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Hotels & Locations

Events auf der Flucht

Wie sich die Flüchtlingswelle auf die MICE-Branche auswirkt

Feldbetten statt Designerstühle, Suppenküche statt Fingerfood, Heizstrahler statt Beamer, Wolldecken statt Tischdeko – die Flüchtlingsproblematik ist seit einigen Monaten auch in der MICE- und Eventbranche angekommen. Die Engpässe bei der Erstunterbringung von Asylbewerbern betreffen neben einigen Messegeländen vor allem Eventlocations, die sich in öffentlicher Hand bzw. in kommunalem Besitz befinden.

Die Grundsatzfrage lautet: Wohin mit Tausenden von Flüchtlingen, wenn Turnhallen und Kasernen entweder schon belegt sind oder kurzfristig nicht hergerichtet werden können? Wo findet sich gerade in der kalten Jahreszeit genügend Platz bei ausreichenden Sicherheitsstandards und einer zumutbaren Gebäudeausstattung?

Ganz klar in Einrichtungen, die eigentlich für die „Beherbergung“ von Tagungs- und Veranstaltungsteilnehmern konzipiert sind und den Regierungen der Bundesländer auf Anordnung hin zur Verfügung stehen. Offiziell heißt das „Aufforderung zur Amtshilfe“, um dem „ungebremst hohen Migrationsdruck“ (ebenfalls Beamtendeutsch) Herr werden zu können.

Nun ist in den meisten Fällen aber ein Betreiber mit dem Betrieb der Veranstaltungsstätte betraut. Generell ist das Verständnis für die derzeit allgegenwärtige Problematik auch groß. Aber die Hilfe für Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten führt logischerweise nun auch zu ersten Streichungen geplanter und zum Teil bereits bezahlter Veranstaltungen.

Ironie des Schicksals: Beim Einsatz der Eventorganisatoren und freiwilligen Helfer zeigt sich, wie schnell und effektiv Krisenmanagement über die Bühne gehen kann. Ohne die Mühlen der Bürokratie funktioniert einfach vieles besser. Denn hier sind meist eingespielte Teams am Werk, die sich jedwede Art von Verzögerungen auch ansonsten gar nicht erst leisten können.

Nicht nur Flüchtlinge sind betroffen

Aktuellstes Beispiel ist die Dreiländerhalle Passau, unter anderem alljährlicher Austragungsort des Politischen Aschermittwochs der CSU. Gerade wurde die Mehrzweckhalle an der Grenze zu Österreich und Tschechien zum Flüchtlingsheim auserkoren und steht damit bis auf Weiteres nicht mehr für Veranstaltungen zur Verfügung. Für wie lange, ist unterdessen noch nicht geklärt.

Eines der ersten und bekanntesten Beispiele für die Umwandlung einer Eventlocation in eine Erstunterkunft ist die Gebläsehalle in Ilsede. Im Landkreis Peine beheimatet, gilt sie als die wichtigste Großveranstaltungsstätte zwischen Hannover und Braunschweig. Praktisch über Nacht wurden hier sämtliche noch anstehenden Termine bis zum Jahresende abgesagt, darunter Firmentagungen, der traditionelle Herbst- und Weihnachtsmarkt sowie ein Publikumsevent mit bereits 1.700 verkauften Tickets.

Gunter Eckhardt, Geschäftsführer der Wirtschafts- und Tourismusförderung im Landkreis Peine, bezeichnete die Entscheidung der Behörden als „Schock“, zumal bereits erste Regressanforderungen gestellt worden seien. Die Kommune als Betreiber habe dabei schlichtweg dem Land Niedersachsen und dessen Plänen zu „gehorchen“.

Ungeklärte Haftungsfragen

Allerorten ist die Hilfsbereitschaft groß, aber dennoch stellt sich die Frage: Wer kommt nun eigentlich für all das auf, wenn die Veranstaltungsgäste bereits eingeladen sind und die Musik schon bestellt ist? Wenn Übernachtungen bereits gebucht sind und sich Ausweichmöglichkeiten in naher Umgebung nicht finden lassen?

So herrscht über Fragen einer möglichen Entschädigung weitestgehend noch Uneinigkeit. Handelt es sich um „höhere Gewalt“? Muss am Ende der Steuerzahler dafür aufkommen? So sehen sich zahlreiche Eventdienstleister ihrer von langer Hand geplanten Aufträge beraubt.

Sonderkonjunktur vs. Stornierungen

Denn während sich manche Mittelständler wie Zeltbauer, Catering-Unternehmen und Security-Firmen im Zuge der Flüchtlingskrise zweifellos über Mehrumsatz freuen, schauen andere in die sprichwörtliche Röhre. So nutzen einige Unternehmen die aktuelle Situation als Vorwand, um etwa kurzerhand Weihnachtsfeiern abzusagen und damit durchaus willkommene Kosteneinsparungen mit einer gesellschaftspolitischen Ausnahmesituation zu begründen. Dabei wäre gerade die aktuelle Krise – und etwa eine kurzfristig nicht mehr verfügbare Veranstaltungslocation – ein willkommener Anlass, um die Weihnachtsfeier kurzerhand in ein CSR-Projekt umzuwidmen. Doch die meisten Unternehmen scheuen angesichts der gespaltenen Stimmung in der Bevölkerung die Durchführung von Hilfsprojekten.

Vom Mittelmeer zum Maritim

Einen gänzlich anderen Weg als im Fall der Gebläsehalle Ilsede ging Sachsen-Anhalt. Denn die dortige Landesregierung hat das Maritim-Hotel Halle für volle drei Jahre als Flüchtlingsunterkunft „gebucht“ – mit Verlängerungsoption übrigens. Faktisch gab die Maritim Hotelgesellschaft den Betrieb damit zum 30. September 2015 auf. Hier waren bis zuletzt 80 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit beschäftigt, die nun samt Azubis auf andere, möglichst nahe gelegene Maritim-Häuser verteilt werden sollen. Das Haus soll ab jetzt dauerhaft Platz für bis zu 700 Flüchtlinge bieten.

Hier muss man die Ausgangssituation natürlich genauer betrachten. Denn tatsächlich ist das Hotel ziemlich in die Jahre gekommen und für die Hotelkette schon lange kein Umsatzbringer mehr. Teure Umbaumaßnahmen wären nötig, um das Maritim in Halle an der Saale auf einen wettbewerbsfähigen Hotelstandard zu heben. Bei recht unattraktiver Lage zwischen hochgeschossigen Plattenbauten und einem Einzelzimmeranteil von fast 70 Prozent wäre aber auch dies ein wirtschaftliches Wagnis. So kann man in Halle also getrost von einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten sprechen.


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Bildquelle: Neil Bennett, Hunger TV

Autor: Frank Brehm

Veröffentlicht am: 29.10.2015


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