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Themensammlung - Inszenierung/Konzeption

„Konzepte für Live-Kommunikation müssen von Kommunikationsprofis, nicht von Organisationstalenten entwickelt werden“

Jubiläumsinterview mit Annette Beyer zu 10 Jahren treibhaus 0.8

treibhaus 0.8 ist das Kreativ-Volontariat der führenden deutschen Agenturen für Live-Kommunikation. Annette Beyer hat das treibhaus 0.8 vor 10 Jahren gegründet. Seitdem haben mehr als 100 junge Kreative das treibhaus 0.8-Volontariat mit der Prüfung zum Konzeptioner für Live-Kommunikation abgeschlossen. Mit dem MICE Club sprach Annette über 10 Jahre treibhaus 0.8.

MICE Club: Liebe Annette, seit 10 Jahren gibt es das treibhaus 0.8, der zehnte Jahrgang ist gerade gestartet. Herzlichen Glückwunsch. Was hat Dich 2008 motiviert, das Volontariat ins Leben zu rufen, was fehlte der Branche?

Eigentlich fehlte der Branche das Gleiche, was ihr an vielen Stellen immer noch fehlt: das analytische Verständnis für die Kommunikationsziele unserer Kunden und konsequente Kreativität.

In 10 Jahren hat sich viel getan. Die „Bundesliga“ der Eventagenturen hat sich vom kreativen Veranstaltungsdienstleister zum crossmedial agierenden Storyteller entwickelt, oder ist auf dem besten Weg dorthin. Das treibhaus 0.8 lehrt Social Media, digitale PR, Kommunikation im Raum und Event mittlerweile fast gleichberechtigt. In unserer Abschlussprüfung entwickeln die Absolventen eine medial vernetzte Live-Kampagne.

Deswegen kann ich die 10 Jahre treibhaus 0.8 – danke für den Glückwunsch – eigentlich mit einem Satz abfeiern: Das treibhaus 0.8 bildet die andauernde Entwicklung der Branche eins zu eins ab. Und diese Entwicklung ist mir sehr wichtig, weil sie das zukünftige Überleben der Agenturen in völlig veränderten Marketingstrukturen sichert.

Außerdem hat das treibhaus 0.8 viele tolle, aber „heimatlose“ Kreative erstmals an die Live-Kommunikation herangeführt und ihnen damit eine echte Berufsperspektive gegeben. Mir ging es damals auch so.

MICE Club: Eine heimatlose Kreative – wie kam es dazu?

Ja, in der Tat, so kam ich mir vor. Ich bin Theaterwissenschaftlerin und habe viele freie Kunstprojekte gemacht. Als ich relativ spät und eher durch Zufall in die Eventbranche geschlittert bin, war es unglaublich für mich – ich konnte alles, was das Eventmarketing brauchte: Analyse, Dramaturgie, Inszenierung, Konzeption – die ganze Palette meiner Erfahrungen ergab plötzlich einen Sinn. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie toll sich das angefühlt hat. Und dann ging es schnell, von der Praktikantin in einem Jahr zur Konzeptionerin, die der Agentur den ersten FAMAB-Award in Gold eingebracht hat. Den hat dann mein Creative Director in Empfang genommen und ich habe mich selbstständig gemacht.

MICE Club: Du hast als Freie Konzepte für Eventagenturen entwickelt?

Ja, genau. Ich gehöre zur ersten Generation von Konzeptionern, die nie selbst ein Event organisiert haben – zum Wohle aller Beteiligten.

MICE Club: Zum Wohle aller – warum?

Weil ich eine ganz miese Organisatorin bin. Aber das brauche ich auch nicht. Konzepte für Live-Kommunikation müssen von Kommunikationsprofis, nicht von Organisationstalenten entwickelt werden. Das ist heute ganz wichtig, essenziell sogar. Gleichzeitig muss man natürlich auch gut zusammenarbeiten, aber die Kompetenzen müssen klar sein.

MICE Club: Du hattest ja eigentlich genug zu tun – warum das treibhaus 0.8?

Weil da eine Alterslücke war, die gefüllt werden musste. In den Konzeptionsabteilungen waren fast alle um die 40 oder drüber – und dann kam nix. Die Agenturen waren voller junger, sehr fähiger Eventmanagerinnen, so dass der Nachwuchsmangel in der Konzeption kaum auffiel. Die Studiengänge im Eventmanagement waren damals (und sind es größtenteils heute noch) rein operativ ausgelegt. Es war also abzusehen, dass bei uns Kreativen nichts nachkommen würde. Ich hatte schon länger über so etwas wie das treibhaus 0.8 nachgedacht, das Vorbild war die berühmte „Texterschmiede“ der klassischen Werber. Die Initialzündung kam 2007 beim ADC-Award im Tempodrom. Ich saß mit Sabine Clausecker von CB.e im Publikum und wir erlebten, wie die jungen Kreativen aus den klassischen Werbeagenturen lautstark ihre Gewinner feierten. Superstimmung auf den Rängen! Nur als die Sieger in der Kategorie Event geehrt wurden, herrschte eisiges Schweigen – weil wir keine jungen Kreativen dabeihatten, nur ein paar Agenturchefs in dunklen Anzügen. In der Pause hat Sabine gesagt: „Was ist denn nun mit deinem Konzept für den Konzeptioner-Nachwuchs? Mach mal!“

MICE Club: War es anfangs schwer, die Agenturen von der Zusammenarbeit zu überzeugen?

Gar nicht, ich habe offene Türen eingerannt, weil die Agenturen, die ich damals angesprochen habe, schon eifrig dabei waren, ihr Selbstverständnis zu ändern - weg von „Wir machen es dem Kunden richtig, richtig schön“ hin zu „Wir lösen das Kommunikationsproblem des Kunden“. Allerdings wurde dies vor 10 Jahren noch so verstanden, dass die Agentur die Markenbotschaften des Kunden möglichst eins zu eins an den Mann, also an den Eventteilnehmer, bringen sollte. Mit Grausen erinnern wir uns an die „getanzten Produktvorteile“.

MICE Club: Geht es denn heute nicht mehr um Botschaften?

Nein, das hat sich mit dem Siegeszug der digitalen Kommunikation grundlegend geändert. Botschaften sind die mit der Flüstertüte, da steht einer und brüllt in den Raum. Das ist das Sendermodell, also der Ansatz der klassischen Markenkommunikation. Heute in Zeiten von Social Media inszenieren Kommunikationsprofis einen intensiven Dialog zwischen Marke und Konsumenten, und zwar auf Augenhöhe. Das Zauberwort heißt nicht mehr Botschaft, sondern ERFAHRUNG. Die muss der Consumer mit der Marke oder mit dem Unternehmen machen und möglichst weitergeben. Das funktioniert digital – und noch besser live!

MICE Club: Und diese Erkenntnis ist angekommen?

Ja – weitestgehend schon. Die Branche entwickelte sich in 25 Jahren vom Partymacher zum Markenbotschafter, und jetzt entdecken wir die vernetzte Kommunikation. Wir sehen das am besten an den Agenturnamen – in den 1990ern stand „Event“ im Namen, dann „Eventmarketing“, später „Eventkommunikation“, dann „Live-Kommunikation“ und jetzt oft nur noch „Kommunikation“.

MICE Club: Immer mehr kommt auch der Mensch im Namen vor.

Ja genau, am treibhaus 0.8 lehre ich konsequent den Teilnehmer zentrierten Ansatz. Die Gefühle und Gedanken, Haltungen und Erwartungen der Teilnehmer müssen im Mittelpunkt stehen, denn die wollen wir ja verändern. Das funktioniert wie Social Media. One-to-many hat ausgedient – die Sozialen Medien zielen auf den einzelnen User und fragen: „Wie kriege ich den dazu, dass er klickt, dass er mich liked? Genau diese gezielte Orientierung an den akuten Bedürfnissen des einzelnen Teilnehmers fällt uns Eventlern naturgemäß viel leichter als den klassischen Werbern. Deshalb funktioniert ja auch die Vernetzung von live und digital so gut.

Spannend wird es sowieso immer erst dann, wenn „cross“ gearbeitet wird. Wenn es sich mischt und bunt wird. Das sieht man auch jedes Jahr beim FAMAB und beim ADC – zumindest ich empfinde das so. Die spannendsten Projekte sind die crossmedialen. Beim ADC heißt die Kategorie „Ganzheitliche Kommunikation“. Leider reichen da „unsere“ Agenturen noch viel zu selten ein.

Diese Disziplinen übergreifende Denke, immer hart am Kommunikationsziel, hatten wir im treibhaus 0.8 schon sehr früh.

MICE Club: Verschafft das treibhaus 0.8 den jungen Konzeptionern einen größeren Über- und Weitblick?

Ja, ich glaube, so könnte man es sagen. Seit 10 Jahren kommen jedes Jahr, jeden Monat rund 12 junge Kreative aus Agenturen zusammen, die sonst immer nur Wettbewerber sind. Die treibhaus-Volontäre tauschen sich darüber aus, wie in ihren Agenturen gearbeitet wird. Außerdem finden die 4-tägigen Workshop-Wochenenden wechselweise in den Agenturräumen statt. Am Ende ihres treibhhaus-Jahres kennen die Volontäre also schon mal 12 führende Kreativagenturen der Branche „von innen“.

Dazu kommen dann noch gut 30 freie, gut gebuchte Kommunikationsprofis aus allen Disziplinen, die als treibhaus-Dozenten ganz aktuelle Einblicke bieten, so dass meine Volontäre nach einem Jahr in der Tat einen Blick auf die Branche haben, den mancher alteingesessene Profi nach etlichen Dienstjahren nicht hat.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Vorteile des Austauschs und der Blick über den Tellerrand langsam von der Branche aufgegriffen werden.

MICE Club: Das ist doch prima. Du könntest es Dir also erlauben, arrogant zu sein und zu behaupten, dass das treibhaus 0.8 diese neue Denkweise mitgeprägt hat?

Die neue Denkweise besteht für mich darin, dass der Beruf des Live-Konzeptioners als hochspezialisierter Kommunikationsberuf verstanden wird. Und dass Absolventen aus wissenschaftlichen oder künstlerischen Medien- und Kommunikationsstudiengängen logischerweise bessere Voraussetzungen mitbringen als Leute mit Management-Hintergrund. Von den gut 100 treibhaus-Volontären hatten 85 vorher mit Eventplanung nichts am Hut – und sind (gerade deshalb?) tolle Konzeptioner geworden, die heute unsere Branche mitprägen. Nicht alle als Eventkonzeptioner, manche sind auch crossmedial denkende Digital-Konzeptioner, Markenstrategen, Ausstellungsmacher oder Designer. Dieses neue Berufsbild hat das treibhaus 0.8 nicht erfunden, aber mit größter Überzeugung gelebt. Ja, da bin ich schon stolz.

MICE Club: Was braucht ein Bewerber für ein treibhaus-Volontariat?

Erfahrung. Und das ist auch bei jungen Menschen kein Widerspruch! Ich meine damit gar nicht Lebenserfahrung = Alter. BewerberInnen, die Erfahrung mit Menschen und mit Kultur haben, irgendwas in dieser Richtung vielleicht auch als Hobby machen, diese Bewerber wissen, wie Live-Kommunikation zum Beispiel von der Bühne aus funktioniert. Dieses Wissen ist für das treibhaus 0.8 wichtig und richtig.

Außerdem erwarten wir mindestens ein Bachelor-Studium. Die Fachrichtung ist zweitrangig, aber strategisch-analytische Denke ist wichtig, wenn ich ein Konzept punktgenau auf ein gewünschtes Kommunikationsergebnis zuschneiden will.

Ein gewisses kreatives Grundtalent braucht man natürlich auch. Das testen wir im Vorfeld mit unserem Online-Copytest. Um den zu bestehen, braucht man keinerlei Branchenwissen. Man muss nur vier klare, einfache und konkrete Ideen haben und die mit 1.200 Zeichen auf den Punkt bringen können.

MICE Club: Was lernt man am treibhaus 0.8 noch außer dem konzeptionellen Handwerk?

Wir machen als Gruppe die unterschiedlichsten und schrägsten Live-Erfahrungen. Wir besuchen Opern, Varietétheater, Poetry Slams, Ausstellungen, Bundesligaspiele, aber auch Messen. Die IAA und die Euroshop sind Pflichttermine. Wir waren schon beim Ars-Electronica-Festival in Linz und bei der EXPO in Mailand. Aber wir schauen uns auch gern billige kleine Avantgarde-Performances an und frieren uns dabei den Hintern ab.

Das ist vielleicht der zentrale Unterschied zwischen Konzeption und Eventmanagement – Kreativagenturen machen den Betriebsausflug zur Kunst-Biennale, Eventmanager schauen sich ein Hotel an. Was wir damit erreichen, ist von zentraler Bedeutung – wir schaffen für unsere Konzeptioner „Erfahrungstöpfe“, aus denen sie schöpfen können, um sich das situativ Richtige herauszugreifen.

MICE Club: Möchtest Du für das treibhaus 0.8 auch Deine Lebenserfahrung, dieses Gefühl in der Konzeption erstmalig angekommen zu sein, als Leitbild nehmen und mit Deinen Volontären teilen?

Das stimmt und ich bin sehr stolz darauf, dass ich mit dem treibhaus 0.8 heimatlosen Kreativen eine berufliche Heimat geben kann. Also Menschen, die genau wie ich einen sehr ungeraden Berufsweg haben, viele Dinge gemacht haben, die sehen, dass sie viel können und auch viel einbringen wollen: prekär jobbenden Medienleuten, Geisteswissenschaftlern, Theatermachern… eine Perspektive zu geben – das ist es.

Leider ist das Berufsbild noch viel zu unbekannt, die Branche hat ein massives Nachwuchsproblem. Zumindest Eventmanagement war ja vor 10 Jahren ein Modeberuf, aber auch das ändert sich gerade: Die Agenturwelt ist nicht mehr so attraktiv für die junge Generation.

MICE Club: Ist das nicht auch die Verantwortung der „Generation Praktikum“? Mit der Haltung „Erstmal leisten, dann Geld verlangen“ hat die Branche sich selbst das Renommée als Arbeitgeber beim Nachwuchs verdorben?

Die „Generation Praktikum“ gibt es seit fünf Jahren nicht mehr. Heute können sich die meisten Hochschulabsolventen, auch in den „überschwemmten“ Medienberufen, ihren Job aussuchen. Unsere Partneragenturen haben das erst lernen müssen – wie die schicken klassischen Werbeagenturen übrigens auch. Aber mittlerweile haben alle ihre Budgetplanung angepasst, auch durch den Mindestlohn. Aber vor allem, weil für das Volontärsgehalt, mit dem wir vor 10 Jahren gestartet sind, heute kein studierter junger Mensch mehr arbeiten würde. Kreativkonzeptioner sind Mangelware, trotz treibhaus 0.8. Wenn sie gute Bewerber finden, bezahlen die Agenturen auch gut, aber sie finden eben oft keine.

Das Nachwuchsproblem der Konzeptioner ist trotzdem hausgemacht – weil die Fraktion der „Veranstaltungsdienstleister“ noch stark das Selbstverständnis der Branche bestimmt. Denen reicht der kreative Projektleiter für die Konzeption. Eine Mitverantwortung trägt sicherlich auch der FAMAB, weil der Verband bisher nur mit Management-Studiengängen zusammenarbeitet. Die vielen Kommunikations- und Gestaltungshochschulen, aus denen die Werbeagenturen traditionell ihren Kreativnachwuchs holen, werden schlicht ignoriert.

MICE Club: Annette, danke für Deine Offenheit. Wenn Du aus all dem Gesagten einen Wunsch an die Branche formulieren solltest – welcher wäre das?

Ich würde mir wünschen, dass wir aus der Branche rauskommen, über den Gartenzaun klettern und dass wir es schaffen, das Berufsbild „Konzeptioner in der Live-Kommunikation“ deutlich bekannter zu machen.

MICE Club: Da schließen wir uns an, vielen Dank, Annette.


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Bildquelle: treibhaus 0.8

Autor: Andrea Goffart

Veröffentlicht am: 14.12.2017


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Georg Lichtenegger,
www.georglichtenegger.de
14. Dezember, 18:06 Uhr

Vielen Dank für den sehr gelungenen Beitrag. Ich kann Annette Beyer nur zustimmen. Ich weiß auch nicht, wieso in der Event-Branche das Konzept oft unterbewertet und es nicht als eigenständige Disziplin gesehen wird. Ich denke, da geht viel Potential verloren. Wenn man das beispielsweise mit der Filmwirtschaft vergleicht, dann wäre das so, als würde man es als normal ansehen, wenn der ausführende Produzent oder der Aufnahmeleiter immer auch das Drehbuch schreibt. Dort wie auch im Theater hat man auch ein ausgeprägtes Verständnis, was ein guter Dramaturg zu leisten im Stande ist.

Und dabei sind sich Events / Theater / Filme in ihrer kommunikativen Art und Weise, was also im Kopf der partizipierenden Person passieren soll, so ähnlich.

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