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Porträt

„Als Freelancer ist die Grundeignung gleichzeitig die Lebenshaltung: Unabhängigkeit, Flexibilität, Freiheitsdrang und stetige Neugier“

Berufsbilder in der Eventbranche: Heute im Interview Freelancerin Susanne Madée

Susanne Madée, Jahrgang 1969, ist Freelancerin und arbeitet als Locationscout und Eventmanagerin. Sie blickt auf fast 30 Jahre Eventerfahrung zurück und war von Anbeginn auf verschiedenen Seiten der Branche tätig. Aufgrund mehrerer hundert Reisen und Veranstaltungen verfügt sie über ein enormes Branchenwissen, unzählige Kontakte und Ortskenntnisse (fast) rund um die Welt – sie ist die „Frau mit dem großen Ortschatz“, wie eine Journalistin sie einmal treffend genannt hat.

MICE Club: Susanne, Du bist seit 24 Jahren Freelancerin – wie und warum wird frau zur Solistin in der Branche?

Freelancerin wird frau nicht, das ist sie einfach. Dasselbe gilt übrigens auch für die Eventmanagerin. Ich kann viele Studiengänge anhäufen: Wenn ich die charakterliche Grundeignung nicht habe, dann wird das nix.

Als Freelancer ist die Grundeignung gleichzeitig die Lebenshaltung: Unabhängigkeit, Flexibilität, Freiheitsdrang und stetige Neugier. Das hat viele Vorteile – wenn ich im Jahr für 15 verschiedene Agenturen arbeite, erlebe ich 15 verschiedene Arbeitswelten: menschlich, fachlich, verschiedene Orte und Prozesse, das ist für mich großartig. Für andere mag diese permanente Veränderung purer Horror sein. Natürlich ist am Freelancing nicht alles Sonnenschein – ich muss auch die Risiken in Kauf nehmen und brauche starkes Vertrauen in meine Fähigkeiten. Als Kernkompetenz für jeden Freelancer sehe ich eine positive Grundhaltung, „das wird schon“. Wenn ich jetzt zu wenige Aufträge für November habe und das nicht aushalten kann, dann ist das Freelancertum nix für mich.

MICE Club: Wie kommt es, dass Du das (gerne) aushältst?

Früher habe ich mehr mit mir gehadert, inzwischen weiß ich, dass 80 % meiner Anfragen einen nahezu sofortigen Start bedingen. Ich gehe also davon aus, dass Anfang November das Telefon klingelt und ich lückenlos weiterarbeite. Und wenn ich dann nicht möchte oder kann, dann halt nicht. Es ist immer meine Entscheidung! Dieses „ICH KÖNNTE“ ist wichtig, das gibt mir das Gefühl der Unabhängigkeit, die ich brauche. Wenn ich – was sehr, sehr selten vorkommt – mit einem Projekt oder einer Agentur nicht klarkomme, dann sage ich am Ende „Danke, meine Freunde!“ und das war‘s dann.

MICE Club: 80 % Deiner Aufträge bedingen den sofortigen Start, sagst Du. Liegt das auch daran, dass Du erst dazu geholt wirst, wenn der Karren schon im Dreck ist?

Da möchte ich nicht generalisieren, damit würde ich vielen Agenturen Unrecht tun. Es ist wirklich unterschiedlich und sehr viele meiner Kunden haben verstanden, dass es sinnvoll und effizient ist, den Locationscout ab Stunde 0 dabei zu haben oder sich bei Engpässen rechtzeitig um Unterstützung zu bemühen. Andererseits bekomme ich schon sehr häufig Anfragen, da hat erst mal der Azubi drei Wochen gegoogelt – ohne vernünftiges Ergebnis. Ich bekomme dann Excel-Listen, aus denen ich sehen kann, dass völlig unsinnige Anfragen gestartet wurden – Weihnachtsfeiern für 600 Personen in Locations für 400 oder auch völlig am Briefing vorbeigehende Hotels. Das ärgert mich, denn solche Anfragen verursachen ja auch auf der Anbieterseite total unnötige Arbeit und mir letzten Endes großen Zeitdruck. Ich frage ausschließlich geeignete Locations und Hotels an, das ist pure Effizienz.

MICE Club: Ist Effizienz ein Argument für den Einsatz von Freelancern?

Absolut, sogar ein Hauptargument. Ich bin der Auffassung, dass mein Kunde von mir erwarten kann, dass ich effizient arbeite, weil ich außerhalb der normalen Prozesse punktuell eingesetzt werde. Das ist also mein USP, sozusagen.

MICE Club: Also sind Freelancer Perfektionisten?

(lacht) Ja, ein bisserl schon. Aber das müssen wir auch sein, Schnelligkeit und enormes Wissen sind unsere Existenzgrundlage. Es geht gar nicht darum, Angestellte zu ersetzen. Ich bin ein Profi und werde genau für diesen Fachauftrag eingesetzt. Daher bin ich sehr effizient, spare Zeit und Kosten und sorge somit für ein besseres Ergebnis. Vielleicht muss sich in der Branche noch viel mehr die Erkenntnis durchsetzen, dass wir Freelancer eben nicht nur Feuerwehr sind, sondern dass es bestimmte Lücken gibt, die wir perfekt füllen. Wir ersetzen nicht, wir ergänzen.

MICE Club: Wie kommt denn die Fachfrau eigentlich zu ihrem beeindruckenden „Ortschatz“?

Reisen ist meine Leidenschaft, sowohl privat als auch beruflich, was sich natürlich hervorragend verbindet. Wenn ich in Vietnam mit dem Rucksack auf einer Trekkingtour bin, besuche ich noch fünf Hotels und verabrede mich mit einer lokalen Agentur zum Abendessen. Ich habe über 70 Länder bereist, was meiner Arbeit natürlich sehr zugute kommt.

MICE Club: Das klingt nach perfektem Work-Life-Blending – ist es so perfekt?

Früher habe ich tatsächlich keinen Unterschied zwischen Privatleben und Beruf gemacht. Mittlerweile weiß ich, dass es für die eigene Seelenhygiene erforderlich ist, eine Trennung zu vollziehen. Wenn ich auf den Reisen Einladungen annehme, sind damit auch die Verpflichtungen zu Besichtigungen und Gesprächen verbunden. So zahle ich heute lieber selber und habe meine Ruhe. In der Konsequenz schaue ich mir nur Locations und Orte an, die mich auch wirklich interessieren.

Diese stärkere Abgrenzung beziehe ich auch auf die Arbeitsplatzgestaltung. Gerade im Homeoffice ist mir wichtig, eine deutliche Grenze zwischen on/off-Duty zu ziehen. Vor dem Feierabend muss ich den Schreibtisch und auch den E-Mail-Posteingang leerräumen. Das hat psychologische Gründe, und zum Schluss wird noch die Bürotür fest geschlossen. Fertig! Das habe ich die ersten 20 Jahre nicht gemacht, aber ich glaube, so ab 40 – das höre ich auch von vielen Freunden und Kolleginnen – setzt man die Prioritäten anders und achtet mehr auf sich selbst.

MICE Club: Stichwort Homeoffice – wir sprachen ja eben schon etwas scherzhaft von der Einsamkeit des Freiberuflers.

Ja, die Einsamkeit des Freiberuflers, darüber habe ich mit einem befreundeten Kollegen sogar mal einen Poetry-Slam geschrieben! Ich bin oft allein, mein gesprochener Wortanteil ist tagsüber vielleicht 10 % (den ich jetzt mit unserem Interview weit überschreite). Dabei bin ich ein sehr kommunikationsfreudiger Mensch, mein Business ist ja ein „People Business“. Ich gleiche das aus, über mein Netzwerk, Kollegen und Freunde (was sich bei mir oft vermischt).

Es kommt schon vor, dass mir die Dazugehörigkeit fehlt, dieses „einfach mal gemeinsam quatschen oder einen trinken gehen“. Andererseits hadert die Perfektionistin in mir mit der fehlenden Effizienz an den Agenturtagen. Da läuft sehr viel Zeit in innerbetriebliche Kommunikation – „Susanne, wo du gerade hier bist …“

MICE Club: Du sprichst von „Agenturtagen“ – bist also auf dieser Seite eng eingebunden. Klappt das gut oder gibt es Reibungsverluste oder „Stille Post“?

Es ist schon meistens die Agenturseite, die mich bucht, aber oft werde ich von Kundenseite namentlich verlangt oder gelegentlich auch direkt gebucht, weil die Zusammenarbeit halt gut und teilweise schon über Jahre hinweg funktioniert. Reibungsverluste habe ich wenige, weil ich darauf achte, dass ich auf Agenturseite gut eingebunden bin. Ich trete wie eine Mitarbeiterin auf, mit Agentur-E-Mail – eben als „undercover agent“, so lautet ja auch mein Firmenname. So habe ich die Anbindung an Agentur und Kunden. Schwierig wird es da, wo ich den Kundenkontakt nicht wahrnehmen kann. Wenn ich z.B. meine Locationauswahl nicht selbst präsentieren kann. Da kann ich mich in der Tat schon mal hinterher über die „Stille Post“ ärgern, wenn wesentliche Informationen weggelassen wurden.

MICE Club: Das passiert?

Ja, das kommt vor, wenn ich nicht selbst präsentieren bzw. mit dem Kunden in Kontakt treten kann oder darf. Ab und an begegnen mir noch Agenturen, die mit Freelancern fremdeln und sich filternd dazwischen stellen. Aus manchen Gründen kann das sinnvoll sein, aber eben nicht immer. Und vor allem nicht, wenn die Agentur illoyale Handlungen befürchtet, was Gott sei Dank nur selten vorkommt.

MICE Club: Was hilft gegen diese Befürchtungen?

Transparenz und das Verständnis für Geben und Nehmen. Auf der einen Seite bekomme ich natürlich Einsicht in Konzeptinhalte, Agenturinterna und Budgets. Auf der anderen Seite erhält die Agentur auch meine sämtlichen Location- und Netzwerkkontakte. Beiderseitiges Vertrauen und Loyalität sind für mich total wichtig.

Und das Schöne ist, so meine Erfahrung: Wenn wir stets zunächst die gute Absicht unterstellen, ermöglichen wir oft tolle Erfahrungen, die man mit Misstrauen und Vorurteilen nicht machen würde. Ich halte das auch im Privaten so, z.B. biete ich mir völlig fremden Couchsurfern einen Schlafplatz an oder helfe Menschen ohne Gegenleistung. Und ich bin noch nie enttäuscht worden – nicht privat, nicht beruflich.

MICE Club: Danke für Deine Offenheit, Susanne. Als Quintessenz ziehe ich mir, dass Vertrauen das wichtigste Handwerkszeug einer Freelancerin ist – das Vertrauen in mich selbst und meine Fähigkeiten aber auch das Vertrauen, das in der Zusammenarbeit mit den Kunden entstehen muss. Erst dann hat jeder die Möglichkeit zu tun, was er kann und am liebsten tut, und alle sind zufrieden.

Besser hätte ich es nicht sagen können.


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Autor: Andrea Goffart

Veröffentlicht am: 09.11.2017


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