICE Club: Menschenkenntnis ist unerlässlich?

Auf jeden Fall und etwas wie positive Spontaneität und Detailorientierung. Auch in vertrackten Situationen eine gute Lösung zu finden und die Leute dann noch zum Lachen zu bringen, das sehe ich persönlich als meine Stärke. Organisieren können meine Mitarbeiterinnen viel besser, ich sehe das Detail, wo was schieflaufen könnte, entdecke die falsche Berechnung in der Tabelle.

MICE Club: Da hilft Dir vielleicht noch der E-Techniker?

(lacht) Ja, vielleicht.

MICE Club: Wie Du oben schon sagtest, würde ein Elektrotechnik-Studium heute nicht mehr den Weg ins Eventmanagement ebnen. Wie kommt man heute am besten „rein“?

Ohne Basiswissen läuft heute (leider) gar nix mehr. Eine Ausbildung als Veranstaltungskauffrau ist zwingend, oder ein Studium. Ohne diese findest du nicht mal einen Praktikumsplatz. Die Branche ist so komplex geworden von KSK, Steuern, Teilnehmermanagement, Versammlungsstättenverordnung bis zu detailgenauen Kalkulationen. Wer da als Seiteneinsteiger hereinkommt, muss zu viel Basiswissen aufarbeiten, das macht weder denen noch uns Spaß. Ich sage das aus Erfahrung, denn wir haben es ausprobiert mit Praktikanten, die wirklich viel Begeisterung mitbrachten.

MICE Club: Studium oder Ausbildung?

Beim Studium, auch beim dualen, habe ich oft das Gefühl, dass die Inhalte nicht wirklich praxisnah sind. Praktikanten sagen, dass sie in sechs Monaten mehr lernen als im ganzen bisherigen Studium. Aber die Studiengänge und -inhalte verändern sich sehr schnell, da ist viel Bewegung drin und nicht alles ist schlecht. Eine meiner Mitarbeiterinnen hat Eventmarketing studiert, eine andere in den Niederlanden ein mehrsprachiges Studium Leisure Management absolviert, eine weitere hat eine Ausbildung gemacht und alle sind bestens ausgebildet. Apropos Mehrsprachigkeit, die Branche ist international, wenn jemand nicht mindestens Englisch kann, mach ich die Bewerbung erst gar nicht auf.

MICE Club: Wie bildest Du Dich selbst weiter?

Wir alle hier sollen einmal im Jahr eine Weiterbildung und eine Site Inspection machen, um den Kunden neue Locations empfehlen zu können, und uns auf einem Sachgebiet weiterbilden. Dieses Jahr werde ich – siehe oben, ohne Englisch geht gar nix mehr – mein Englisch verbessern.

MICE Club: Johannes, letzte Frage - ist es die Zugewandtheit zu den Menschen, die für Dich gute Eventplaner ausmacht und die Dich in Deinem Tun erfolgreich macht?

Ja, natürlich, die Menschen sind ja die, die die Veranstaltungen ausmachen, nicht die Technik, die Räume, das Essen, die Musik. Die Tools sind nur Beiwerk. Es geht um Emotionen, alles andere vergesse ich. Wenn wir stumpf Marketingziele transportieren, ohne sie zu emotionalisieren, dann haben wir unseren Job nicht richtig gemacht.

Eigentlich mache ich immer noch das gleiche wie in den 1990ern, als ich Menschen dabei begleitet habe, Ahnenforschung zu betreiben – ich teile sehr emotionale Momente und das macht mir große Freude.

MICE Club: Vielen Dank für Deine Offenheit und die Einblicke, die Du uns gewährt hast.


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Bildquelle: ries events

Autor: Andrea Goffart

Veröffentlicht am: 06.09.2018


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Caroline Ries,
Zentrum für Ganzheitliche Kommunikation
07. September, 20:46 Uhr

Das ist 100% mein Bruder Johannes, sehr authentisch. Das ist kein "gut gemeinter, schön geschriebener Artikel", sondern trifft den Nagel auf den Kopf: So ist das Event-Leben. Euch weiterhin "Rückgrat" und allzeit ein gutes Gespür für berührende Momente.

Bleibt euch selbst treu und freut euch des Lebens, denn davon profitieren auch eure Kunden. Bleibt demütig - und offen - für neue Aufgaben, neue Herausforderung. Von Herz zu Herz sende ich Grüße an alle, die von diesem Interview genau so berührt waren, wie ich. Caroline Ries vom Zentrum für Ganzheitliche Kommunikation (www.ZentrumKommunikation.de)

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Katharina Richter,
CWT Meetings&Events
06. September, 14:48 Uhr

Herzlichen Glückwunsch, ein wunderbarer Artikel und dabei so vieles auf den Punkt gebracht :-) !!!!

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