Transformation erklären (Teil 2)
Für eine Neubestimmung der Unternehmenskommunikation in der digitalen Transformation
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Wir produzieren tolle Produkte, die wir an unsere Kunden weitergeben - diese alte produktionszentrierte Denkweise funktioniert nicht mehr. In der digitalen Transformation rückt der Kunde ins Zentrum. Und die Unternehmen werden kundennäher und zugleich dezentraler. Die Folge: Auch die klassische Unternehmenskommunikation greift nicht mehr. In einer veränderten Unternehmenswirklichkeit mit flachen Hierarchien und veränderten Formen der Zusammenarbeit laufen die gelernten Top-down-Prozesse ins Leere. Durchsteuern ist vorbei. Kommunikation ist überall. Und geschieht Peer-to-Peer. Zwei Kommunikationsexperten suchen nun nach einem neuen Rollenverständnis für die Unternehmenskommunikation - ihre Aufgabe: für alle Beteiligten nachvollziehbar die Transformation erklären. Und mit neuen Formaten den kulturellen Wandel vorantreiben. Lesen Sie heute Teil 2 des Interviews.
Egbert Deekeling und Dr. Dirk Barghop, beide Senior Partner bei Deekeling Arndt Advisors, sind Experten für Transformations- und Change-Prozesse. Sie sind Herausgeber des Buches Kommunikation in der digitalen Transformation, das im Sommer 2017 im Verlag Springer Gabler erschienen ist.
Worin besteht die große Herausforderung der digitalen Transformation für Unternehmen? Wie muss man sie begreifen, um richtig damit umgehen zu können?
Egbert Deekeling: Das hängt davon ab, wie groß der Disruptionsgrad ist. Dort, wo sich Konsumptionsgewohnheiten aufgrund der Digitalisierung massiv ändern, stehen die Industrien total unter Druck und müssen sich grundlegend neu orientieren. Sie müssen ihre gesamten Geschäftsprozesse in Richtung Kunden komplett anders aufbauen. Andere Branchen sind nicht ganz so nah an der Disruption. Sie haben größere Experimentier- und Entwicklungsmöglichkeiten. Aber es gibt keine Benchmarks. Es gibt nur ein Experimentieren. Gucken und Ausprobieren. Und schauen: Wie weit kommen wir?
Dirk Barghop: Im Rahmen der Transformation gibt es natürlich auch Zielkonflikte: weitere Effizienzsteigerung, Restrukturierung und Reorganisation auf der einen und große Innovations- und Investitionsprozesse auf der anderen Seite. Das findet oft zeitgleich statt. Die digitale Transformation erzeugt also ganz massiv auch Gewinner und Verlierer. Das kommunikativ zu managen und zu handeln, ist eine ganz wesentliche Herausforderung für die Kommunikation.
Sie sprechen von der Notwendigkeit einer Erneuerung des gesamten Geschäftsmodells, ja von einer generellen unternehmerischen Erneuerung. Was meint das?
Egbert Deekeling: Wir hatten vor Jahren schon, als wir begannen, uns intensiv mit dieser neuen Form der Veränderung auseinanderzusetzen, den Begriff „Corporate Rethinking" ins Spiel gebracht. Heute ist das alles unter dem Begriff „digitale Transformation" subsumiert, auch bei uns.
Dirk Barghop: Es meint: Bleibt nicht im Rahmen eines Geschäftsmodells, also im Rahmen klassischer Optimierungsprozesse mit dem Ziel, noch mehr Effizienz rauszuholen. Worum es geht: Geschäftsmodelle entwerfen aufgrund einer neuen, anderen Kundenwelt. Das Geschäftsmodell komplett auf den Kopf stellen. Disruptiv neue Geschäftsfelder entwickeln.
Das verändert die Unternehmen, die in den letzten Jahren extrem auf Effizienz getrimmt wurden, natürlich ganz und gar. Sie müssen überhaupt wieder lernen, Innovation zu denken und Innovation wieder in Gang zu bekommen. Das ist den Unternehmen im Rahmen der Effizienzsteigerungsprogramme der letzten Jahre fast schon abtrainiert worden. Dafür waren oft keine Zeit und keine Ressourcen mehr da. Das meint Erneuerung. Und das verändert auch die Unternehmenskultur.
Welche Rolle fällt der Unternehmenskommunikation im Rahmen dieser Erneuerung zu?
Egbert Deekeling: Vollmundig gesagt: „Der Kommunikator ist der Dramaturg des Prozesses." Das ist als Wunschgedanke richtig. In der Realität: zero! Aber ich halte den Begriff des Dramaturgen nach wie vor für richtig. Es gilt, der Transformation eine Kontextualisierung zu geben, sie zu erklären, ihren Sinn und ihre Bedeutung deutlich zu machen, Zusammenhänge mit der vorherigen Unternehmenswelt herauszuarbeiten, Vergleiche zu ziehen. Also die Geschichte, das Narrativ zur Verfügung zu stellen beziehungsweise die handelnden Personen entsprechend zu coachen. Den Masterplan aber gibt es nicht mehr. Das war das alte Muster, entlang von Meilensteinen Führungskräfteveranstaltungen zu organisieren, das Ganze dann durchzutakten und entsprechend rechts und links zu begleiten. Das ist Vergangenheit. Aber die Erklärungsaufgabe ist substanziell wichtig - wer soll das machen, wenn nicht die Kommunikatoren?
Das heißt, die Kommunikation muss inhaltlicher werden und zugleich narrativer?
Egbert Deekeling: Narrativer, ja - aber das meint mehr als Storytelling. Mit digitaler Transformation sind so viele Erklärungsaufgaben verbunden, die inhaltlich zu durchdringen und in Erzählangebote oder Argumentationen zu übersetzen sind. Was meinen Buzzwords wie Digital Leadership? Sie fragen ja auch, was digitale Transformation eigentlich meint. Jeder hat da so seine eigene Vorstellung. Aber was heißt das für das jeweilige Unternehmen, für den jeweiligen Konzern? Das ist eine inhaltliche Reflexions- und Definitionsarbeit ersten Ranges. Das ist eine originäre Aufgabe der Unternehmenskommunikation.
Noch mal eine Schleife zurück. Neue Methoden und Formate werden meist unter ihrer Funktion gesehen: Scrum als Methode, Projekte zu organisieren, Design Thinking als Innovationsmethode. Ich finde Ihre Beobachtung interessant - eigentlich ist es selbstverständlich, aber eine interessante Perspektivenverschiebung -, dass dies zugleich Kommunikationsprozesse sind. Mit diesen Formaten rückt Kommunikation in den Mittelpunkt. Wird ubiquitär und zugleich zentral.
Egbert Deekeling: Das ist ein spannender Punkt: Die neuen Formate und Methoden haben ihre Funktion im Rahmen von Produktentwicklungs- oder Innovationsprozessen -, sie sind aber zugleich auch Symbole und damit Kommunikationsinstrumente, die der Organisation zeigen: So müssen wir jetzt denken und handeln. Am Beispiel von Design Thinking oder Scrum lassen sich die neuen Prozessmuster der digitalen Transformation wunderbar veranschaulichen.
Wir haben mit einigen Dienstleistern zu tun, die wirklich fit sind in diesen Methodikangeboten. Ich glaube aber, dass sie einem Missverständnis unterliegen. Sie wollen gerne Business-Entwickler sein, das sind sie aber nicht. Sie sind Event-Gestalter. Sie denken, mit ihrer Methodik seien sie Teil eines Prozesswandels im Kern des jeweiligen Geschäfts. Aber sie sind Teil der Event-Industrie.
Den Hinweis auf die symbolische Ebene von Kommunikation finde ich wichtig. Wenn man sich einen Design-Thinking-Workshop vorstellt, an dem eine Führungskraft teilnimmt, vielleicht um die Methode kennenzulernen oder inhaltlich mitzuarbeiten, und es geht dann los mit einem Warm-up - dann ist man gleich auf einer symbolischen Ebene von Interaktion, wo es diese Rolle „Ich bin Führungskraft" eigentlich nicht mehr gibt.
Egbert Deekeling: Enthierarchisierung - ganz wichtig! Das ist hierarchiefreier Diskurs, der damit umgesetzt wird.
Im Grunde wird bereits auf einer symbolischen Ebene die Hierarchie, die formell vorhanden sein mag, durch die Methode ausgehebelt.
Dirk Barghop: Ja, genau.
Wenn Sie sagen, Unternehmenskommunikation soll Innovationsformate als Kommunikationsformate nutzen, wie hat man sich das vorzustellen?
Egbert Deekeling: Unternehmen müssen diese Innovationsformate in den Geschäftsprozessen selber einsetzen, sie können sie aber auch als ein Kulturinstrument nutzen: um Abteilungen zu führen, um an bestimmten Aufgaben zu arbeiten oder sie zum großen Exerzitium auf Großveranstaltungen zu machen. Unternehmen haben viele Möglichkeiten, mit diesen Formaten und Methoden kommunikativ und kulturell zu arbeiten. Das meinen wir damit: Überlass das Innovationserlebnis nicht den Innovatoren, sondern nutze diese neuen Innovationsformate auch für den Kulturwandel! Die Effekte, die wir damit erlebt haben, sind einfach phänomenal! Das macht auch Spaß!
Dirk Barghop: Das ist Teil der Neudefinition einer gestaltenden Rolle von Kommunikation. Diese muss ja selber auch demonstrieren: Wir gehen da voran. Wenn Kommunikation Veränderung im Unternehmen mit treiben und gestalten will, dann müssen die Formate, die dabei genutzt werden, das auch selbst zum Ausdruck bringen. Es muss sichtbar werden, dass die Kommunikation in einem erneuerten Verständnis auftritt. Dafür sind diese Formate natürlich genau das Richtige.
Braucht es dafür überhaupt noch die Unternehmenskommunikation? Reicht es nicht, wenn wir Scrum Master und ausgebildete Design Thinker haben? Und, mehr noch, die Mitarbeiter selber lernen, mit diesen neuen Formaten zu arbeiten?
Egbert Deekeling: Wir erleben heute schon Abwehrreaktionen auf Scrum und solche Formate, wo diese sinnentleert und nicht reflektiert eingesetzt werden. Und das Ganze gewissermaßen zu so einer Art Zwangsveranstaltung wird. Das zeigt: Es findet keine Anpassungsleistung statt, es findet keine Kontextualisierung statt! Die Mitarbeiter und Führungskräfte werden hier belästigt. Sie bringen die Methodik, die einen Kulturwandel ausdrückt, nicht mit ihrem Alltag in Verbindung. Das erzeugt Abwehreffekte. Das erleben wir hier und da recht heftig.
Dirk Barghop: Da wird eine Innovationsmethodik geliefert, aber nicht die dazugehörige Veränderungsdidaktik. Genau das wäre die Aufgabe von Kommunikation: das wieder zusammenzubringen.
Das heißt, diese neuen Formate bekommen unter dem Aspekt von Kommunikation und Kultur noch mal eine andere Bedeutung?
Egbert Deekeling: Sie sind Ausdruck eines Kulturwandels. Neues Denken, neues Arbeiten, die Bedeutung der Kunden für den Entwicklungsprozess, die kurzzeitige Taktung und Optimierung von Produktentwicklungen - das alles demonstriert zugleich, wie die neue Kultur aussieht. Das Problem ist nur: Die Scrum-Methode zum Beispiel kommt aus der IT und aus der Softwareentwicklung, dort ist das eine hochfunktionale Methodik. Irgendwo anders eingesetzt, muss man das kontextualisieren. Was meint das für unseren Zusammenhang? Sonst entsteht der beschriebene Belästigungs- und Entfremdungseffekt.
Die Eingangsdiagnose klang ja einigermaßen düster: Unternehmenskommunikation führt ein Schattendasein in der digitalen Transformation. Jetzt sagen Sie: Sie bekommt eine neue Relevanz. Worin besteht diese neue Relevanz, ganz kurz gesagt?
Egbert Deekeling: In einer ganz klaren Besinnung auf die Erklärrolle. Auf das Deutlichmachen für alle Beteiligten. Die Unternehmenskommunikation wird diese Prozesse nicht treiben, sie wird auch die Kommunikation zu einem guten Teil den Prozessgestaltern überlassen müssen. Das lässt sich nicht mehr wegzentralisieren - hier Projektleitung, da Kommunikation. Sondern die Projektleiter müssen die Prozesse und die Kommunikation mit übernehmen. Aber die Erklärungen, die Inhalte, die Narrative, die Kontexte müssen geliefert werden, denn das ist massive Arbeit. Sie können aber nur angeboten, nicht mehr durchgesetzt werden. Das ist der Unterschied.
Dirk Barghop: Ein anderer Punkt: Die starke Dezentralisierung, die wir im Augenblick erleben, hat natürlich Auswirkungen auf die Identität des Unternehmens. Was hält dieses Unternehmen eigentlich zusammen? Was macht Zusammengehörigkeit aus? Was Zugehörigkeit? Auch das ist ein wichtiges Thema, um das Kommunikation sich kümmern muss. Ihre Verantwortung ist es, wieder sichtbar zu machen, wofür ein Unternehmen steht und was es zusammenhält - sonst entstehen Zentrifugalkräfte, die am Ende wieder Ineffizienzen erzeugen werden. Also: gemeinsame Identität. Was hält uns zusammen? Was macht uns aus? Das sind Themen für die Kommunikation, und sie stärken ihre Relevanz.
Das war Teil 2 des Gesprächs mit Egbert Deekeling und Dirk Barghop über die Neubestimmung der Unternehmenskommunikation in der digitalen Transformation. Lesen Sie in Teil 1 des Interviews, was man wissen muss, um die digitale Transformation zu verstehen.
Dieses Interview veröffentlichen wir in enger Kooperation mit der Online-Plattform changeX. Finden Sie hier den kompletten Beitrag auf changeX.
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