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Porträt, EventTech, Themensammlung - Inszenierung/Konzeption

„Der Ablaufregisseur macht begnadete Solisten zu einem Chor“

Berufsbilder in der Eventbranche: Heute im Interview Eventregisseur Jochen Hinken

Als Eventregisseur hat sich Jochen Hinken bei vielen Firmen und Agenturen einen guten Namen erarbeitet. Er versteht sich als Berater in allen Bereichen der Eventproduktion und sieht sich vor allem als Mittler zwischen den Welten von Kreation und Technik. Seit über 40 Jahren spielt er in einer semiprofessionellen Rock- und Bluesband als Schlagzeuger und ist Kulturpreisträger seiner Heimatstadt.

MICE Club: Lieber Jochen, was muss man können, um Eventregisseur zu werden?

Letztendlich ist das Können die Summe der Erfahrungen. Die Kunst des Regisseurs ist es, sich in andere Sichtweisen hineinversetzen zu können. Zuhören, kennenlernen, verstehen, wie der andere denkt. Fragen stellen klappt viel besser, als eigene Konzepte durchzudrücken.

MICE Club: Das Können hat also viel mit Einfühlungsvermögen zu tun. Und was muss man sein, um Eventregisseur zu sein – anders gefragt, was hast du gelernt?

Eigentlich ist Eventregisseur kein Berufsbild. Anders als zum Beispiel bei Theater- oder Filmregisseuren gibt es keine Ausbildung. Viele kommen aus den kreativen Bereichen und über das Schreiben von Konzepten zur Regie. Auch viele Tänzer oder Choreografen machen Ablaufregie im Eventbereich.

Ich bin einer der Wenigen, die über die technische Seite eingestiegen sind. Als technischer Leiter habe ich lange Zeit für POOL gearbeitet und mich später wieder selbstständig gemacht. Dann hat mich vor vielen Jahren in Barcelona ein Ablaufregisseur mit meiner perfekt geplanten Technik an die Wand fahren lassen, so dass ich einen Kunden verloren habe. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich selbst in die Ablaufregie von Veranstaltungen gekniet und diese Entscheidung bis heute nicht bereut.

MICE Club: Eventmanager, technischer Leiter und viel Unterstützung aus dem Team – wozu brauche ich den Eventregisseur?

Wozu brauche ich den Dirigenten – ich habe doch alle Musiker und auch den ersten Geiger? Der Regisseur macht begnadete Solisten zu einem Chor. Wenn du Techniker, Manager, Kunden und Künstler zusammenbringst, dann bin ich derjenige, der den Gleichklang schafft, der sagt: Und jetzt bitte alle zusammen.

MICE Club: Also vom Kunden über den Techniker über den Künstler, die Servicekraft und die Garderobiere tanzen im Idealfall alle nach Deiner Pfeife.

Mit Pfeifen habe ich es nicht so. Aber im Prinzip: Ja. Wenn Du die letzten beiden weglässt. Ich bin für den gesamten Ablauf auf der Bühne zuständig. Für Ambiente, Licht, die Hintergrundmusik, die Powerpoints und so weiter.

MICE Club: Aber wenn die Garderobiere nicht mitspielt und den Gästen die Laune schon beim Mantelabgeben verdirbt, dann ist Essig mit Ambiente, oder?

Das ist komplett richtig und ein Problem des richtigen Briefings. Ich merke dann nur, dass miese Stimmung herrscht und muss mich fragen, woher die kommt. Es ist definitiv so, dass vom Gabelstaplerfahrer bis zum Keynotespeaker jeder zum Erfolg beiträgt. Nur wenn alle mitleisten, entsteht eine Einheit. Das kann ich im Vorfeld durch Planung erreichen. Vor Ort hilft Umsicht und Übersicht, um ein Dilemma rechtzeitig zu bemerken und maßvolle Alternativen aufzuzeigen, um es zu beseitigen.

MICE Club: Das kannst Du?

Das muss ich als Vater von fünf Töchtern können.

MICE Club: Gut, im Privaten kann es mal knirschen und dann handelt man und entschuldigt sich im Zweifel hinterher. Aber bei der Veranstaltung darf der Gast nichts vom Dilemma merken.

Tut er auch nicht. Ich habe noch nie erlebt, dass etwas abgebrochen oder abgesagt wurde. Selbst wenn alle unken „das funktioniert nie“ – doch, es funktioniert. Und der Gast merkt es nicht, er hat ja, anders als ich, keinen Ablaufplan in der Hand und wenn alle entspannt bleiben, bleibt es auch der Gast.

Deswegen braucht der Regisseur von der Kundenseite auch das Vertrauen. Nur wenn man dem Regisseur vertraut, kann er auch sensible Ding, die auf der Bühne und nebenher passieren, gut handeln.

MICE Club: Wer sind denn eigentlich Deine Kunden?

Ich habe ein breites Portfolio, vielfach sind es Versicherungen mit Awards oder Nadelverleihungen. Oder die Automobilbranche mit Händlertagungen oder, kürzlich, der IAA, aber auch Mittelständler, die ein Jubiläum feiern möchten.

MICE Club: Fehlt Dir noch ein Kuchenstück zum Glück?

Es kommt alles, was kommen soll und ich freue mich immer wieder, wenn ich „zufällig“ jemanden treffe, der oder die mich gerade jetzt braucht. Davon lasse ich mich leiten, ich bin niemand der träumt oder plant.

MICE Club: Witzig – für einen Ablaufregisseur …

(lacht) Ja, jetzt, wo Du es sagst. Im Leben bin ich tatsächlich planlos, vielleicht brauche ich das. Ich plane auch keinen Urlaub: Wenn der Kalender mal eine Lücke hat, schnappe ich mir meine Frau und los geht’s.

MICE Club: Und die fünf Töchter …

Sind mittlerweile flügge und selbst berufstätig. Mit der Jüngsten arbeite ich oft und wahnsinnig gerne zusammen. Sie ist auch im technischen Bereich tätig und meine liebste Regieassistentin.

MICE Club: Regieassistentin, da musste ich gerade an den Abspann von Filmen denken. Wäre Fernsehregie eigentlich auch mal was für Dich?

Hm – eher nicht. Das ist nicht so mein Ding, dieses „schneller, höher, weiter“. Der Mensch verschwindet zwischen Technik-Bombast, dabei darf die Technik bei keinem Event den Menschen verdecken. Der Fokus muss auf dem Künstler sein, auf dem Wesentlichen. Ich bin ja selber Musiker und weiß, wie man sich fühlt, wenn zu viel Technik einen verdrängt. Natürlich setze ich moderne Technik gerne ein, da komme ich ja schließlich her, aber man muss nicht alles mitmachen.

MICE Club: Was gefällt Dir denn in Sachen neue Technik?

Mapping ist ein großes Thema. Ich habe die Wiener Hofreitschule von innen gemappt, das war beindruckend. Ein anderes Beispiel für „Technik, die gefällt“ hatte ich in Schottland. Dort haben wir eine Holofolie komplett über die Bühne gespannt, um Personen virtuell auftreten zu lassen. Technik darf aber nie der Star werden und man muss sich bewusst sein, dass die Harmonie von Mensch und Technik geprobt werden muss. Sonst wirkt es nicht. Das zeigt sich bei so einer Holografie natürlich eklatant, aber auch der ungeprobte und ungeübte (oder unsichere) Einsatz eines Mikrofones in der Moderation hat mich schon Nerven gekostet. Da heißt es dann schnell, die Technik funktioniert nicht. Aber eigentlich ist es ja immer der Mensch, der in dem Moment nicht funktioniert hat.

MICE Club: Aber es ist ja viel einfacher, die Schuld der Technik zu geben?

Tja, die Schuldfrage – immer noch ganz weit vorn. Wenn der Kunde gemerkt hat, dass irgendetwas nicht ganz passgenau war, dann brauchen wir halt einen Schuldigen. Ich sag ja schon immer dazu, dass ich unter meinem Pullover ein T-Shirt mit „Ich hab Schuld“ trage.

MICE Club: Wird die Schuldfrage thematisiert?

Eigentlich nicht, jedenfalls nicht sofort. Nach der Veranstaltung gibt es eigentlich erst mal die drei häufigsten Lügen der Eventbranche – kennst Du die?

MICE Club: Nein, spannend, sag mal bitte.

„Es war ein supertoller Job!“, „Du bist beim nächsten Mal sicher dabei.“, „Die Rechnung ist schon bezahlt.“ Aber bitte nicht falsch verstehen. Ich kann diese konfliktvermeidende Kommunikation sehr gut verstehen – wir haben teilweise einen harten Job hinter uns, sind irre froh, dass es vorbei und gut geworden ist. Keiner will dann noch ein Fass aufmachen und um 2 Uhr morgens noch eine Diskussion anfangen. Dann lieber erst mal wegloben und später diskutieren. Ich finde das verständlich, die Jungs und Mädels aus den Agenturen betreiben ja Höchstleistungssport an so einem Abend.

MICE Club: Wenn es so anstrengend ist – woher kommt der große Reiz, den die Branche ausübt?

Schnellere Erfolgserlebnisse hat man in wenigen Berufen. Ich glaube, das zieht viele an, diese häufigen Glücksmomente. Was mich persönlich an dem Job fasziniert, sind die Menschen, die ich kennenlerne. Menschen, mit denen ich sofort Pferde stehlen könnte oder mindestens ein Jahr gemeinsam in Urlaub fahren. Die geben mir, trotz des harten Jobs, immer wieder einen richtig guten Grund weiterzumachen.

MICE Club: Anders als beim Theaterregisseur ist also nicht der Applaus Dein Lohn, sondern die Menschen und deren Reaktionen? Das Leuchten in den Augen der Gäste, ist es das?

Ja genau, so können wir das stehen lassen.


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Bildquelle: FAMAB

Autor: Andrea Goffart

Veröffentlicht am: 23.11.2017


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Wolfgang Beyer,
COLORI Events
24. November, 11:41 Uhr

Genau so ist es, Jochen Hinken - kann ich aus eigener Erfahrung als Eventregisseur nur bestätigen. Tolles Interview :-)

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