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Themensammlung - Change-Kommunikation

Der Mensch bleibt ein unberechenbares Konstrukt

Interview mit Oliver Fink über Zusammenarbeit: Wie müssen wir arbeiten, um die Ressourcen aller zu aktivieren?

Der Frankfurter Oliver Fink, der unter dem Namen FINK DIFFERENT seine Beratungsboutique für einzigartige Menschen und Marken betreibt, ist gelernter Typograf, studierter Marketing- und Kommunikationsexperte, Texter, Konzeptioner, Creative Director in klassischen und eventorientierten Agenturen, parallel späterer Trainer und Coach, aber auch Dozent für Kommunikation, Rhetorik, Kreativität und Didaktik. Heute berät er, von Stuttgart aus, große und mittelständische Unternehmen, Kommunikationsdienstleister und Hochschulen in Deutschland und der Schweiz. In der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Partnern und Kunden gelten ihm Respekt, Wertschätzung und Offenheit als wichtige Werte. Er verbirgt in seiner Persönlichkeit weder seine psychologisch-analytische und zugleich kreative Art noch seinen christlichen Hintergrund.

MICE Club: Lieber Oliver Fink, Du sagst „Wie Kopf und Herz, so das Projekt“. Es geht Dir darum, Menschen in ihrer Zusammenarbeit über Haltung und Methodik zu verbinden – wie funktioniert das?

Am besten mit Hilfe von intensiven Gesprächen vor einem konkreten Projekt. Da aber meist die Zeit dazu fehlt, muss es on-the-Job geschehen. Wer hat welche Stärke? Wer ist am geeignetsten für was? Hierbei stehen manchmal hierarchisches Denken sowie Privilegien und geliebte Gewohnheiten im Weg. Die innere Haltung eines Menschen zeigt sich ganz authentisch in der Art und Weise des Fühlens, Denkens und Handelns. Idealerweise kommt da das Wahre, Schöne und Gute zum Vorschein, wie es so treffend an der Alten Oper in Frankfurt in Gedenken an den Griechen Platon steht. Und wenn jeder aus seinem Potenzial dazu beiträgt, wird ein passender Schuh draus. Das braucht jedoch Führung und Anleitung. Der/die Geeignetste, nicht der/die Größte, muss sich dann den Hut der Methodik aufsetzen und die passendsten Tools herausziehen. Ob das mal eine agile Projektmanagementmethode ist oder einfach mal ein lauter Stopp-Ruf, wenn der kreative Nebel uns in eine falsche Richtung führen möchte, ist situativ zu lösen. Auf jeden Fall ist es weder gut noch gesund, in ein Projekt einfach reinzustolpern. Wir müssen uns vorab in die Augen und in die Herzen schauen, dann wird es meistens gut.

MICE Club: „Das ist doch klar / Das versteht sich von selbst“ Wirklich? Vor der Zusammenarbeit steht für Dich die Auftragsklärung – die Frage: „Wie wollen wir zusammenarbeiten?“. Warum ist die Auftragsklärung so wichtig und warum wird sie trotzdem so oft unterlassen?

Ich muss mir über diesen Begriff der Auftragsklärung sehr oft Gedanken machen, manchmal als Designer, als Berater, manchmal als Coach und manchmal als Dozent. Da vermischen sich gerne die Rollen. Der Berater wird gerufen, weil der direktiv handeln soll. Wo kann es lang gehen? Was lehrt uns die Erfahrung etc.? Der Coach begleitet den Weg zum Ziel, hört sehr intensiv zu und hält sich idealerweise mit Ratschlägen zurück. Der Dozent wiederum hat den Auftrag, Wissen zu vermitteln, auf didaktisch, rhetorisch und mathetisch geschickte Weise. Alles basiert auf der Frage: Was ist mein Auftrag, welche Erwartungen hat mein jeweiliger Kunde? Expectation Management heißt der Fachbegriff. Wir nehmen so viel an und haben unsere Erwartungen immer als das Maß aller Dinge. Leider reden wir weder über Annahmen noch über Erwartungen ausreichend. Doch hier liegt ein guter Start ins Projekt verborgen. Auf Kundenseite und auf Dienstleisterseite braucht es diese aktive und lebendige Erwartungsdebatte. Doch wir kommen zu einem Gespräch und im dritten Satz heißt es schon: „Ich habe nur 30 Minuten Zeit heute, aber müsste für das Briefing und ein Kennenlernen ja reichen …“. Es liegt nicht an der fehlenden Zeit, sondern an der Unterschätzung der Wichtigkeit dieser Phase. Wer etwas für wichtig hält, es priorisiert, der nimmt sich natürlich auch die Zeit dafür. Und schafft damit die notwendige Klarheit für einen guten Projektablauf.

MICE Club: Was gehört in diesen Klärungsprozess?

Erstmal schauen wir das Problem an. Das Wort Problem kommt aus dem Griechischen und heißt schlichtweg „das Vorgelegte“. Ich liebe Probleme, aus diesen Themen machen wir dann wunderbare, ergreifende und zielführende Lösungen. Das ist der Einstieg. Wir treffen uns nicht, weil wir nett sind, sondern wir haben eine konkrete Herausforderung und möchten am Ende Menschen beeinflussen. Das betrifft die Zusammenarbeit Auftraggeber – Dienstleister genauso wie die Zusammenarbeit innerhalb des Projektteams mit den unterschiedlichen Gewerken. Es gilt zu verstehen, welches Problem der Kunde gelöst haben möchte. Außerdem wollen wir unbedingt herausfinden, was dem Kunden wichtig ist. Was hat für ihn einen großen Wert, was weniger? Wenn das im Briefing bzw. Rebriefing und vor allem im persönlichen Gespräch geklärt ist, suchen wir den besten Weg und passen den Projektablauf und das Team darauf an. Es geht ja nicht darum, immer mit dem LKW die eine Obstkiste nach Italien zu fahren. Kunden wissen es durchaus zu schätzen, wenn wir auf Kosten und Ressourcen gleichermaßen achten. Letztlich provozieren und komponieren wir ja keinen Aufwand, sondern Emotionen und Einstellungen.

Dazu nutzen wir schlanke Formen der Zusammenarbeit mit Hilfe von Collaboration-Software, Telkos, agilen Ansätzen wir Scrum oder Kanban (elektronisch und analog). Irgendjemand gewissenhaftes und sehr zuverlässiges pflegt dann auch die wichtigen Excel-Tabellen und überwacht Kosten, Zeit und Qualität. Das können wir meist sehr gut, darin sind die Deutschen bekanntermaßen unschlagbar. Doch da sitzt nicht das Feuer der guten Ideen oder der Motor des Erfolges. Das sollten wir manches Mal lieber verlernen …

MICE Club: Spannend, Organisation und Controlling sollten wir lieber verlernen, warum?

Naja, verlernen nicht im Sinne von vernachlässigen, sondern wir sollten wissen, was an welcher Stelle oder in welcher Phase relevant und wirkungsvoll ist. Kunden, bei denen Vertreter des Zentraleinkaufes sitzen und uns ernsthaft als allererstes fragen, wie viele Savings wir ihnen bringen können, haben ihre Zahlen im Kopf, haben ihre Daseinsberechtigung durchzusetzen. Aber das ist an dieser Stelle völlig unproduktiv. Ich empfehle dann dringend, dass das Thema „Überzeugung und Begeisterung der Teilnehmer“ im Vordergrund stehen sollte und nicht der Kostendruck. Kostendiskussion ja, aber nicht permanent und als gedankliche Bremse. Was in der kreativen Phase zudem mehr Freiheit und weniger Organisation benötigt, ist die Form der Ideenfindung. Auch da gibt es viel Methodik und Fantasie, die nicht genutzt wird, weil man Ideen nebenher in Telkos oder morgens zwischen 11:30 und dem Telefontermin um 12:15 Uhr entwickelt …

MICE Club: Der „komplexe Psychokosmos Eventtreibender“, den wir in Deinem Vortragstitel für den MICE Club LIVE finden, was zeichnet ihn aus?

Zum Beispiel die Begegnung Jung und Alt. Erfahrung trifft Generation Y. Das kann gewaltig Funken schlagen. Die 27-jährige Projektleiterin auf Kundenseite sitzt eventerfahrenen Baby-Boomern gegenüber. Oder auch mal umgekehrt. Das braucht Klärungsbedarf. Oder zum Beispiel manch irrsinnige Erwartungshaltungen, kryptisch verborgen in den Untiefen eines zusammenkopierten Briefings. Ich zitier‘ da mal ganz fiktiv und frech: „Die Jahresveranstaltung 2020 muss unsere konsequente Bereitschaft zu disruptiven Ansätzen als Overall Topic des Vorstandes abbilden. Dabei sollen die DNA unserer Marke und der neue strategische Ansatz (siehe Präsentation anbei von CEO Maier ((wird gerade noch überarbeitet – nicht final!!!)) unbedingt berücksichtigt werden. Es gilt, unsere traditionelle Führerschaft mit der ressourcenbewussten Haltung in ein unvergessliches Erlebnis zu transformieren, das auf die verabschiedeten Leitbildwerte Agilität, Co-Creation und User Experience einzahlt. Hierzu erwarten wir von der Agentur weitere optionale und vor allem innovative Mehrwertealternativen …“ Weissde Bescheid. Und dann geht es darum, wer, was, wie damit gemeint haben könnte. Das ist ziemlich komplex und „intentionschaotisch“ und häufig nur mit psychologischen Ansätzen wie der Transaktionsanalyse oder dem Konfliktmodell nach Thomas zu meistern. Ich bin dann manchmal geneigt, durch einen ganzen Strauß von Blumen zu fragen: „Kennen Sie wirklich Ihr Problem?“ Dann zeigen die Auftraggeber ihre Muskeln. Schließlich sitzen diese im „Driver‘s Seat“. Das wird dann aber keine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bei der Jede und Jeder sein Bestes gibt. Das wird eher eine ganz angespannte Form der Dienstleistungssklaverei, die ich häufig in Konzernen beobachte.

MICE Club: Augenhöhe oder Dienstleister? Ist das überhaupt ein „oder“? Geht beides, oder ist der Dienstleister „Sklave“, weil er sich den vorherrschenden Kulturen in Konzernen fügen muss, gerade am Anfang einer Karriere?

Es ist eine Gratwanderung. Was ich muss oder nicht, hängt von meinem Drang nach Unabhängigkeit ab. Dass alles seinen Preis hat, ist auch klar. Ein freches Mundwerk kann auch mal leer ausgehen. Aber oft ist diese Leere lehrreicher und erträglicher als eine ziemlich leere Zusammenarbeit mit knüppelharten Controlling-Bandagen, verbunden mit neurotischem Machtgehabe. Das lateinische Wort Cultura bedeutet ja Pflege, Bearbeitung oder auch Ackerbau. Wenn ich ein Unternehmen pflege, es nachhaltig bearbeite, um so einen fruchtbaren Acker für schöne Erfolge zu erhalten, habe ich den Begriff Kultur recht verstanden. Das gilt für den Einmann-Original-Toskana-Olivenölladen genauso wie für einen internationalen Investitionsgüterproduzenten mit 65.000 Mitarbeitern. Wenn ich jedoch das Konzernspiel der Dienstleistungssklaverei mitspiele und Gleiches mit Gleichem vergelte, dann werde ich vielleicht den Boden ausbeuten, die zwischenmenschliche Pflege vernachlässigen und die Bearbeitung meinem Controlling und dem achten Strategiepapier in diesem Jahrzehnt überlassen. Und muss im schlimmsten Fall mit einer erschütternden und angsterfüllten Subkultur leben, die nur suboptimale Ergebnisse erzielt.

MICE Club: Neben der Methodik und der Haltung ist für Eventtreibende die Didaktik wichtig. Wie lässt sich Wissen zielorientiert und Freude bringend vermitteln? Welche Erfahrungen kannst Du aus dem Hochschulbereich ins Eventbusiness einbringen?

Da kann ich auf viel Erfahrung zurückgreifen, denn jede Vorlesung, jeder Workshop, jede Weiterbildungsveranstaltung, ob für die Lernenden oder die Lehrenden, gibt mir Feedback, ob der Wissenstransfer erfolgreich oder langweilig war. Das beginnt mit den ersten Momenten der Begegnung. Welche Zeichen setze ich? Welche Aufmerksamkeit möchte ich erzeugen? Wie ist die Dramaturgie? Dann geht es an die Lernarrangements. Wie hoch ist das Involvement der Studierenden? Was bringen Sie mit? Wie gehen sie das Thema an, was interessiert sie an der Sache? Dieses Einbinden ist ein großes, unterschätztes Geheimnis. Erst die letzten Jahrzehnte brachten da einige gute Ansätze zustande, wie z.B. das Projektbasierte Lernen oder wie die Angelsachsen sagen: Problem based Learning (POL). Das klingt schwer nach Problem und Lernen. Oh je … Aber es geht darum, dass das Thema im Mittelpunkt steht, die Interaktion im Vordergrund, während das langweilige Vermitteln von Daten und Fakten in den Hintergrund rückt. Das können wir lernen aus der Didaktik, aber auch aus der Art und Weise, wie Theater, Musik, Kunst oder Sport unsere Sinne bespielen. Warum? Weil der Mensch Freude empfindet, wenn seine Seele angesprochen wurde. Hoffentlich zu 100 %. Wenn das Interesse des Menschen geweckt wird, ist der Geist zu 100 % angesprochen. Und wenn unser Körper im Einklang ist, hat dieser Lust und Energie, auch in diesem Fall hoffentlich zu 100 %. 100 %-ige Freude, Interesse und Lust, das ist das Ziel von „vollsinnlicher“ Wissensvermittlung und diese Zielsetzung kann ganz einfach und sehr direkt übertragen werden in den Bereich der Live-Kommunikation.

MICE Club: Co-Creation und Collaboration sind in aller Munde und werden ein wichtiges Thema beim MICE Club LIVE sein. Mitmachformate boomen. Das war mal ganz anders, früher hieß es – „Lass das, wir wollen einen Vortrag!“ Warum war das so und was hat sich verändert?

Mit der Aufgabe der Informationsprivilegien hat sich das Verhalten in der Gesellschaft verändert. Daten und Informationen sind heute im Übermaß verfügbar. Wissen manchmal auch. In wenigen Sekunden kann ich mich ganz grob über fast alles ziemlich schlau machen – ein Klick genügt. Das war früher nicht so. Da kam der Wissende, der Buchautor, der Professor, der Erfinder, der Charismatiker etc. und hatte Raum und Wort. Der Wissensvorsprung begünstigte aus meiner Sicht dieses Prinzip des „Frontalunterrichtes“. Heute ist die Frage eher: Welches Wissen brauchen wir für was und wie übertragen wir die Wissensbewirtschaftung auf unsere eigenen ökonomischen oder auch sozialverantwortlichen Belange? Das begünstigt die Mitmachformate, das braucht interessante, offene Debatten und neue Reize für unseren Geist. Nur allzu schnell langweilen wir uns, der Todfeind in der Rhetorik. Der ehemals Vortragende wird zum Wissensmoderator und organisiert das Wissen, stellt es zur Verfügung und modelliert es passgenau auf das Zielpublikum.

MICE Club: Momentan jedenfalls machen alle den Trend mit, alles ist Fishbowl und Barcamp – jetzt warten wir auf‘s Neue – was könnte das sein, Deiner Meinung nach?

Es gibt heute Vieles parallel. Wir können uns herausgreifen, was für uns passt. Natürlich verhalten sich viele wie Lemminge, allein was die Bühnentechnik, die Inszenatorik angeht. Events ähneln sich, müssen irgendwie trendy sein. Ob das immer passt, wage ich zu bezweifeln. Manchmal bemerkt man das Bemühen um Agilität, um Modernität, um 4.0-Attitüden. Doch es wirkt aufgesetzt und nicht authentisch. Da kommt nach einem wunderbar inszeniertem Science-Fiction-Opening mit allem Schnick und Schnack ein älterer Herr im dunkelblauen Windsor auf die Bühne und verliest einen neunzigminütigen Vortrag. Der sogenannte disruptive Ansatz wird im feinen Flanell wieder jäh erstickt. Nicht authentisch eben. Dann doch lieber die bodenständigen Werte – die ja bei Traditionsunternehmen sehr wichtig und wertvoll sind – geschickt aufnehmen und in einem Guss wirken lassen.

Was sich verändern und verstärkt kommen wird: Mehr Austausch untereinander. (Der Mensch und das Gespräch erleben gerade eine Renaissance.) Regionale und lokale Events werden die großen Veranstaltungen ersetzen, Stichworte sind hier Klimaproblematik und Zeitnot. Wir werden eine stärkere Vernetzung der Online- und Offline-Welt erleben und eine noch stärkere multisensorische Ansprache. Hier ist allerdings weniger nicht nur manchmal, sondern meistens mehr: Gezielt gesetzte Reize verankern sich und bleiben im Gedächtnis.

Was sich nicht verändert, ist jedoch die ständige Veränderung des Subjekts: Der Mensch bleibt ein unberechenbares Konstrukt aus Emotionen, Gewohnheiten, Annahmen und Eigentümlichkeiten. Damit bleibt auch unser Job täglich spannend.


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Bildquelle: Oliver Fink

Autor: Andrea Goffart

Veröffentlicht am: 15.05.2019


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Gabi Schares,
EVENT Impuls
17. Mai, 09:28 Uhr

Sehr gutes Statemant. Erinnert mich an den Satz "Der Mensch steht im Mittelpunkt - und somit allen im Weg".

Leider ein Glaubenssatz, der unausgesprochen zum Selbstläufer wurde. Wir müssen mit Emotionalität umgehen lernen und nicht immer Fakten und Zahlen in den Vordergrund stellen. Die besten Events in 30 Jahren Berufserfahrung waren die, in denen ich in alle Richtungen zu und zwischen Stakeholdern positive Beziehungen, positive Kommunikation und Wertschätzung aufbauen konnte.

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