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Meinung

Sprechen Sie jetzt – oder schweigen Sie für immer

Zwischen Bewertungsportal und Wahrheit

Einfach mal meckern. Jammern. Lauthals beschweren. Kaum eine Nation kann das so prima wie die deutsche. Auch wenn die frei und fröhlich gefeierte Weltmeisterschaft 2006 das Bild des ewig nörgelnden Deutschen deutlich aufpoliert hat – Deutschland ist, wenn schon nicht Beschwerdeweltmeister, so doch zumindest Europameister im Unzufriedensein (Eurobarometer 2009). Um dem eigenen Unmut Ausdruck zu verleihen, ist jedes Mittel Recht. Multiple Ausrufezeichen am Ende einer rüde formulierten Beschwerde eingeschlossen. Offenbar will man dem Gesagten zumindest auf semantischer Ebene Substanz verleihen. Viel hilft vielleicht viel. Auf quantitativem Niveau wird dem Bewerter, der oft auch im Gewand des Beschwerders auftritt, viel Raum für viel Meinung geboten. Beschwerde-Hotlines, soziale Medien oder Bewertungsportal – viele Wege führen zum gern gesetzten Rufzeichen. Die Tourismusbranche ist wie die Veranstaltungsbranche besonders betroffen. In beiden Bereichen geht es um das Erleben eines Angebotes. Eine höchst individuelle Währung. Immerhin: dass jemand „etwas erlebt“, so die gängige Definition, bedeutet nicht nur, dass jemand etwas sinnlich erfährt (Atmosphäre, Musik, Essen, Information) oder mitmacht (bei schlechter Performance kommen Anbieter in diesem Sinne noch mit einem blauen Auge davon). Es bedeutet eben auch „etwas durchmachen“. Hier kommt das Leiden ins Spiel, das seinen Ausdruck in der, genau, Beschwerde findet.

Wer sucht, der findet. Der Tourismusexperte Karl Born formulierte es einmal so: „Die Beschwerde gehört zum Urlaub wie der Eiffelturm zu Paris und das Hofbräuhaus zu München.“ Natürlich kann man sich darüber streiten, ob Freizeit für die Fahndung nach Mängeln wertvoll verbrachte Zeit ist. Oder ob das Erlebnis eines Live-Events im Nachhinein durch eine Beschwerde nicht für sich selbst geschmälert wird, nur weil die Farbe der Serviette nicht mit der Krawatte harmonierte. Selbstverständlich ist niemand frei von Fehl und Tadel und es ist wichtig und richtig, dass Kommentare ernstgenommen werden. Schließlich geht es darum, Bedürfnisse zu erfüllen. Service zu bieten. Zu unterhalten. Und nicht zuletzt: besser zu werden. Hier kann Meinung aufgrund von Erfahrung einen wichtigen Beitrag leisten.

„Von Deutschen kommen die lächerlichsten Beschwerden.“ (Karl Born, Tourismusexperte im Spiegel-Interview)

Einerseits: Meinung fördert den gegenseitigen Respekt

73 Prozent der Urlauber – so der aktuelle Branchenreport des Hotelverbands Deutschland – besuchen vor dem Buchen einer Reise ein Hotelbewertungsportal im Internet. Zu Recht verlässt sich die Mehrheit nur noch ungern auf werbliche Katalogseiten und Bilder. Nicht immer sind die Kommentare auf Bewertungsportalen wie Holidaycheck, Tripadvisor, Opodo und Co. ein Lobgesang auf Service, Sauberkeit und Spaßfaktor. Um seine Besucher nicht zu vergällen, ist ein kluges Beschwerdemanagement gefragt. Ob Hotel, Reiseanbieter oder Veranstalter – Kommentare müssen ernstgenommen und beantwortet werden. Denn das Engagement eines Unternehmens, so Brian Payea von der international führenden Bewertungsplattform TripAdvisor, beeinflusst, wie Kunden es wahrnehmen. Geht man nach einer Studie der Marketingagentur Cone's, sind 89 Prozent der Internetnutzer davon überzeugt, dass Unternehmen die Möglichkeiten des Internets zur Interaktion nutzen sollten. 74 Prozent haben ein positiveres Bild von Unternehmen, die online präsent sind. Ihre Kunden nehmen sie positiver wahr. „Und sie werden ein noch besseres Bild von Ihnen haben, wenn Sie Ihnen zuhören und auf Ihre Kommentare eingehen. So zeigen Sie, dass Sie die Anliegen ernstnehmen und die Kunden Ihnen etwas bedeuten. Eine langfristige Bindung kann das Resultat sein.“

Anders: Kritik beruht auf Gegenseitigkeit. Schaut man jedoch hinter die Fassade, oder um beim Beispiel Tourismus zu bleiben hinter die Hotelmauern, wird Onlinekritik oftmals ignoriert. Nur 30 Prozent der Manager, so der Hotelverband Deutschland, haben ihr Unternehmen bei Bewertungsportalen im Blick.

Andererseits: Meinung entlarvt den notorischen Nörgler

Das geschulte Personal am Ende der Beschwerdehotline, hinter dem Empfangstresen oder auf der Großveranstaltung entlarvt ihn sofort: Den notorischen Nörgler. Auch hier gelten die Deutschen wieder als Spitzenreiter. Die Bandbreite von berechtigten Klagen bis hin zu Lächerlichkeiten ist groß. Laut Born ist der Anteil der lächerlichen Beschwerden bei den Deutschen allerdings überproportional. Ihr Mittel: Die sprichwörtliche Brechstange: „Wenn Sie das jetzt nicht ändern, verklage ich Sie.“ Ob es auch charmanter geht? Unbedingt. Um zum Ziel zu kommen, setzen Italiener auf die indirekte Klage, sprich Komplimente. Schweizer hingegen führen, so eine Hoteldirektorin aus Teneriffa, häufig die Gesundheit vor. Wer mit seinen Anliegen durchkommt? „Da liegt dann Italien vor der Schweiz, und erst am Schluss wird das Problem des Deutschen bearbeitet“, zitiert Born die Kollegin.

Aus Veranstaltersicht stellen notorische Nörgler, nennen wir sie NN, allerdings ein ernsthaftes Problem dar. Speziell, wenn sie im Freundes- und Bekanntenkreis, auf Facebook und Co. ständig von ihren ‚Negativerfahrungen’ berichten. Den Effekt der Negativspirale – einer fängt an, alle stimmen mit eigenen Gruselgeschichten ein – müssen Veranstalter klug abfangen. Entgegensteuern. Denn nur eine respektvolle, durchdachte und bestimmte Feedbackkultur nimmt NN den Wind aus den Segeln. Gerade in den sozialen Medien ist dabei Tempo gefragt, bevor sich ein schlechtes Bild wie ein Lauffeuer verbreitet. Selbst wenn mehr als offensichtlich ist, dass die betreffende Beschwerde lächerlich ist: Als Veranstalter sollte man sich davor hüten, den NN der Peinlichkeit zu überlassen.

Beschwerden machen nur unmittelbar Sinn

Die Beschwerde vor Ort, eben dann, wenn ein Problem auftritt, ist natürlich nur halb so unterhaltsam wie die Beschwerde im Nachhinein. Der Grund ist ganz simpel: Es braucht Mut, seine Empfindungen von Angesicht zu Angesicht formulieren. Missstände zu artikulieren. Es könnte ja sein, dass das Problem dabei plötzlich kleiner wird als ursprünglich gedacht. Dass es noch während es dem NN über die Lippen kommt, an Wucht einbüßt. Hinzu kommt die Beweisführung: Im Nachhinein zu klagen, um eventuell einen Rabatt herauszuschlagen, einen Gutschein oder sonstige Wiedergutmachungen, ist auch deshalb oft zum Scheitern verurteilt, weil der Beleg fehlt: Die Dokumentation des mangelhaften Zustandes. Die TUI etwa geht sogar soweit, dass sie eine Bilddokumentation verlangt, optimalerweise signiert von mindestens einem oder zwei weiteren Betroffenen.

Das Prinzip der Unmittelbarkeit gilt einmal mehr für Live-Events. Denn wie sollen entsprechende Veranstaltungen im Nachhinein korrigiert werden? Dass Live-Veranstaltungen dennoch ein beliebtes Aktionsfeld für Kundenbeschwerden darstellen, unterstreicht die These, dass Meckern für viele einfach zum guten Ton gehört. Spaß macht. Auf rein rechtlicher Ebene ist der Fall ziemlich eindeutig. Kaum ein Agenturvertrag, der nicht eine Klausel beinhaltet, dass Beschwerden bei Veranstaltungen direkt vor Ort geäußert werden müssen, weil sie danach nicht mehr als solche anerkannt werden. Auch wenn die Paragraphen für sich sprechen, die emotionale Betroffenheit bleibt. Und kann im Zweifel ordentlich am Image eines Veranstalters kratzen. Beschwerdekultur ist und bleibt also eine Pflichtübung. Mehr noch: Ein aktives Beschwerdemanagement kann sogar zum Wettbewerbsvorteil werden.

Tipps zum Umgang mit der Beschwerde

  1. Schnell antworten: Zeigen Sie Ihre Aufmerksamkeit und hinterlassen Sie einen bleibenden Eindruck. Je schneller Sie antworten, desto mehr Leute werden Ihre Antwort wahrnehmen.
  2. Professionalität: Wahren Sie den professionellen und freundlichen Ton. Auch wenn Kritiken schlecht oder gar unfreundlich sind. Behalten Sie im Hinterkopf, dass Ihre Antwort nicht nur der Kritiker selbst liest, sondern hunderte oder gar tausende potenzielle Kunden.
  3. Positive Änderungen hervorheben: Zeigen Sie Ihren Kunden, dass Sie ihr Feedback ernstnehmen und umsetzen. Kommunizieren Sie die positiven Entwicklungen Ihres Unternehmens.
  4. Privatsphäre: Nennen Sie in Ihren Antworten keine Namen, Adressen, Telefonnummern usw. von Ihren Kunden.
  5. Seien Sie Sie selbst: Vorgefertigte Massenantworten kommen beim Kunden gar nicht gut an. Antworten Sie individuell auf jeden Kommentar und beziehen Sie sich auf die jeweilige Situation.
  6. Danke sagen: Bedanken Sie sich bei Ihren Kunden für positives Feedback, aber auch für konstruktive Kritik. Zögern Sie nicht, Ihren Kunden zu zeigen, dass Sie sie schätzen.
  7. Transparenz: Die Verlinkung auf der eigenen Homepage zu einem Bewertungsportal vermittelt zusätzliche Transparenz.

(Quelle: www.aufgesang.de)

Den Artikel finden Sie jetzt gar nicht gut? Dann beschweren Sie sich doch. Oder lesen Sie stattdessen hier mal rein: „Sorry, Ihr Hotel ist abgebrannt“, erschienen im Ullstein-Verlag. Ein bisschen Spaß muss schließlich sein. Oder?


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Bildquelle: Designed by Freepik
Weitere Quelle: www.spiegel.de

Autor: Yvonne Egberink

Veröffentlicht am: 24.08.2017


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