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Best Practice - Public Event

Bloß keine Panik!

Simulationen gegen das Gedränge

Wenn Menschenströme aus dem Ruder laufen, kann das schlimme Folgen haben. Das bekannteste Beispiel in Deutschland dafür ist die Loveparade 2010 in Duisburg, bei der 21 Todesopfer und über 500 Verletzte zu beklagen waren. Die Schuldfrage ist bis heute nicht geklärt, aber allen Verantwortlichen hätte klar sein müssen, dass bestimmte Nadelöhre zum Verhängnis führen können.

Das Münchner Start-up accurate tut mit seinen Simulationen alles dafür, um den Ernstfall schon im Vorfeld ausschließen zu können. Hierfür bedient man sich modernster IT und Computertechnologie sowie der auf den Rechner übertragenen Umgebungsarchitektur und darin integrierter Fußgängerströme. Vor allem Bauherren und Architekten, aber auch Eventplaner nutzen die Software des Unternehmens, um anschaulich zu testen, wie gut die Fluchtwege auch bei hohem Menschenandrang funktionieren und wie lange eine Evakuierung im Ernstfall dauern würde.

Ausgangslage ist stets, dass hunderte, tausende oder zehntausende Besucher in kurzer Zeit von A nach B wollen oder müssen, etwa auf Messen oder Kongressen, in Stadien oder auf Flughäfen. Mit der Komplexität der Gebäudearchitektur oder der Weitläufigkeit eines Geländes wird es für die Planer immer weniger überschaubar, wie die bewegliche Masse im Notfall reagieren mag. Die Software von accurate soll dabei Abhilfe schaffen. Schließlich weiß man nie, an welcher Stelle genau die Einlasskontrolle zum Stillstand kommen, ein Kabelbrand auftreten, das Wetter umschlagen oder der Aufzug nicht mehr funktionieren mag.

Eine Katastrophe als Anlass einer Firmengründung

Die accurate Geschäftsführer Florian Sesser und Dr. Angelika Kneidl haben tatsächlich das Love-Parade-Unglück aus dem Jahr 2010 zum Anlass genommen, um vier Jahre später ihr „Institute for Crowd Simulation“ zu gründen. Dabei werden kurz gesagt Fußgängerströme simuliert, ähnlich wie bei Simulationen zur Statik von Gebäuden oder zur Sicherheit von Autos, die zunächst im Detail durchgespielt werden, bevor etwas gebaut wird oder in die Serienreife geht.

Die „Hanse Sail“ im Rostocker Stadthafen wird gerne auch als „Oktoberfest des Nordens“ bezeichnet. Rund eine Million Besucher versammeln sich hier Jahr für Jahr. Wenn aber der Wetterdienst Orkanböen von Windstärke 8 meldet, muss im Zweifelsfall schnell evakuiert werden. Das war 2015 der Fall. Hier hat die Notfallsimulation von accurate tatsächlich ergeben, dass die Sperrung eines vom Wasser versperrten Rettungsweges die Evakuierung um ein Drittel beschleunigen würde, da ansonsten ein unvermeidbarer Rückstau die Folge gewesen wäre. Ein großer Schritt für die Sicherheit der Veranstaltung.

Simulation der Hanse Sail

Menschen machen Fehler

Die Frage ist, ob eine Computersimulation tatsächlich hilft oder ob sich die Sicherheitsverantwortlichen das eine oder andere auch so hätten denken können. Man weiß es natürlich nicht genau, aber offensichtlich ist, dass weniger manchmal mehr ist. Kleine Stichstraßen bei Stadtfesten z.B. können große Probleme bereiten, ebenso enge Rettungswege oder vermeintliche Abkürzungen, in die sich im Gefahrenfall viel zu viele Menschen flüchten. Solche Sachverhalte werden laut Florian Sesser nur in der Simulation sichtbar. Da sind selbst die gut gemeinten Alternativen der Veranstaltungsplaner häufig kontraproduktiv.

Jede Simulation ist natürlich nur so gut wie die zur Verfügung stehenden Daten und die Software, die diese auswertet. Bei accurate hat man – da ist der Name Programm – an alle Parameter und jeden Zentimeter gedacht. Jeder Besucher eines Events wird als einzelner „Agent“ dargestellt, der erst zur ersten Bühne, dann zum Imbissstand, anschließend zur Toilette, hiernach zur zweiten Bühne und schließlich zum Ausgang möchte. Aber auch der Normalfall wird berechnet: Beispielsweise, wie viele Schüler sich in welchen Abständen durch eine Ausstellung in einem Museum leiten lassen.

Auf die Daten kommt es an

Hierzu wird ein mathematisches Modell namens „Optimal Steps“ von Prof. Dr. Gerda Köster der Hochschule München verwendet. Es basiert auf den Grundlagen der Biomechanik und besagt, dass der Mensch sein Ziel in der Regel auf schnellstem Weg, d.h. mit den wenigsten Schritten erreichen will. Wenn also beispielsweise eine Parkbank im Weg steht, muss der Mensch ihr ausweichen und das tut er, indem er diese auf dem kürzesten Weg zum Ziel umkurvt. Andere Modelle teilen Veranstaltungsflächen beispielsweise in Quadrate wie auf einem Schachbrett ein, sind aber gröber und daher recht ungenau. Ebenso wenig wird dabei bedacht, dass Menschen sich nicht immer „automatengleich“ verhalten, wenn sich z.B. unerwartet Gruppen bilden oder Personen selbst zum Hindernis werden. Daher nutzt accurate auch neueste Erkenntnisse aus der Psychologie und Soziologie für seine Modelle.

Die Daten für ihre Analysen erhalten die Macher bei accurate vom Veranstalter, die dreidimensionale Grundrisse zur Verfügung stellen, Besucher zählen, Überwachungskameras installieren oder auch Besucherbefragungen durchführen. Aus den gesammelten Daten wird dann ein möglichst realistisches Szenario geschaffen, das den Ernst- oder Notfall am Computer simuliert. Je besser und exakter die Datenquellen, desto verlässlicher ist natürlich das entworfene Szenario. Zur Veranschaulichung des Ganzen werden sogar Tools aus der Computerspielebranche eingesetzt, damit die Auftraggeber einen möglichst realistischen Eindruck von dem erhalten, was eventuell, aber hoffentlich nicht passieren mag.


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Bildquelle: Accurate

Autor: Frank Brehm

Veröffentlicht am: 08.09.2016


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