Die Messe ist tot. Es lebe die Messe!
Ein Marketingformat im Wandel
Wer sich auf der letzten IAA umschaute, sah vor allem eines: Abwesenheit. Will heißen: Nachdem Volvo zwei Jahre zuvor den Anfang machte und durch das erstmalige Fernbleiben der Leitmesse noch eine Solistenrolle innehatte, traten 2017 gleich mehrere Player nicht an. Allen voran Tesla, von denen man sich wohl Bombastisches erwartet hatte. Brauchen sie aber offensichtlich nicht. Den Bombast. Ihr Model 3 verkauft sich augenscheinlich auch so wie warme Semmeln. Was zum eigentlichen Kern der Frage führt: Sind Messen überhaupt noch zeitgemäß? Wozu eine kostenintensive Plattform bespielen, wenn man seine Kunden auch auf anderem Weg erreichen kann? Gibt es sie überhaupt, diese anderen Wege? Oder muss man die Messe einfach ‚nur’ neu denken?
Neu denken heißt vor allem: anders denken
Einen Abgesang auf die Messe als Marketinginstrument anzustimmen, mag übereilt sein. Messen sind, gerade für B2B-Unternehmen, nach wie vor ein zentrales Instrument im Marketingmix und damit alles andere als totgesagt. Das zumindest attestiert die aktuelle Studie „Messetrend 2017“ des Verbands der Deutschen Messewirtschaft (AUMA). 83 % aller Unternehmen betrachten Messen demnach als sehr wichtiges oder wichtiges Element ihrer Kommunikation – direkt nach der Unternehmenswebseite. Diese Bedeutung spiegelt das Marketingbudget wider: Laut der jährlich durchgeführten bvik-Studie „B2B-Marketing-Budgets“ investierten B2B-Unternehmen im Jahr 2016 durchschnittlich fast 40 % ihres Etats in Messen, Ausstellungen und Kundenevents. Der Trend zeigt, dass sich daran auch in Zukunft vermutlich wenig ändern wird.
Natürlich liegt die Empfehlung nahe, ernsthaft über die Sinnhaftigkeit seiner Messe-Spendings nachzudenken, sobald man in Versuchung gerät, den alten Messestand beziehungsweise das Vorjahreskonzept wieder zu verwerten. Das ist nämlich weder ökonomisch gedacht noch clever. Altbekanntes ist so fad wie kalter Kaffee – Messebesucher erwarten im Zeitalter mehrwertorientierter Nutzergewohnheiten und individueller Kundenbedürfnisse eine erlebnisorientierte Ansprache. Die verkaufsorientierte wie interaktionsfreie Produktpräsentation ist ein Fall für den Bestatter.
Andererseits ist jedem klar, dass Messen selten als primäres Verkaufsinstrument dienen. Es geht um Kommunikation. Um Präsenz. Um den Dialog zwischen Aussteller und Zielgruppe. Und der kostet nun einmal mehr als Standbau und Standgebühr. Erfolgreiche Kommunikation kostet Ideen. Stories. Wer etwas zu erzählen hat, sticht aus dem Einerlei heraus. Das demonstrierte Mercedes auf der IAA, um bei diesem Messebeispiel zu bleiben. Das Unternehmen wagte den Versuch einer Neuerfindung und sich selbst an aktuelle Themen der Zeit. Ihr Messestand? Ein Convention Space. Statt nur Autos zu gucken, wurde an drei Tagen auf dem Mercedes Symposium über die Zukunft der Automobilität diskutiert. Das war nicht nur hipp. Es war sogar richtungsweisend. Erstmals ging es nicht um den eigenen Marken-Hype – kein offen zur Schau getragenes ‚bigger, better, Mercedes is King’. Vielmehr konnten sich Zukunftstechnologien sowie Start-ups – und damit die Zulieferer von morgen – präsentieren. Womöglich ein extrem cleverer Schachzug. Vor allem aber: Neu. Den Zulieferer haben übrigens auch andere Automobilisten großgeschrieben. Partnerschaft könnte ein wichtiges Stichwort sein für künftige Messepräsentationen.
Dann wäre da noch die Sache mit der Digitalisierung
Dass viele Branchenplattformen wie ein langweiliges Kaffeekränzchen wirken, liegt natürlich nicht nur an der Auswahl der Plätzchen. Ein Produkt in Realiter, in 3D und zum Anfassen ist in unserer durchdigitalisierten Zeit oftmals nicht mehr ausreichend. Messebesucher erwarten Bits und Bites, ein virtuelles Erlebnis. Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) – nicht neu. Und sicher kein allgemeingültiges Rezept für eine vertrauensvolle Kundenkommunikation. Doch eines ist auch klar: Zukunftsfähigkeit erzählt sich nun einmal besser über Spielstationen statt in der Sitzgruppe. Dass diese sich stimmig in den Gesamtauftritt einfügen und ein ganzheitliches emotionales Erleben bieten sollten: Nachvollziehbar. Diese Transformation ist eine enorme Herausforderung und eine große Chance zugleich. Denn der Einsatz neuer Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten kann wesentlich dazu beitragen, Marken auch im virtuellen Raum erlebbar zu machen. Speziell wenn Exponate nur schwer auszustellen oder zu verstehen sind. LED-Leinwände, VR-Brillen, Tablets und Touch-Screens können Beratungsgespräche unterstützen oder eigene Geschichten erzählen, die ein einzelnes Produkt manchmal nur schwer transportieren kann. Eine spannende Verknüpfung zweier Welten, die die Zielgruppe exklusiv betreten darf.
Faktor Kosten
Die Messe befindet sich im Wandel. In einem Transformationsprozess, der es schwermacht, einen Blick in die berühmte Glaskugel zu werfen. Doch sie ist lebendig. Selbst im Angesicht der zunehmenden alternativen Möglichkeiten bleibt sie für die meisten Unternehmen eine feste Bank. Allerdings blättert langsam der Lack ab, ein neuer Anstrich ist sicher von vielen Seiten, Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, notwendig. Die Antwort liegt nicht im blanken digitalen Aktionismus. Ein virtuelles Erlebnis alleine führt nicht zum Kauferfolg. Das bestätigt auch Frank Keinath, CEO, Bluepool Messen & Events, im bvik-Whitepaper: „Digitale Elemente dienen als Hilfsmittel, um Botschaften zu transportieren und besser auf den Informationsbedarf des Kunden einzugehen. Sie sind niemals ein Ersatz für das persönliche Gespräch. Unternehmen sollten darauf achten, dass das Live-Erlebnis, das eine Messe ausmacht, nicht durch digitale Lösungen dominiert wird.“ Kai Halter, Director Marketing bei Ebm-Papst und Vorstandsvorsitzender des bvik, betont das „persönliche Erlebnis“ und den intensiven, direkten Austausch mit der Zielgruppe: „Vertrauen und ein gutes Gefühl werden bei der Kaufentscheidung für ein Investitionsgut immer eine wichtige Rolle spielen. Gerade im Zuge der Digitalisierung wird der Wunsch nach persönlichem Kontakt noch wichtiger. Ich kenne kein Format, das so vielseitig bespielbar ist, wie die Messe.“
Der Wunsch nach persönlichem Kontakt bleibt auch in Zukunft erhalten. Spannend bleibt die Frage, wie dieser Kontakt aussieht. Wie die Spielwiese Messe bespielt werden wird. Ohne Ideen, wie Erleben und Kommunizieren in Einklang gebracht werden können, wird es nicht funktionieren. Dass es funktioniert, hat Mercedes bewiesen. Dass Messen am Ende attraktiv für alle bleiben, hängt zu guter Letzt natürlich auch vom Veranstalter ab. Auch Messebetreiber müssen sich weiterentwickeln, was ihre Standortattraktivität betrifft. Shuttle-Services, eine reibungslose Logistik, einfache Registrierung, technische Angebote und Kooperationen mit Hotels sind nur die ersten Punkte, die auf die Agenda gehören. Denn die Messe lebt. Sie muss nur einmal tief durchatmen.
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