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Agenturen

Pitch paradox

Über die Absurdität von Ausschreibungen

Was es mit zahlreichen Pitches in der MICE- und Eventbranche auf sich hat, wurde schon oft beschrieben und vielfach kritisiert. Es winkt eine Menge Arbeit für wenige bis null Euro, aber eben auch die Chance auf den Gewinn eines neuen Etats. Dafür muss man nichts weiter tun, als sich mit konkreten Angebotsrecherchen, ganzheitlichen Eventkonzepten und einer Menge Manpower zu „bewerben“. Am Ende aber kann es natürlich nur einen Sieger geben (der im Zweifel von Beginn an bereits feststeht) und gleich einer Lotterie stehen die meisten Teilnehmer schlussendlich mit leeren Händen da.

Natürlich geschieht dies alles auf freiwilliger Basis. Wer es sich im wahrsten Sinne des Wortes leisten kann, nimmt an Ausschreibungen, die einem allzu viel abverlangen, gar nicht erst teil. Wer der Versuchung aber nicht widerstehen kann, sieht sich des Öfteren aber noch mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als den eingangs erwähnten. Denn die Rahmenbedingungen, die ausschreibende Unternehmen den Agenturen ins Buch diktieren, sind einerseits nicht mal eben so leistbar, in vielen Punkten sind sie einfach nur dreist und frech.

Geheimhaltungspflicht vs. Offenbarungseid

Die meisten Eventagenturen sind zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet, wenn es darum geht, die streng vertraulichen Pitch-Unterlagen überhaupt erst zugesandt zu bekommen. Kein Problem für die meisten. Man unterschreibt eine entsprechende Erklärung und vertraut natürlich den eigenen Mitarbeitern dahingehend, dass kein Wort über den bevorstehenden Wettbewerb nach außen dringt. Falls aber doch – über welche zufälligen Kanäle auch immer – steht man in der Haftung. Und ja, in solchen Fällen hat auch der kleinste Eventdienstleister tatsächlich mit Regressansprüchen zu rechnen. Auf der anderen Seite jedoch wird man selbst dazu genötigt, sogar sensible Geschäftsdaten schonungslos offenzulegen. Wie sieht es mit den Besitzverhältnissen innerhalb der Agentur aus? Wie hoch waren die Umsätze in den letzten drei Jahren? Welche Kunden haben in welchem Ausmaß zu diesen Umsätzen beigetragen? Für welche Wettbewerber war man in der Vergangenheit bereits tätig? Wie viele interne Mitarbeiter in welchen Positionen können für das geplante Projekt abgestellt werden?

Mindestlohn vs. kostenfreier Pitch-Beteiligung

Völlig absurd wird es, wenn das ausschreibende Unternehmen von der Agentur verlangt, bis zum letzten Sub-Dienstleister des Sub-Dienstleisters herunter per Eides statt zu versichern, dass alle in der Kette der Gewerke beschäftigten Arbeitnehmer auch schön anständig mit dem Mindestlohn vergütet werden. Man stelle sich mal vor, wie man als Eventagentur dafür bürgen soll, dass Mitarbeiter von Firmen angemessen vergütet werden, die gar nicht Auftragnehmer der Agentur sind. Wie paradox dieses Anspruchsdenken der ausschreibenden Unternehmen ist, wird besonders prägnant offenbart, wenn das Unternehmen gleichzeitig die ausführliche Ausarbeitung eines Konzeptes im Rahmen des Pitches nicht vergüten möchte.

Kreative Höchstleistungen vs. Übertragung sämtlicher Nutzungsrechte

Ein weiterer, in der Branche durchaus üblicher Fall liegt vor, wenn man seitens der Agenturen kreative Höchstleistungen im Rahmen der Konzeptausarbeitungen verlangt, gleichzeitig aber – und jetzt kommt’s: unabhängig von der tatsächlichen Vergabe des Projektes – sämtliche Nutzungsrechte der entwickelten Ideen – orts- und zeitunabhängig – an das ausschreibende Unternehmen übertragen muss. In einem uns vorliegenden Fall hatte man nach dem Pitchgewinn der Agentur im Rahmen der darauffolgenden Vertragsverhandlungen derart inakzeptable Vertragsbedingungen aufgerufen, dass daran die Projektvergabe schließlich scheiterte, obwohl man – alles war wie immer ganz eilig – während der Vertragsverhandlungen eine detaillierte Ausarbeitung des Konzeptes verlangte – und nachdem das Projekt an die Wand gefahren wurde sich schließlich weigerte, die bereits erbrachten Leistungen zu vergüten. Der Fall ging vor Gericht – und hört, hört, die Agentur obsiegte.

Haftungsklauseln vs. gesunder Menschenverstand

Im gleichen Vertragswerk wurden im Übrigen auch Haftungsklauseln in das Vertragswerk eingearbeitet, die jeder menschlichen Vernunft entsagen. So sollte die Agentur allen Ernstes dafür geradestehen, wenn auf der Veranstaltung von den Besuchern irgendwelche Schäden an der Location, am technischen Equipment oder an sonstigen eingebrachten Materialien verursacht werden. Der Clou: Diese Gewerke – Location, Technik, etc. – waren gar nicht Beauftragungsgegenstand der Zusammenarbeit mit der Agentur. Denn diese Gewerke hatte der Kunde zur Kostenersparnis nämlich direkt vergeben. Auf Rückfrage teilte das Unternehmen mit, dass bisher jede Agentur widerspruchslos diese Klauseln akzeptiert hätte und man erstmalig auf Widerstand einer Agentur stoße, die das nicht unterschreiben wolle. Da kann man zusammenfassend nur sagen: Dass Agenturen häufig von Unternehmen ausgenutzt werden, liegt dann im Zweifel an ihrer eigenen Hörigkeit den beauftragenden Unternehmen gegenüber – oder sollen wir besser sagen; an deren Dummheit!

Kurzfristigkeit der Anfrage vs. Stornierungsbedingungen

Doch es geht noch besser: Die Lufthansa schrieb im WM-Jahr ein Projekt im Rahmen der Fußball-WM in Brasilien aus, bei der die Agentur für eine dreistellige Teilnehmerzahl verbindlich Hotelkontingente blocken sollte, die im Falle eines Nichterreichens des Finales durch die deutsche Nationalmannschaft auf volles Risiko der ausführenden Agentur hätten stornierbar sein müssen. Wer die Kontingentverwaltung und die Stornierungsbedingungen bei Großereignissen dieser Art kennt, weiß, dass diese Vertragsklausel ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Wohl der Agentur, die das Projekt zu diesen Konditionen tatsächlich ausgeführt hat, konnte sie doch tatsächlich am Ende die deutsche Mannschaft bis ins Finale begleiten.

Wenn sich die Katze in den Schwanz beißt

Natürlich hat das alles etwas von einem Yellowpress-Psychotest à la „Welcher Agenturtyp sind Sie?“ Jeder halbwegs intelligente Eventexperte ahnt natürlich, mit welchen Antworten er punkten kann und mit welchen nicht. Gerade Branchenneulinge haben es mitunter schwer, wenn die Pitch-Zulassung etwa an die Vorlage von mindestens drei branchenspezifischen Projekten gekoppelt ist. Denn irgendwann muss ja „das erste Mal“ sein. Dumm nur, wenn es dann bei gewonnenem Etat heißt, dass unmittelbare Konkurrenzunternehmen nicht im Kundenportfolio geduldet werden können.

Sie denken, dass alles sind Ausnahmen von der Regel? Kaum anzunehmen, denn uns liegen beispielsweise Ausschreibungsunterlagen von der ARD, ERGO, der Koelnmesse und Skoda vor, allesamt renommierte Konzerne der unterschiedlichsten Branchen. Alle haben gemeinsam, dass von Agenturseite sowohl die Offenlegung sensibler Geschäftsdaten gefordert wird und die Expertise am ehesten derjenigen einer „eierlegenden Wollmilchsau“ entsprechen soll. Abstruse Haftungsklauseln im Fall von Falschangaben oder Terminverzögerungen runden das Ganze zu einem Konstrukt ab, bei dem das unternehmerische Risiko die Chancen auf einen Etatgewinn deutlich zu übersteigen scheint.

Es stellt sich abschließend die Frage, inwieweit sich namhafte Unternehmen nicht selbst ein Bein stellen, wenn ihre Pitches wie eine Farce anmuten. Das große Aussortieren von professionellen und leidenschaftlich arbeitenden Top-Dienstleistern beginnt schon vor der ersten Qualifikationsrunde, sodass die Großen am Ende wohl unter sich bleiben werden. Insbesondere kleinere Eventagenturen sollten daher genauestens ausloten, wie viel ihnen die Chance wert ist, ganz eventuell ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen – und dabei gleichzeitig ihre Seele zu verkaufen. Die großen Agenturen sollten mit gutem Beispiel vorangehen und bei diesem Spiel nicht mitmachen. Denn solange es Agenturen gibt, die solche Rahmenbedingungen akzeptieren, ändert sich nämlich: Nichts!


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Bildquelle: Fotolia

Autor: Frank Brehm

Veröffentlicht am: 17.03.2016


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