Jetzt MICE Club-Mitglied werden oder 30 Tage kostenfrei testen

Themensammlung - Change-Kommunikation

Die Kultur macht’s

Kultur beeinflusst Digitalisierung beeinflusst Erfolg - ein Interview mit Sabine Remdisch

Die Online-Plattform für Zukunftsideen changeX behandelt Themen des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft. In Kooperation mit dem MICE Club veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen spannende Beiträge unseres Content-Partners, wenn wir diese für unsere Leserschaft interessant finden.

Was muss man wissen, um die digitale Transformation zu verstehen? Sehr viel über Kultur. Denn die Kultur ist der entscheidende Faktor bei der Digitalisierung. Sagt die Personal- und Organisationsexpertin Sabine Remdisch. Sie ist sicher: Ohne eine Digitalkultur, also eine Unternehmenskultur, die die neuen Bedingungen gezielt nutzt, wird ein Unternehmen in der digitalen Zukunft nicht mehr erfolgreich sein können.

„Kultur ist ein ganz zentraler Baustein der Digitalisierung." Sagt Sabine Remdisch. Die richtige Kultur entscheidet über den Unternehmenserfolg.

Sabine Remdisch ist Professorin für Personal- und Organisationspsychologie und Leiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana Universität in Lüneburg. Ihr aktueller Arbeitsschwerpunkt ist die digitale Arbeitswelt.

Frau Remdisch, was muss man wissen, um die digitale Transformation zu verstehen?

Sabine Remdisch: Man muss sehr viel über Unternehmenskultur wissen und braucht auch darüber hinaus ein vielfältiges Wissen: Auf der einen Seite natürlich ein umfassendes Verständnis für Technik und digitale Medien, aber entscheidend aus meiner Sicht ist es, die tief greifende Veränderung der Kultur und insbesondere der Führungskultur zu verstehen.

Und diesen kulturellen Veränderungen suchen Sie auf die Spur zu kommen?

Sabine Remdisch: Wir wollen grundsätzlich schauen: Verändert sich die Kultur? Und wie verändert sie sich? Viele Menschen nehmen Veränderungen in Unternehmen wahr und erzählen darüber. Sie sagen, es sei auf einmal anders: Sie haben auf einmal bunte Stühle, andere Räumlichkeiten; da gibt es Labs, Innovation Rooms, sie haben Smart Workplaces und so weiter. Der Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen verändern sich, aber auch das Miteinander verändert sich - weil man auf Distanz und vernetzt arbeitet. Und diese Veränderungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Kultur.

Was verstehen Sie unter Kultur?

Sabine Remdisch: Kultur kann man beschreiben als Werte, Denk- und Handlungsweisen, die in einem Unternehmen geteilt werden.

Sie sprechen von einer Digitalen Kultur. Welche Denk- und Handlungsweisen sind es, die diese Digitale Kultur ausmachen?

Sabine Remdisch: Digitale Kultur hat nicht nur mit digitalen Tools zu tun. Digitale Kultur heißt für uns: die Kultur, die ein Unternehmen braucht, um in einer digitalen Welt erfolgreich zu sein. Unserer Studie zum „Digital Culture Fit" zufolge setzt sich diese neue Kultur im Prinzip aus drei Komponenten zusammen, die wir „Mindsets" nennen: ein sogenanntes Performance Mindset, ein Social Mindset und ein Innovation Mindset.

Das Performance Mindset, also das Leistungs-Mindset, kennen wir: Es umfasst Ergebnisorientierung, Leistungsorientierung, Wettbewerbsorientierung, Kundenorientierung und Qualitätsbewusstsein, die Klassiker also. Auch das Social Mindset ist bekannt: Es beschreibt, ob ein Arbeitsplatz sicher ist, ob die Organisation Stabilität aufweist, ob fair mit den Mitarbeitenden umgegangen wird, ob der Mitarbeitende etwas zählt im Unternehmen. Das sind die sozialen Faktoren, die traditionell in den Firmen Bedeutung haben. Diese beiden Komponenten sind geblieben. Hinzugekommen ist das Innovation Mindset. Dort finden sich all die Dinge, die in der digitalen Welt, in dieser neuen Arbeitswelt von Bedeutung sind: Agilität, Flexibilität, Zusammenarbeiten über Bereichsgrenzen hinweg, sich austauschen, Chancen schnell nutzen, Risikobereitschaft. Das Innovation Mindset ist der Hauptfaktor der Digitalen Kultur, aber die klassischen Faktoren Leistung und Soziales sind nach wie vor unverzichtbare Bestandteile.

Verstehe ich das richtig, dass Digitale Kultur eher ein normativer als ein deskriptiver Begriff ist?

Sabine Remdisch: Digitale Kultur beinhaltet beides. Es geht darum, die einzelnen Bestandteile dieser digitalen Kultur zu erfassen und zu beschreiben, aber eben auch darum, zu schauen, wie weit ein Unternehmen in der Umsetzung dieser Kulturmerkmale bereits vorangeschritten ist. Erst auf Basis dieser Erkenntnisse können wir dann auch die ganz praktische und wichtige Frage der Unternehmen beantworten: Wie kann ich eine Digitale Kultur gestalten?

… was sagen Sie?

Sabine Remdisch: Als Wissenschaftlerin sage ich: Es gibt eindeutige Belege, dass Kultur sich auf den Erfolg des Unternehmens auswirkt. Zahlreiche Studien zeigen starke Zusammenhänge zwischen Kultur und Erfolg, und wir konnten dies in unserer Studie auch wieder bestätigen. Wir haben sogar einen Zwischenschritt identifiziert: Kultur, die richtige Kultur, führt zu einer höheren Digitalisierung; die höhere Digitalisierung führt zu höherem Erfolg. Also: Kultur beeinflusst den Digitalisierungsgrad, und dieser wiederum beeinflusst den Unternehmenserfolg.

Wenn also Firmen fragen - und das war ja Ihre Ausgangsfrage: „Was ist wichtig bei der Digitalisierung?", dann sage ich: Kultur. Weil die richtige Kultur sehr stark den Digitalisierungsgrad beeinflusst, und der Digitalisierungsgrad wiederum für den Erfolg des Unternehmens sorgt. Deswegen ist Kultur ein ganz zentraler Baustein der Digitalisierung.

Wie hängen Unternehmenserfolg und Digitalisierung zusammen?

Sabine Remdisch: Ein höherer Digitalisierungsgrad geht einher mit einer besseren Marktperformanz, mit einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, mit einer höheren Disruptionsfähigkeit und einer häufigeren Umsetzung von Innovationen.

Wie genau haben Sie den Begriff der digitalen Kultur konzeptionell gefasst?

Sabine Remdisch: Wir haben 41 Merkmale identifiziert, mit denen eine Kultur beschrieben werden kann, zum Beispiel Teamorientierung, Risikobereitschaft, Agilität. Zu diesen 41 Punkten haben wir rund 2.400 Führungskräfte befragt. Sie sollten angeben, wie der Ist-Zustand in ihrem Unternehmen ist und was aus ihrer Sicht der Soll-Zustand sein sollte - also was wir künftig brauchen, um die digitale Welt erfolgreich zu meistern. Aus den Soll- und Ist-Werten haben wir dann durch eine Faktorenanalyse die drei genannten Mindsets extrahiert.

Nun sind da auch Faktoren dabei, die nicht mit der Digitalisierung zusammenhängen. Teamorientierung zum Beispiel wurde schon in den 1970er-Jahren zum Thema. Sie gewann an Bedeutung, bevor überhaupt in großem Maßstab Rechner eingesetzt wurden.

Sabine Remdisch: Deswegen sagte ich ja: Den Faktor Performance und den Faktor Soziales hatten wir schon immer. Das ist nichts Neues. Unternehmen haben immer schon auf die Qualität geschaut, haben immer schon darauf geachtet, dass die Prozesse stabil laufen und sie fair mit ihren Mitarbeitenden umgehen. Das sind traditionelle Faktoren, die bleiben und für eine digitale Welt nach wie vor von großer Bedeutung sind.

Hinzu kommen nun Faktoren, die wir so stark ausgeprägt noch nicht in der vergangenen Welt finden: agile Prozesse, über den Tellerrand hinausschauen, Chancen schneller nutzen - all das, was wir unter dem Stichwort Innovation und Innovationsbereitschaft zusammenfassen. Diese zusätzlichen, neuen, auf Innovation bezogenen Faktoren haben deutlich an Bedeutung gewonnen. Und das erklärt sich aus der Digitalisierung, weil durch die Digitalisierung Innovation schlicht viel schneller passiert. Wir arbeiten heute viel vernetzter, wir arbeiten mit schnellerem Informations- und Datenaustausch, und dadurch haben sich alle Innovationsprozesse deutlich beschleunigt. Dafür brauchen wir agilere Prozesse, brauchen einen besseren Ideenaustausch, dafür müssen wir Chancen ganz schnell ergreifen, um Innovationen umzusetzen. Die digitale Arbeitswelt hat Speed in unsere Prozesse hineingebracht.

Ihre Studie behauptet, die Digitale Kultur sei in deutschen Unternehmen unterentwickelt. Woran machen Sie das fest?

Sabine Remdisch: Daran, dass die Unternehmen die Faktoren, die wir unter dem Innovation Mindset einordnen, als weniger stark entwickelt ansehen, also Agilität, Risikobereitschaft, Chancen nutzen. Diese Dinge sind im Vergleich etwa zur Leistungsorientierung, die hoch bewertet ist, deutlich weniger ausgeprägt. Das haben die Führungskräfte, die wir befragt haben, so eingeschätzt.

Was ist nach Einschätzung der befragten Führungskräfte in Deutschland besonders wenig entwickelt? Wo besteht Nachholbedarf?

Sabine Remdisch: Wo wir uns verbessern können, verbessern müssen, das sind die Merkmale einer modernen Arbeitskultur, Stichwort New Work: Flexibilität, Agilität, übergreifende Zusammenarbeit, Innovationsfähigkeit, Lernkultur, Transparenz - die Faktoren im Innovation Mindset. Und „Mindset" scheint mir auch ein guter Begriff zu sein.

Warum?

Sabine Remdisch: Weil das Phänomen breit ist: Es geht um eine Haltung und um die Denkweise. Dieses Mindset ist auf Innovation ausgerichtet und beinhaltet jene Kulturmerkmale, die in der innovativen, agilen Unternehmenswelt wichtig sind, eben Flexibilität, Nutzung von Chancen und so weiter. Zugleich ist dieses Innovation Mindset gut abgrenzt von dem, was wir vorher hatten, nämlich Performance Mindset und Social Mindset.

Und mit der Betonung von Innovation baut dieser Begriff nicht so stark auf Digitalisierung, die noch immer als eine in erster Linie technische Entwicklung verstanden wird?

Sabine Remdisch: Digitalisierung bedeutet in erster Linie Innovation. Es geht nicht nur um technische Lösungen, wenn wir von einer digitalen Transformation sprechen, das ist das Handwerkszeug, sondern hauptsächlich um die Innovationsfähigkeit und -schnelligkeit.

Ein ganz wesentliches Kennzeichen von Digitalisierung ist die Auflösung des raumzeitlichen Bezugs von Arbeit, ihrer Bindung an Ort und Zeit. Das stellt besondere Anforderungen sowohl an die Zusammenarbeit der Menschen in Teams als auch an die Führung von Teams …

Sabine Remdisch: … absolut, ja …

… wo liegen die großen Herausforderungen?

Sabine Remdisch: Bei der Überwindung der Distanz. Führung beziehungsweise Kommunikation müssen heute sehr oft remote laufen - in globalen Teams, bei Mitarbeitenden im Homeoffice oder im Coworking Space et cetera. Die Grundmechanismen der Teamentwicklung hingegen sind unverändert. Teamentwicklung durchläuft in einem virtuellen Team nicht anders als in einem Face-to-Face-Team bestimmte Phasen, und auch das virtuelle Team hat die bekannten Bestimmungsmerkmale: ein Wir-Gefühl, verschiedene Rollen, Interaktion im Team und so weiter. Was aber als überlagernder Faktor hinzukommt, ist die Distanz, und die gilt es zu überbrücken.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Sabine Remdisch: Wenn ich in einem virtuellen Team auf Distanz interagiere, verlangt dies eine sehr viel intensivere und sensiblere Kommunikation als bei einem Face-to-Face-Team. All das, was an Informationen über die Distanz verloren geht, muss über die Kommunikation kompensiert werden. Wenn ich bei einer Telefonkonferenz die andere Person nicht sehe oder sie nur in einem kleinen Fenster sehe, dann muss ich all das, was ich nicht sehe, verbalisieren. Wenn ich zum Beispiel nicht sehen kann, ob der andere nickt, um meinem Vorschlag zuzustimmen, dann muss ich nachfragen: „Bist du damit einverstanden?" Oder ich muss alle, die zustimmen, bitten, einen Knopf zu drücken; es gibt entsprechende Tools, um Zustimmung auszuzählen und visuell auf dem Bildschirm darzustellen. Anders auch als bei einem Mitarbeitenden, der am Nachbartisch sitzt und für Rückfragen unmittelbar erreichbar ist, muss ich in einer Telefonkonferenz aufpassen, dass alle Begriffe erklärt sind, dass ein Arbeitsauftrag richtig verstanden wurde, dass Missverständnisse ausgeräumt sind und so weiter.

Kommunikation auf Distanz unterscheidet sich grundlegend von Kommunikation von Angesicht zu Angesicht?

Sabine Remdisch: Mitarbeitende sagen: Die Anweisungen per E-Mail, die ich auf Distanz bekomme, sind sehr viel ausführlicher und enthalten mehr Erklärungen, weil der Vorgesetzte sich bewusst ist, dass keine unmittelbaren Rückfragen möglich sind. Kommunikation auf Distanz läuft fokussierter und intensiver. Gleiches gilt für Feedback. Einem Mitarbeiter, der eine tolle Präsentation gehalten hat, klopfe ich auf die Schulter - nur wie vermittle ich das auf Distanz? Dann muss ich zum Hörer greifen, etwas eintippen oder eine App zu Hilfe nehmen, um Smileys zu verschicken. Das heißt, ich muss alles bewusster machen, was bei Face-to-Face-Kommunikation automatisch nebenherläuft. Das ist die Herausforderung bei der Führung und Kommunikation auf Distanz.

Die Herausforderung ist, sich diese Unterschiede bewusst zu machen?

Sabine Remdisch: Das - und sich Wege zu überlegen, die Distanz wirkungsvoll zu überwinden.

Wie? Haben Sie noch ein Beispiel?

Sabine Remdisch: Führung auf Distanz arbeitet sehr viel mit Dokumentation und Visualisierungen. In verschiedenen Zeitzonen und an verschiedenen Orten zu arbeiten, erfordert eine gute Berichterstattung, damit alle nachverfolgen können, wer an was arbeitet, oder Doppelarbeit vermieden wird.

Spannend ist, dass digitale Tools und Methoden wie Scrum oder agile Retrospektiven genau für solche Fragen Lösungen anbieten: um sich gemeinsam zu vergewissern, gemeinsam zurückzuschauen und eine gemeinsame Basis herzustellen.

Sabine Remdisch: Genau. Wir brauchen Agilität als Arbeitsansatz für eine digitale Welt.

Wo kann man aus Ihrer Sicht die digitale Kultur in der Praxis beobachten?

Sabine Remdisch: Ich pendele regelmäßig zwischen den Universitäten in Lüneburg und Stanford im Silicon Valley. Das Silicon Valley ist durch und durch erfüllt von einer Kultur der permanenten Veränderung und Innovation. Es ist disruptiv, unternehmerisch und bietet dem Gründergeist alle Freiheiten. Das schafft die Schnelligkeit, die Unternehmen für Erfolg in der digitalen Welt brauchen. Da sollte man genauer hinschauen und reflektieren, welche Wirkmechanismen man übernehmen kann.

Dieses Interview veröffentlichen wir in enger Kooperation mit der Online-Plattform changeX.


changeX ist die Online-Plattform für Zukunftsideen, neue Wirtschaft und Innovation. changeX behandelt Themen, die morgen wichtig werden. In Essays, Interviews, Buchrezensionen und Reports suchen wir nach Ideen mit Zukunft. Im Mittelpunkt: Innovation, Führung, Management, Wirtschaft, Bildung, Denken, Zukunft und andere Themen des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft. Motto: „In die Zukunft denken“. Ziel: Angesichts der Turbulenzen der Zeit den Überblick zu wahren.

changeX erscheint im Abonnement online unter http://www.changex.de und ist in den sozialen Netzwerken Twitter, Facebook und XING vertreten. Abonnenten können alle Beiträge auf dem Portal lesen und im Archiv mit mehr als 4.000 Artikeln recherchieren. changeX bietet Abo-Angebote für unterschiedliche Nutzerinteressen vom Lesen bis hin zum Weitergeben von Beiträgen unter Creative-Commons-Lizenz. http://www.changex.de/Page/AboOverview


Das könnte Sie auch interessieren:


Bildquelle: VBG/Cathrin Mülle

Autor: Winfried Kretschmer (Gastautor)

Veröffentlicht am: 12.12.2019


Verfasse einen Kommentar

×

×