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Meinung

Was muss passieren, um die MICE-Branche gegen die Wand zu fahren?

Was zunächst klingt, wie ein verrücktes Fiktionsszenario, ist durchaus eine Überlegung wert, wenn man es unter dem Vorzeichen des Perspektivwechsels angeht. Man darf und sollte in der Tat einmal durchspielen, wie wir uns so richtig überflüssig machen, um dann im Umkehrschluss endlich aus unserer Komfortzone herauszutreten und unserer Branche zukunftsfähige Perspektiven zu verleihen.

Die Hitliste wird mit Sicherheit von Aussagen „Machen wir wie immer, oder das haben wir immer so gemacht“ angeführt. Routine scheint Trumpf. Kunden, Agenturen und Anbieter laufen auf den stets selben ausgetretenen Pfaden durchs Gelände.

So kommt es auch zu immer höheren Storno- und No-Show-Quoten, denn egal wo, es wird kaum etwas Neues geboten. Teambuilding heißt heute Teamentwicklung, aber die Inhalte sind immer gleich: Die Maßnahmen verpuffen völlig, weil die Unternehmensstrukturen vor und nach dem Event gleich bleiben. Konferenzen mit Frontalvorträgen und endlosen Powerpoint-Präsentationen haben keinerlei Vorteil gegenüber einem Fachbuch oder Online-Tutorial. Ehrungsveranstaltungen ohne echte Wertschätzung schmecken schal, egal was auf den Tisch kommt.

Schon im Erstkontakt zwischen Auftraggeber und Dienstleister herrscht ein Klima des Misstrauens. Echte Briefings sind Mangelware und oft erst durch penetrantes Nachfragen zu bekommen. Events haben keinen echten Selbstzweck, doch Zielsetzung, Informationen zur Zielgruppe, der Gesamtkontext und die Rolle der Live-Kommunikation kommen oft gar nicht erst zur Sprache.

Beim Nachhaken wird dann oft klar, man weiß es selbst nicht so genau. Wer nicht fragt, bleibt dumm! Klar, es sind unbequeme Fragen, man will auch Kunden nicht bloßstellen. Oft herrscht aber in schwammigen Anfragen der Glücksspielgedanke: Denn wenn es ganz dumm läuft und wir einem Kunden tatsächlich ein Briefing abringen, dann bekommt ja auch die Konkurrenz dieses Briefing.

Also stellen wir einfach mal keine Fragen, folgen dem Muster und der netten Aufforderung: „Machen Sie mal was Schönes, halt nicht so teuer“. Wir akzeptieren still, dass man einen Eventmanager als Partyorganisator oder ein Reisebüro mit etwas aufwändigerer Logistik wahrnimmt. Anders sind Äußerungen, „Das macht unsere Teamsekretärin“, nicht zu erklären. Die wichtige Rolle des Planers für Live-Kommunikation mit klaren Aufgaben im Marketingmix eines Unternehmens wird von den wenigsten Kunden gesehen und vor allem nicht bezahlt.

Einzig klar ist fast immer der Abgabetermin, grundsätzlich binnen kürzester Zeit. Der aufgebaute Zeitdruck und die Neigung eine Entscheidung für einen Anbieter rein vom Preis abhängig zu machen, bremst Kreativität, Innovation und vor allem gemeinsam entwickelte, greifende Konzepte mit Alleinstellungsmerkmal völlig aus.

Zugunsten des Preises und unter Zeitdruck bleibt jede Qualität auf der Strecke. Diese Tatsache zieht eine ganze Latte von Mängeln der Branche hinter sich her, die in der Summe Qualität kaum noch ermöglicht. Junges unerfahrenes Personal, schlechte Gehälter, kaum Zeit für Fort- und Weiterbildung, schlechtes Betriebsklima, häufiger Wechsel von Projektleitern oder die Tatsache, dass eine Person so viele Projekte betreut, dass nur noch die Assistenten einen ungefähren Plan vom Geschehen und Stand der Dinge haben. Qualitätsmanagement? Absolute Fehlanzeige!

„Geiz ist geil“ – der alte Spruch eines Elektronikunternehmens hat sich tief in die Köpfe und Seelen der Kundenseite eingebrannt. Es ist ein seltenes Highlight, wenn ein Preis unverhandelt bleibt, weil ein Kunde die Leistung und ihre Qualität schätzt und darauf vertraut, eine preiswerte Leistung im Wortsinn zu bekommen.

Vertrauen ist überhaupt ein sehr seltenes Gut. Doch ohne Vertrauen ist es kaum möglich wirkungsvolle Konzepte zu entwickeln. Nur Vertrauen und Kommunikation auf Augenhöhe, Informationen über Defizite und Wünsche machen ein Angebot erst wahrhaftig. Wenn ich eine Company voller Überflieger habe, dann kann ich doch keine „Heldenreise“ für Changeprozesse anbieten. Oder gerade deshalb doch?

Also bleiben wir schön bei den bewährten, probaten Angeboten, die wir schon seit Jahren in Textbausteinen und einer Bilddatenbank auf dem Rechner haben. Copy&paste, damit wir Zeit für die wirklich wichtige Quotierung haben und immer schön daran denken, Menüpreise immer „ab“ zu formulieren, damit unter dem Strich die Zahl klein ausfällt.

Mit der Abwesenheit von Fairness und Berufsethik machen wir den Rest dann wirklich selbst kaputt. Wir lassen uns gegeneinander ausspielen oder betreiben gar Mitbewerber-Bashing ganz aktiv als Bestandteil eines antiquierten Konkurrenzdenkens. Augenhöhe und Respekt fehlen, gute Ideen anderer werden mal eben durchquotiert und gerne unterboten. Oft noch im naiven Glauben den Kunden längerfristig gewinnen zu können, wenn man „mal drauflegt“. Dieser Irrglaube wird spätestens ein Jahr später zur bitteren Pille. Treue gibt es nicht und im gnadenlosen Preiskampf glaubt der Nächste, diesen Kunden für sich gewinnen zu können. Rein rechnerisch wird der Kunde immer gewinnen, aber nur rechnerisch. Das Event wird kaum Wirkung zeigen und somit ist es obsolet. Willkommen an der Wand!

Fazit dieses Kampfes sind unterbezahlte Mitarbeiter oder heruntergehandelte Leistungspartner. Leidenschaft und Begeisterung bleiben gänzlich auf der Strecke, wir bewegen uns mit Tunnelblick durch die Angebotslandschaft und haben mit ständigem Druck kaum noch Zeit zum Luftholen, geschweige denn nach links, rechts oder gar vorne zu blicken.

Eine faire Vergütung ist ein klares Manko unserer Branche. Aufträge werden per Kick-Back-Regelung vergeben und Mauscheleien dominieren, Transparenz ist ein Märchen. Der Kunde will seinen Auftrag platzieren und das möglichst günstig, der Dienstleister, egal ob Agentur, Hotel oder Technikanbieter will das Budget, oft scheinbar um jeden Preis.

Wirklich schamlos ist die Ausbeutung der Branche, indem wir selbst den Kunden erlauben jede beliebige Anzahl von Agenturen um ein Angebot anzufragen, selbstverständlich kostenlos. Damit wird massiv Arbeitskraft gebunden, obwohl nur derjenige Geld bekommt, der den Zuschlag erhält. In anderen Branchen, bei Architekten, Ingenieuren und Entwicklern wird die Planungsleistung bezahlt, unabhängig davon, ob gebaut, realisiert oder eine Marktreife erzielt wird, aber nur so ist Innovation und Fortschritt möglich.

Das Einzige, was voran geht, ist die immer breiter aufgestellte Digitalisierung. Visualisierungstools, Echtzeitbuchungsportale, Event-Apps, Tools zur Teilnehmerverwaltung und Rechnungsstellung.

Was eigentlich sehr positiv ist und dazu gedacht wäre, unsere tatsächlichen Talente und Aufgaben in den Fokus zu rücken und vom schnöden Prozedere zu lösen, gerät zum Innovationshype in Hauptdarstellerfunktion, der aber mit Content rein gar nichts zu tun hat.

Wir brauchen ein neues Bewusstsein um die Herausforderungen der Branche zu meistern. Wenn wir das nicht entwickeln und stark kommunizieren, dann werden wir unsere Branche gegen die Wand fahren.


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Autor: Gastautorin: Gabi Schares

Veröffentlicht am: 05.07.2018


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Gerrit Jessen,
Event Design Collective
05. Juli, 15:55 Uhr

Events, die kein Verhalten verändern, bleiben Entertainment!

Wir bekommen, was wir verdienen!

Wenn wir uns zukünftig jenseits der Planung positionieren, lernen Veranstaltungen als Geschäftsmodelle zu begreifen, die Werte durch Verhaltensveränderung generieren müssen, dann mache ich mir um die Zukunft der Branche keine Sorgen

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