Gleichberechtigung von Männern und Frauen? Ein alter Hut! Oder doch nicht?
Warum diese Diskussion gerade jetzt in unserer Branche so wichtig ist
„Frauen in der Veranstaltungsindustrie: Auf Augenhöhe mit den Männern?“ – so lautete der Titel einer Umfrage, die im Frühjahr 2017 zum internationalen Frauentag als Kooperationsprojekt der IMEX Group und der tw tagungswirtschaft durchgeführt worden war. Die Idee dahinter: Das Hörrohr an das Herz der Branche zu legen und den aktuellen Status Quo in Bezug auf Gehalt und Karrierechancen zu eruieren. Herauszufinden, wo wir wirklich in diesem komplexen Thema in unserer Branche stehen. Das fünfte Ziel der 17 Sustainable Development Goals der UN lautet „Gleichbehandlung der Geschlechter” und „Stärkung von Frauen”. Wir wollten wissen: Was tut unsere Branche bereits dafür? Und wir wollten genau hinschauen, warum in unserer Branche, die ja überproportional weiblich besetzt ist, noch immer unterproportional wenige Frauen in Führungspositionen zu finden sind.
Die Umfrage – das richtige Thema zur richtigen Zeit
Positiv überraschend war die große und begeisterte Unterstützung der internationalen MICE-Branche – von Verbänden, Organisationen und Branchenexperten. Dies bestätigte: Es besteht Bedarf an Aufklärung, am Dialog und am Thema. Wir wussten damit: Dies ist das richtige Thema, zur richtigen Zeit. Doch niemals hätten wir mit diesen vielen Antworten, mit den vielen positiven individuellen Rückmeldungen gerechnet, die uns aus der ganzen Welt erreichten. Es war, als ob das Thema wie guter Wein reifen musste, und nun die Zeit gekommen war, sich entfalten zu können. Die Ergebnisse der Umfrage waren eindeutig: in punkto Gleichstellung gibt es in einigen Themen mächtig Aufholbedarf...
So sagen 66% der Frauen, dass sie ihren Job in der Veranstaltungsbranche lieben. 74% der Frauen fühlen sich gleichwertig behandelt im Thema „Verantwortung“ und was die Gestaltungsfreiheit im Job anbelangt sogar 82%. Das war nicht überraschend.
Allerdings: Nur 30% der Teilnehmerinnen fühlen sich gleichberechtigt behandelt in Bezug auf das Gehalt. Und fast 57% der Frauen empfanden die Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit wegen der Babypause als „Karriereknick“. Fast 55% der Befragten sagen, es gab einen Zeitpunkt in ihrem Berufsleben, an dem sie sich zwischen Familie und Karriere entscheiden mussten. Die Hälfte der Befragten meint zudem, dass Frauen zu wenig selbstbewusst sind, um nach einer Beförderung zu fragen. Und das, obwohl 63,59% der Frauen meinen, dass die Eventbranche mehr weibliche Führungskräfte braucht. Im branchenübergreifenden Vergleich: Die Frauenstudie von Accenture aus 2015 kam zu dem Ergebnis, dass bereits 65% der Frauen nach einer Beförderung oder einer Gehaltserhöhung gefragt haben.
Warum ist dies so? Liegt es an der Kultur der Unternehmen unserer Branche, an der Personalpolitik? Warum trauen sich anscheinend Frauen, die jahrelang einen „toughen“ Job als Projektleiter- oder Teamleiterinnen gemacht haben offensichtlich nicht, nach einer Beförderung oder nach mehr Gehalt zu fragen? Warum bringen sie sich nicht besser ins Spiel, wenn es um die Vergabe einer neuen Position geht? Die Ergebnisse der Umfrage sagen: sie trauen sich nicht. Warum nicht?
Neues Denken und neue Modelle für die MICE-Branche
Könnte es sein, dass es ein neues Denken, neue Modelle und Strukturen braucht, die es Frauen ermöglichen, Familie und Karriere oder auch die Work-Life-Balance besser zu vereinbaren? Ein neues Denken, das auch die weiblichen „Skills“ sieht und wertschätzt, auch – und gerade – in Führungspositionen. Ein Denken, das Frauen darin bestärkt, die Dinge auf ihre Art und Weise zu tun, anstatt männlichen Idealen entsprechen zu wollen? Dies verlangt auch Karin Nordmeyer, Vorsitzende des Deutschen Komitees für UN Women, die auf der ersten „She Means Business“ Konferenz am 14. Mai 2018 spricht: „Es muss im Denken der Männer ankommen, dass Frauen häufig andere Mittel und Wege nutzen möchten, um ihre Ziele, Visionen und Ideen durchzusetzen.“ Männer müssten anerkennen, dass es nicht nur „ihren“, den „männlichen Weg“ gibt, das Leben und die Arbeit zu gestalten.
Angesichts des demografischen Wandels kann unsere Branche es sich schlichtweg nicht leisten, das Potenzial dieser vielen Frauen ungenutzt zu lassen. Ungenutzt in zweierlei Hinsicht. Entweder gänzlich, wenn nämlich Frauen nach der Babypause mangels Möglichkeiten oder Strukturen nicht wieder in den Job zurückfinden. Dies trifft auf die vielen Frauen zu, die wieder arbeiten wollen, aber eben nicht klassisch in Vollzeit. Und die deshalb, trotz Top-Qualifikation und Berufserfahrung, keine Möglichkeit für ihren Wiedereinstieg finden und deshalb zuhause bleiben bzw. andere Beschäftigungsmöglichkeiten – außerhalb der Branche – finden. Das „zweite ungenutzt“ meint die nicht ausgeschöpften Potenziale, die brachliegen, wenn Frauen wieder einsteigen, aber auf einer Teilzeitstelle „sitzen“, die weder ihrer Qualifikation noch ihrem Können entspricht. Einfach, weil es keine anderen Möglichkeiten im Unternehmen gibt. Dabei beweisen Studien und Berichterstattungen doch längst: Arbeiten in Teilzeit und flexible Arbeitsmodelle sind produktiv. Und: Wer glücklich im Job ist, leistet mehr. Wer das große Glück hat einen Job zu haben, bei dem die eigenen Potenziale eingebracht und gelebt werden können, erlebt, was sinnstiftendes Arbeiten bedeuten kann. Auch zugunsten des Unternehmens. Dies betrifft natürlich nicht nur Mütter – neue Modelle des Arbeitens betreffen alle, die nicht im klassischen Anwesenheits- bzw. Vollzeitmodell arbeiten wollen.
Ich kenne einige langjährige und sehr qualifizierte Projektleiterinnen und Sales-Managerinnen in leitender Funktion, die Mütter sind und die einen wunderbaren Job machen – in Teilzeit bzw. mit Home Office-Option. Weil sie dies im Bewerbungsgespräch so platziert haben und weil sie das Glück hatten, dass der Arbeitgeber bereit für alternative Jobmodelle war. Denen der Arbeitgeber die Jonglage zwischen Mütterjob und Arbeitsjob zutraute. Toll! Doch sind dies in unserer Branche noch lange nicht die Norm, sondern eher Ausnahmen.
Ich erinnere mich an die spannende Diskussion, die anlässlich der Ankündigung der „She Means Business“ im Rahmen einer Branchenveranstaltung entstand. Der Geschäftsführer eines bekannten Kongresscenters berichtete, wie ihm innerhalb kurzer Zeit zweimal dasselbe widerfuhr: Zwei Projektleiterinnen teilten sehr kurzfristig mit, sie seien schwanger. Woraufhin das Unternehmen große Mühe in der Organisation der Nachbesetzung der Stelle hatte, zulasten des operativen Geschäfts. Hier hätte sich der Chef ein frühzeitiges ehrliches Gespräch gewünscht. Er wäre offen für Vorschläge gewesen sagte er – allein, es kamen keine. Ich kann ihn verstehen. Spannend wäre nun aber, die Sicht der Frauen zu erfahren. Gerne hätte ich sie dies gefragt. Haben sie sich nicht getraut? Warum ergab sich hierzu kein Gespräch? Hätte sich eine Lösung finden lassen, die beiden Seiten hilft? Anhand solcher Erfahrungen wird deutlich, wie dringend wir den Dialog benötigen. Wir hörten auch Geschichten von langjährigen Projektleiterinnen, die, als sie in Teilzeit nach dem Mutterschaftsurlaub in ihre Agentur zurückkamen, zur Büromittelbestellerin abgestellt worden waren. Wie schade!
Jahrelange Erfahrung ist gerade in unserer Branche, die von Ortskenntnis, persönlichen Netzwerken und Projekterfahrung lebt, nicht ersetzbar - auch durch keine noch so gute App. Vom Schlagwort „Employer Branding“ ganz zu schweigen – denn diejenigen Unternehmen werden künftig die Jagd nach guten Fachkräften gewinnen, die sich für ihre Mitarbeiter engagieren, die Dinge tun, die weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Die Personalentwicklung im Sinne eines strategischen CSR-Ansatzes sehen. Und die hierfür die Rahmenbedingungen schaffen. Und wir dürfen auch eines nicht vergessen: Für die Kunden unserer Branche ist dies alles tatsächlich schon ein „älterer Hut“. Flexible Arbeitsmodelle sind hier die Regel, nicht die Ausnahme, zumindest in den Konzernen. Die MICE-Branche darf diesen Anschluss nicht verpassen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten und um nicht die Augenhöhe zum Kunden zu verlieren.
Warum der Dialog und Mutmacher-Vorbilder so wichtig sind
Also: Neue Modelle müssen her! Modelle, die Frauen die Möglichkeit geben, ihre Potenziale ausschöpfen zu können und so dem Unternehmen wertvolle Wettbewerbsvorteile verschaffen. Eine „Win-Win-Situation“ für beide Seiten. Angesichts der Digitalisierung und Globalisierung dürfte es künftig immer einfacher werden, solche Modelle zu gestalten. „Wenn es um Führung geht, muss uns klar werden, dass dieser Begriff sich sehr stark verändern wird. Führung wird sich nicht mehr nur in hierarchischen Systemen darstellen können. Angesichts der Globalisierung und Digitalisierung sehe ich ganz neue Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit für uns Frauen. Wir bekommen mehr und mehr Gelegenheiten, zeit- und ortsunabhängig bezahlt zu arbeiten“ bemerkt Karin Nordmeyer über diese Möglichkeiten.
Was es braucht, ist der Dialog und sind Vorbilder. Sind Modelle, an denen Frauen wie Unternehmen sich orientieren können. Die zeigen, dass und auch wie es funktionieren kann. Mutmacher-Modelle. Modelle, die bislang vielleicht außerhalb der Komfortzone vieler Strukturen liegen. Und Mutmacher-Chefs und -Chefinnen! Vorzeigeunternehmen, die sich trauen, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Die dies aktiv leben und in ihrer Unternehmenskultur verankert haben. Die erkannt haben, dass es eine „Win-Win-Situation“ ist – für das eigene Unternehmen nämlich ebenso wie für die Frauen, wenn diese ihre Potenziale voll ausschöpfen können. Und wir brauchen Mutmacher-Frauen! Frauen, sie sich trauen, nach neuen Strukturen und Möglichkeiten zu fragen.
Genau diese Auseinandersetzung ist jetzt so wichtig, hier muss unsere Branche ansetzen. Diese Diskussionen müssen unternehmensübergreifend geführt werden und dann in den jeweiligen Strukturen umgesetzt und individuell angepasst werden. Dies wird von Unternehmen zu Unternehmen, von Agentur zu Agentur unterschiedlich sein.
Mein Appell lautet deshalb:
Chefs und Chefinnen, traut Euren Mitarbeitern und Euren Unternehmen alternative flexiblere Jobmodelle zu! Probiert es aus! Sprecht miteinander, geht in diesen Dialog. Gebt Vertrauensvorschuss. Hebt das Potenzial Eurer Mitarbeiter, hört zu. Denn diese sind Euer wertvollstes Gut! Vernetzt Euch mit anderen Arbeitgebern, die dies bereits erfolgreich praktizieren. Gestaltet Strukturen und Möglichkeiten in Euren Unternehmen.
Und Frauen, traut Euch! Sucht Euch Vorbilder, sprecht mit ihnen. Wie haben andere es gemacht? Traut Euch, Eure Chefs und Chefinnen zu fragen. Nach einer Beförderung, nach einer Gehaltserhöhung, nach Arbeitsmodellen, wie sie Euch glücklich machen und zu Eurer Lebensphase und -situation passen!
Die „She Means Business“ am 14. Mai 2018 in Frankfurt kann als erster Dreh- und Angelpunkt für diese Vernetzung, für den Austausch und für das Lernen voneinander dienen: neben Branchenexpertinnen der MICE-Branche werden auch Frauen in Leitungsfunktionen anderer Branchen über ihre Konzepte, Ideen und persönliche Erfahrungen berichten. Der Blick über den Horizont der Branche ermöglicht den Abgleich mit der Finanz- und Tech-Branche ebenso wie mit Verbänden und Organisationen und zeigt Wege und Möglichkeiten auf, wie das Thema Gleichstellung implementiert und gelebt werden kann. Gleichzeitig gibt es Raum und Zeit für den persönlichen Austausch und den Aufbau des eigenen Netzwerks.
Let´s talk and create a movement! Für uns alle, für unsere Branche!
Über die „She Means Business“
Die Konferenz „She Means Business“, die am 14. Mai 2018 im Rahmen des EduMonday - am Vortag der IMEX - erstmals stattfindet, feiert und vernetzt Frauen in der globalen Meeting-Industrie und wirft gleichzeitig den Blick über den Tellerrand der Branche. Die Konferenz ist ein Kooperationsprojekt der IMEX Group und der tw tagungswirtschaft. Sie greift den Wunsch der Umfrageteilnehmerinnen nach Plattformen zur Begegnung und zum Austausch auf, fördert den Dialog der Branche in diesem wesentlichen Thema und regt damit Veränderungs- und Entwicklungsprozesse an.
Über die Autorin:
Tanja Knecht ist seit 20 Jahren in der MICE-Industrie tätig und berät globale und nationale Branchenakteure (u.a. EventTech-Unternehmen, Destinationen, Agenturen, Verbände). Für die IMEX Group betreut sie die deutschsprachige PR und berät die IMEX zudem in strategischen Themen. So entwickelte und gestaltete sie in Kooperation mit der tw tagungswirtschaft die Umfrage „Frauen in der Event-Industrie“ sowie die Konferenz „She Means Business“ mit. Sie machte sich vor 12 Jahren mit der Geburt ihres Sohnes selbstständig, um die „zwei Hüte“ – den der Mutter und den der berufstätigen Frau, mit einem flexiblen und dennoch anspruchsvollen, sinnstiftenden Job, den sie liebt - gleichzeitig tragen zu können.
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Bildquelle: dfv Mediengruppe, Alexander Paul Englert