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Meinung

Die Kannibalisierung der Eventbranche

Eine Branche schafft sich ab

„In der Krise zeigt sich der wahre Charakter" - dieses viel zitierte Bonmot von Altkanzler Helmut Schmidt erlebt in diesen Coronazeiten seine Blütezeit. War die Eventbranche schon seit je her von Absurditäten geprägt, so stellt der aktuelle Krisenmodus die Branche und ihre Akteure vor eine existenzielle Prüfung: Wie trage ich mit meinem Verhalten und den daraus folgernden Aktionen tatkräftig dazu bei, der eigenen Branche ihr eigenes Grab zu schaufeln?

Der große Intelligenztest

Als die Krise Mitte März ihre ganze Tragweite offenbarte, schrieb ich bereits von einem Intelligenztest für unsere Branche. Nun sind seither zehn Wochen vergangen, substanzielle staatliche Hilfen für die dahinsiechende Branche sind weiterhin nur schemenhaft zu erkennen und die Kreativität der notleidenden Eventwirtschaft wird ein ums andere Mal auf den Prüfstand gestellt. Wem ist zu verübeln, wenn er in der Krisenzeit sein Schicksal in die Hand nimmt und kurzerhand alternative Geschäftsmodelle entwickelt, um die eigene Existenz und die Arbeitsplätze der qualifizierten Mitarbeiter zu sichern?

Doch gerade in einer so epochalen Krise, in der die Existenzen zahlreicher etablierter Betriebe wie auch vieler Solo-Selbstständiger bis hin zu Künstlern auf dem Spiel stehen, treibt die Kreativität seltsame Blüten: In einer Zeit, in der jede Einnahmequelle willkommen ist, bieten zahlreiche Akteure der Eventbranche ihre Leistungen im virtuellen Raum unter Preis, gegen eine freiwillige Spende oder überwiegenderweise sogar unentgeltlich feil. Dabei wäre doch die Krise als Inkubator für digitale Geschäftsmodelle und Paid Content geradezu prädestiniert - und die Akzeptanz auf Kundenseite garantiert.

Da sind die Künstler und Comedians, die ihre Konzerte und Bühnenshows vor laufenden Kameras, aber leeren Rängen frei Haus ins Netz streamen. Den Fan freut's, kann er sich die Live-Show doch gemütlich auf seinem heimischen Sofa mit Chips und einer Flasche Wein über seine Heimkinoanlage im Surround-Sound zu Gemüte führen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Die lästige Parkplatzsuche entfällt, ebenso überteuerte Parkgebühren, das Anstehen an der Bar und überhaupt: große Menschenansammlungen waren doch ganz ehrlich schon vor Corona eher lästig und nervig.

Virtuelle Events als Sargnagel für Live-Kommunikation

Arbeitslos gewordene Eventagenturen überbieten sich mit innovativen Konzepten zu rein virtuell in Szene gesetzten Corporate Events und Product Launches - und vergessen dabei so ganz nebenbei, welchen Argumentationsaufwand sie vor Corona betrieben haben, für emotionale Live-Inszenierungen unter (inter-)aktiver Einbindung der Teilnehmer ein ausreichendes Eventbudget auszuhandeln. Nach den ersten erfolgreich durchgeführten rein virtuellen Hauptversammlungen glaubt doch kein Mensch ernsthaft mehr, dass diese Dinosaurier der Eventbranche jemals wieder in großen Messehallen vor Live-Publikum stattfinden werden. Als ob es noch eines weiteren Beweises bedürfte... so macht man sich entbehrlich!

Zu guter Letzt finden sich dieser Tage Branchenevents im Netz, bei denen Fort- und Weiterbildungsangebote zu den diversen Themen rund um die Eventbranche - aktuell natürlich gerne zu virtuellen Events und rechtlichen Fragestellungen rund um Corona - unter die Leute gebracht werden: Da werden namhafte Speaker vor die Bildschirme gezerrt und mit immensem Aufwand virtuelle Messe- und Eventplattformen gebaut. Der vermeintliche Erfolg gibt diesen Veranstaltern recht: Ihre - mit eigenwerblichen Inhalten nur so gespickten - Formate finden bei den Home Office-Arbeitern hohe Resonanz. Kein Wunder, denn alle Angebote sind kostenfrei, unverbindlich und eine Qualifizierung der Teilnehmer wird gar nicht erst unternommen. So dürfen sich die Sales-Brigaden unzähliger Anbieter als Fachbesucher registrieren, obwohl - ach egal - sie sich auch ganz offiziell als Anbieter unentgeltlich anmelden können.

Chance vertan

So werden monetäre Geschäftsmodelle komplett ad absurdum geführt. Denn wer glaubt denn im Ernst, dass nach Corona die zahlenden Gäste/Kunden zurückkommen, wenn ihnen während Corona auf's Vortrefflichste vorgeführt wurde, dass man das Ganze auch unentgeltlich bekommen kann? Dabei wurde und wird mit diesem Verhalten einiger Branchenakteure die Chance verspielt, in einer Zeit großer Not und Bedürftigkeit erforderliche Vergütungsmodelle einzuführen, um den wegbrechenden Umsatz zumindest in Teilen zu kompensieren. Ein fatales Signal.


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Bildquelle: Halloween photo created by ArthurHidden - www.freepik.com

Autor: Dominik Deubner

Veröffentlicht am: 04.06.2020


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Anja Deilmann,
Deilmann Network | Köln
14. September, 09:55 Uhr

Die echte Musik spielt ja erst im Januar 2021, wenn der Schutz zur Insolvenzanmeldung ausläuft (Aussetzen der Insolvenzantragspflicht). Dann gehts erst richtig rund in unserer Branche, egal ob hybrid aufgestellt, live, mit Spende, ohne Spende, billig, teuer, ohne Bezahlung, whatever ... Was jetzt noch bis Ende Dezember passiert, sind die berühmten Strohhalme, an die sich alle klammern. Ob in großen führenden Agenturen oder in kleinen, völlig egal, da sind wir alle gleich bedient ...

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Ute Janßen,
Türöffnungen B2B
12. Juni, 13:56 Uhr

Bei meiner Arbeit als New-Business-Kontakter habe ich in den letzten Wochen festgestellt, dass sich das anfangs freundliche Verständnis auf Unternehmensseite für die Situation aller Dienstleister unsere Branche in eine Erkenntnis wandelt: Kostenfreier ad-hoc-Service und aktionistische Billigangebote bieten keine Planungsperspektive oder gar Handlungssicherheit. Ganz im Gegenteil sorgt das bei vielen Firmen für Verwirrung und Abwehrreaktionen. Daher gebe ich Denis total Recht, dass Ruhe und Sorgfalt angesagt sind . Und nicht als Erstes, weil das der Live-Komm Branche jetzt guttut, sondern weil die Firmen genau darauf angewiesen sind, damit das ausgegebene Geld planvoll, nachvollziehbar und langfristig NUTZEN erwirtschaften kann. Die Erwartungshaltung, dass sich Live-Events und Messen generell und plötzlich - und vor Allem gleichem Effekt! - ins Virtuelle zerren lassen, haben sich viele schon abgeschminkt. Glücklicherweise (aus Sicht der Untern.) waren diese Versuche in der Tat teils geldfrei oder billig. Es gibt keinen Ersatz für LIVE im virtuellen Raum! Diese Denke der Austauschbarkeit ist falsch. Die Wirtschaft braucht Experten der Live-Komm, die sorgfältig und reflektiert geprüft haben und weiter Wissen aufbauen, wann und WIE Live und Virtuell effektiv zusammen oder allein spielen. Sargnagel adé!

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Jacob Marquardt ,
M Events Cross Media GmbH
09. Juni, 10:33 Uhr

Also wir haben in den letzten 2 Monaten für > 100.000 Teilnehmer auf virtuellen Kongressen gestreamt. Der überwiegende Teil davon hat dafür bezahlt. Das geht 1a.

Artikel erst nach Recherche schreiben und nicht aus dem Bauch heraus - wäre mein Vorschlag.

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Dogan Altindag,
headset agentur
08. Juni, 12:00 Uhr

Nach der ersten "Panik" besinnt man sich - ohne Kommunikation geht's dann auch nicht. Als Moderatoren Agentur erhalten wir nun wieder Anfragen für die Moderation virtueller / digitaler Events und die Moderatoren richten darauf ein - manche mit eigener GreenBox und technischer Ausstattung. Und wir hören nun von einigen Kunden und Agenturen, dass die Moderatoren ja nicht mehr anreisen müssten, der Aufwand weniger wäre und somit die Honorare niedriger sein sollten. Die Moderatoren und wir als Agentur betonen immer wieder, dass die Vorbereitung auf eine Moderation durch ein virtuelles Event nicht weniger wird und genauso vorbereitet werden muss.

Wie seht ihr das? Erwartet ihr als Auftraggeber günstigere Honorare, weil "digital von zu Hause" oder ist die online Moderation für Euch gleichwertig?

Vielen Dank und beste Grüße vom Berliner Ku'damm, Dogan

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Ursula Griemsmann,
C³ Event Solutions
08. Juni, 06:59 Uhr

Ein Beitrag, der mir aus der Seele spricht! Vielen Dank dafür.

Ich bin durchaus für virtuelle EventBAUSTEINE, um die Reichweite zu vergrößern. Aber nur als ERGÄNZUNG und wirklich nur dort, wo es Sinn macht. Live-Kommunikation kann meiner Meinung nach nicht mal eben durch digitale Medien ergänzt werden. Wenn dem so wäre - warum dann die vielfachen Beiträge in den Medien, die in dieser "schwere Zeit ohne soziale Kontakte" zum Durchhalten auffordern? Persönliche Kontakte sind eben das Salz in der Suppe - auch bei Events. Und was die kostenlosen Angebote betrifft, so kann ich auch da nur zustimmen. Schade, dass die ohnehin geringe Wertschätzung der Branche damit weiter geschmälert wird.

Andreas Grunszky
Andreas Grunszky,
BEEFTEA group GmbH
05. Juni, 18:17 Uhr

Haha da hast du nicht ganz unrecht: 😹 Arbeitslos gewordene Eventagenturen überbieten sich mit innovativen Konzepten zu rein virtuell in Szene gesetzten Corporate Events und Product Launches - und vergessen dabei so ganz nebenbei, welchen Argumentationsaufwand sie vor Corona betrieben haben, für emotionale Live-Inszenierungen unter (inter-)aktiver Einbindung der Teilnehmer ein ausreichendes Eventbudget auszuhandeln

Allerdings darf man auch nicht außer acht lassen, dass Unternehmen nach der Schockstarre merken, dass die Erde sich noch immer dreht und nichts zu tun auch keine Option ist. Und Agenturen bieten sich hier natürlich an genau das auch umzusetzen. Interessent dabei wäre aber die Frage ob Kunden bei der Umsetzung von Digital Events auch hier auf die Kompetenz von Eventagenturen setzen oder sich Kompetenzen anderer Branchen bedienen. Aber dieser Frage gehen wir bei unserem kostenfreien😹 Digital Event dem www.event-Manager-Forum.de am 9. Juni um 15.00 Uhr nach und werden dazu Kunden (Volkswagen und BSH) befragen.

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Julien Figur,
Hanse Mondial GmbH
05. Juni, 15:49 Uhr

Hallo Dominik, 

du bringst es sehr treffend auf den Punkt. Finde deinen Ansatz sehr spannend und sollte viele Kreative zum nachdenken anregen.  Die Lage sollte als Chance und nicht als Untergang angesehen werden. Auch wenn große Hallen in unmittelbarer Zukunft nicht wieder gefüllt werden, werden sich Kunden auf kreative Formate off- und online werfen. Nur wie sehen die zukünftig aus?  Das sollten und sind Themen mit dem man sich beschäftigen sollte. 

Danke für deinen Impuls... 

Beste Grüße  Julien

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Denis Häcker,
jaeger+haeckerhase gmbh
05. Juni, 14:49 Uhr

Nur nach wenigen Wochen der Krise, wo es in der Tat um das "Überleben" ganzer Branchen geht, zeigt sich bereits jetzt schon der wahre Charakter vieler Wettbewerber. Wir sind doch alle gefordert in dieser Krisenzeit unser Schicksal in die Hand zu nehmen und alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Hybride Events sind da ganz sicher wegweisend und haben das Potential langfristig unser "Brötchengeber" zu werden. Die Zeit, uns diese Leistung adäquat bezahlen zu lassen ist eigentlich besser denn je, doch offensichtlich gibt es viele Unternehmer unter uns, die die Nerven verlieren und gegen eine "Spende" ihre Leistung anpreisen. Wem ist am Ende damit gedient? Niemanden!! Die Agentur dürfte so nicht mal in der Lage sein seine Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen zu können. Geld wird so ganz sicher nicht verdient. Die Agentur kann so mittelfristig sicherlich auch nicht überleben. Statt dessen treiben solche "Nasen" eine ganze Branche in den Ruin, statt mit ihr gerade jetzt an einem Strang zu ziehen. Und der Kunde`Er erhält zwar für kleines Geld die gewünschte Leistung, doch vielleicht bleibt es auch bei dieser erstmaligen, aber auch letztmaligen Zusammenarbeit, denn der Leistungsparameter wird so nicht überleben können. Der Kunde verliert möglicherweise so auch noch einen Geschäftspartner. Wer gewinnt also, wenn wir Dumping betreiben? NIEMAND! Lasst uns diesen Weg gar nicht erst einschlagen, sondern besonnen und mit kühlem Kopf selbstbewusst agieren. So können wir ggf. durch diese Krise kommen.

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Daniel Klöpper,
top-ten music & more
05. Juni, 13:57 Uhr

Guter Beitrag. Noch schlimmer sind die "Kollegen" die plötzlich (angeblich als Schutz für ihre Mitarbeiter vor dem Jobverlust) anfangen Mundschutzmasken und anderes zu verkaufen. Ich rede nicht von Kollegen die bisher schon einen Onlineshop hatten und nun diese Produkte anbieten. Ich rede von "Kollegen" die diese Produkte per Mail bewerben. Per unerwünschter Mail. Sprich: Man verschickt Spam. Alles unter dem Deckmantel, dass die Branche ja brach liegt.

Von Autokinos, Autokonzerten usw. halte ich ebenfalls wenig. Da ist mir Helge Schneider sehr sympathisch in seiner Haltung, nicht vor Autos auftreten zu wollen, sondern vor Menschen.

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Petersen,
Buderus
05. Juni, 13:39 Uhr

Sicherlich brechen nun bestimmte Veranstaltungsformen weg. Insbesondere diejenigen, die bei genauem Hinschauen auch schon vor Corona den eigentlichen Sinn nur teilweise erfüllt hatten, sondern eben oft auch aus diversen - oft Corporate-internen - Gründen und Zielen umgesetzt wurden.

Wiederkehren werden alle Formate, bei denen das Zusammenkommen von Menschen im Mittelpunkt steht, der Austausch, das Miteinander, das gemeinsame Erleben. Auch wenn dies wohl noch etwas dauern wird, aber der Bedarf wird vorhanden sein. Das sind dann aber wohl die Formate, bei denen sich der Einsatz von Eventtechnik und die große Show nicht so einsetzen lässt, wie in der Vergangenheit.

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Scherer, Harald,
4events Planung, Sicherheit, Training
05. Juni, 13:02 Uhr

Lieber Herr Deubner,

Ihre Darstellung entspricht zu 100% meiner Argumentation. Ich hätte nur noch die unsäglichen Autokinos als faulen Kompromiss ins Rennen zu schicken, die von vielen Künstlern und Veranstaltern als Notnagel genommen werden. Mir gegenüber haben sich drei namhafte Bands aus dem kölner Karneval äußerst abfällig dagegen ausgesprochen. Man macht das wiederwillig, aber eine Livesituation können die Blechbüchsen auf einer Parkfläche nicht annähernd ersetzen - erst Recht nicht bei Corporate Events. Ich bin auch davon überzeugt, dass hybride Events die MICE Branche nicht vollständig kannibalisieren, zumal es auch sekundäre Teilnahmekriterien gibt. Aber einige Veranstaltungen werden künftig entfallen und das ist auch gut so. Ganz ehrlich: wir leben doch in einer übereventisierten Welt, d.h. die Leuchttürme und innovativen Mischkonzepte werden gestärkt aus dieser Krise gehen. Ein "weiter so" oder gar "zurück zu normal" werden wir - so schmerzlich das auch ist - wahrscheinlich nicht sehen.

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