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Agenturen, Themensammlung - Inszenierung/Konzeption, Change-Kommunikation

Die Arbeit hacken

Was sind und was sollen Work Hacks? Eine Annäherung.

Die Online-Plattform für Zukunftsideen changeX behandelt Themen des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft. In Kooperation mit dem MICE Club veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen spannende Beiträge unseres Content-Partners, wenn wir diese für unsere Leserschaft interessant finden.

Hacken, ursprünglich ein Begriff aus der Computertechnologie, hat seine Bedeutung längst verallgemeinert. Hacken, das ist ein spielerischer, tüftelnder Weg zur Lösung eines Problems. Mit dem Ziel, eine kreative, ungewöhnliche, pfiffige Lösung zu finden. Hacken lassen sich in diesem Sinne alle möglichen Dinge. Auch die Arbeit. Und die Organisationen, in denen sie verrichtet wird, allemal.

Ein Buch wurde zum Bestseller: Geranien & Kaffeesatz. Ein Ratgeber für die prekären Fälle im Haushaltsalltag. Flecken auf der Kleidung, Wachs im Teppich, Kalk in der Badewanne? Mary Allen wusste Rat. Mit ihren praktischen und ungewöhnlichen Haushaltstipps hat sie eine Marktlücke entdeckt.

Haushaltstipps?

Heute sagt man „Lifehacks" dazu. Tipps waren mal, heute ist Hacken. Der Unterschied indes ist alles andere als marginal. „Tipp" stammt vom englischen „tip" für „Andeutung", „geheime Information", „Wink" und kommt aus dem Pferderennsport. Empfehlungsrichtung: vom Insider oder Experten an jemanden, der weniger weiß. Lifehacks hingegen sind anders. Inhaltlich mag sich ein Geranien-und-Kaffeesatz-Tipp von einem Lifehack vielleicht gar nicht so sehr unterscheiden. Sehr wohl aber in der Haltung. Sie ist grundlegend anders.

Ein Lifehack ist eben kein Tipp top-down, von einem höheren Wissenslevel an ein niedrigeres. Sondern eine ungewöhnliche, kreative Lösung für ein Problem. Eine Lösung, die nicht qua Expertenstatus, sondern durch ihre pfiffige Art für sich einzunehmen sucht. Ein Angebot, das überzeugen will. Als schlaue, verblüffend einfache und kreative Lösung. Die Haltung ist nicht mehr: „Dünge deine Geranien mit Kaffeesatz!" Sondern: „Hey, wenn du Kaffee trinkst, probier doch mal aus, die Geranien mit Kaffeesatz zu düngen."

Vom Hack zum Lifehack

Dieses Probieren ist ein zentrales Motiv schon beim Hacken selbst. Hacken meint laut Wikipedia „Tüfteln im Kontext einer verspielten selbstbezüglichen Hingabe im Umgang mit Technik". Oder auch „eine rasch erstellte, ‚unschöne‘ und ungeschliffene Anpassung", eine temporäre Problemlösung. Gemeinsam ist beiden Bedeutungen, dass eine experimentelle oder schnell zusammengezimmerte, also keinesfalls fertige und bewährte Problemlösung angeboten wird. Schnell und effektiv soll ein Hack sein und kann dabei auch unelegant daherkommen, so Wikipedia - und ganz wichtig: Ein Hack „erreicht das gewünschte Ziel, ohne die Systemarchitektur, in die er eingebettet ist, komplett umformen zu müssen, auch wenn er im Widerspruch zu ihr steht". Der spielerische, tüftelige Zugang zum Problem ignoriert die Logik des Systems, die dieses hat entstehen lassen - und öffnet gerade damit die Tür zu einer kreativen, ungewöhnlichen Lösung. Die funktioniert dann zwar im System, lässt dieses aber alt aussehen.

Von der Technik sprang der Begriff bald zum alltäglichen Leben über. „Life" und „Hack" zu „Lifehack" zusammengezogen hat erstmals der britische Technologiejournalist Danny O’Brien auf der O’Reilly Emerging Technology Conference in San Diego, Kalifornien, im Jahr 2004. Lifehacks sind „Hacks, die sich auf Unwägbarkeiten, Strategien oder Tätigkeiten des Lebens beziehen", so nochmals Wikipedia. Der Begriff verbreitete sich schnell im Internet und wurde 2005 von der American Dialect Society zum zweitnützlichsten Wort des Jahres gekürt (nach Podcast) und fand Eingang in das Oxford Dictionary. In der Folge entwickelte sich eine wahre Flut von Publikationen in Zeitschriften, Büchern und nicht zuletzt auch im Web. Abertausende von kreativen Minilösungen tummeln sich in Sammlungen und auf Websites. Wie man Handy-Kopfhörer aufrollt, ohne Kabelsalat zu produzieren, wie man Foldback-Klammern zu Kabelführungen umfunktioniert oder Knoblauchzehen schält, ohne ewig an der feinen Schale herumzufummeln. Und, und, und.

Hacking Work

Und weil die Arbeit im Leben immer wichtiger wird, war es vom Lifehack zum Work Hack nicht weit. Wer den Begriff letztlich erfunden hat, lässt sich wohl nicht mehr klären. Die erste größere Publikation, die die beiden Begriffe „Work" und „Hack" zusammenführt, ist das Buch Hacking Work von Bill Jensen und Josh Klein, erschienen 2010 bei Penguin. Für Jensen und Klein ist „Hacking Work" ein Weg, um die Effizienz von und die Zufriedenheit mit Arbeit zu steigern. „Hacking is a powerful solution to every stupid procedure, tool, rule, and process we are forced to endure at the office." Die Top-Performer von heute nehmen die Dinge selbst in die Hand, schreiben Jensen und Klein. Ihre Mittel: „bypassing sacred structures, using forbidden tools, and ignoring silly corporate edicts". Dabei sei Hacking Work keine neue Idee: „Agriculture was most likely a work hack": Anstatt Getreide von weither zu holen, kam irgendwann irgendjemand auf die Idee, es in unmittelbarer Nähe der Siedlung anzubauen, wie die Autoren einen der grundlegenden Umbrüche in der Menschheitsgeschichte etwas simplifizierend erklären. Aber anschaulich. Für Jensen und Klein ist Hacken der Kern von Innovation schlechthin: „The history of hacking is the history of innovation."

Zur Ideengeschichte von Work Hack gehört auch der Entrepreneur Jason Shah, der - allerdings ohne den Begriff selbst zu nennen - in einem Aufsatz vier wissenschaftlich fundierte „Simple Life Hacks For Enjoying Work Every Day" vorstellt: Hack 1: „Try something new every day." - Hack 2: „Stay fit, active and healthy." - Hack 3: „Allocate your time wisely." - Und Hack 4: „Don’t waste time in meetings." Allgemeine, praktische - ja fast banal einfache - Leitsätze also, die die persönliche Produktivität wie die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit verbessern sollen. Simple Rules, die helfen sollen, die Komplexität des Arbeitsalltags zu meistern.

In diese Richtung zielt auch der Ansatz von Julia Roy, Entrepreneurin und Futuristin, die sich als Co-Founder des Begriffs Work Hack bezeichnet und die englische Website workhacks.com hält. Sie will neurowissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um die Art und Weise, wie wir arbeiten, zu verändern: „I want to transform the way we work." Sie arbeitet als Personal Trainer für Productivity, tritt als Speakerin auf und publiziert Productivity Guides als E-Books. Produktivität als Ziel - damit sind diese Work Hacks nah an den Lifehacks, die stets auf eine effiziente Lösung abzielen.

Work Hacks im agilen Kontext

Im Unterschied dazu ist die Auslegung des Begriffs in Deutschland weniger auf persönliche Produktivität und Arbeitszufriedenheit gerichtet, sondern klar auf die Verbesserung von Zusammenarbeit vor allem im agilen organisationalen Kontext. Die deutsche Website hat sich die Berliner Organisationsentwicklerin und Co-Autorin des Buches Management Y Lydia Schültken gesichert. Das erste Buch stammt dennoch nicht von ihr. Schneller war das Düsseldorfer Telefonieunternehmen sipgate, das schon 2016 das Buch 24 Work Hacks auf den Markt brachte.

2010 schon hat sipgate angefangen, agil nach Scrum zu arbeiten, und wenig später Lean für sich entdeckt. „Das Buch zeigt, was wir dabei gelernt haben." Eine Erklärung, was Work Hacks denn sein sollen, findet sich im Buch indes nicht. Es geht einfach los. Und die Work Hacks selbst sind so unterschiedlich, dass sich eine Definition oder auch nur ein gemeinsamer Begriff nicht unmittelbar erschließt. Lean, Agile, Scrum und Kanban sind ebenso als Work Hacks angeführt wie crossfunktionale Teams, Stand-up-Meetings, Pairing, Peer Recruiting, Peer Feedback, die Retrospektive aus der Scrum-Methodik oder originelle Sachen wie „Alles vollkleben", „Selbermachen" oder „Eigenes Restaurant" - gemeint ist natürlich das bei sipgate. Wer hier ein wenig stutzt, findet sich beim letzten Hack bestätigt: „Kommt vorbei" ist eine Einladung, das Unternehmen bei einer Abendveranstaltung oder einer Einladung zum Essen näher kennenzulernen. Hier scheint auch der eigentliche Zweck des Buches zu liegen: Es ist eine zweifellos attraktive Selbstdarstellung des Unternehmens im Sinne von Employer Branding. Vor ein paar Jahren hätte man so etwas wahrscheinlich als Unternehmensbroschüre noch kostenlos verteilt. Heute verlangt das Unternehmen immerhin fast 25 Euro dafür. Employer Branding mit Selbstbeteiligung.

Sicherlich ist das ein angemessener Preis für ein Buch dieser Aufmachung, aber eben nicht für eine Unternehmenswerbung. So eindeutig, wie diese Wertung klingt, ist es nun aber auch wieder nicht. Denn ein Nutzwert ist dem Buch keinesfalls abzusprechen. Die Texte (von Tim Moos und Corinna Baldauf) sind prägnant und gut geschrieben, die Fotos von Oliver Tjaden ansprechend und sehr gelungen. Gleiches gilt für die Gestaltung. Insgesamt bietet das Buch eine anschauliche und inspirierende Darstellung, wie ein Unternehmen komplett anders organisiert werden kann. Und wer nach Work Hacks sucht, um seine eigene Arbeit oder Zusammenarbeit zu hacken, wird in dem Buch zweifellos fündig. Die Work Hacks sind gut beschrieben und dem Anschein nach leicht nachzuvollziehen. Drei Beispiele.

Alles vollkleben, das meint die Praxis, das, was in Meetings gedacht erarbeitet und priorisiert wird, mit bunten Stickies an den Wänden der Teamräume und Flure zu veranschaulichen. Ziel ist, „dass jeder ganz einfach sehen kann, woran wir gerade arbeiten und was uns beschäftigt".

Pairing ist eine Praxis aus Extreme Programming. Dabei teilen sich zwei Entwickler einen Rechner, der eine tippt, der andere hält den Überblick, und die Partner wechseln die Rollen regelmäßig und häufig. Bei sipgate eine allgemeine Praxis: „Wir pairen übrigens nicht nur beim Programmieren, sondern auch bei vielen anderen Aufgaben und über Rollen hinweg."

Selbermachen macht nicht nur unabhängig von externen Anbietern, sondern ist auch die Voraussetzung dafür, kreative, eigene Lösungen zu entwickeln. Bei sipgate gilt die Selbermachmentalität selbstredend auch für die Entwicklung der eigenen Organisation.

Das Buch bietet eine Fülle solcher Anregungen.

Veränderungsdesign für die Organisationsentwicklung

Im Herbst 2017 kam nun das Buch workhacks (klein und zusammengeschrieben) auf den Markt, das Lydia Schültken zusammen mit einem Autorenteam verfasst hat. Er stellt in Form von sechs Kurzgeschichten aus der Arbeitswelt sechs workhacks vor und gibt so Einblick in deren Funktionsweise, verbunden mit der Aufforderung, selbst welche zu erfinden: „ebenso minimalinvasiv, praxisnah und mit großer Hebelwirkung" sollen sie sein wie die im Buch vorgestellten. Diese sind: Workhack Fokuszeit: Zeitinseln für konzentriertes Arbeiten. - Workhack Slack Time: Wie freie Zeit zu Innovationen führt. - Workhack Timeboxing: durch Zeitbegrenzung zu mehr Produktivität. - Workhack Stärkenfokus: Stärken gezielt nutzen. - Workhack Retrospektive: Eine Kultur der Offenheit fördern. - Und schließlich der workhack Y-Talk: das Warum-Experiment.

Anders als beim Kraut-und-Rüben-Ansatz von sipgate, wo wie gesagt so unterschiedliche Ansätze wie Scrum und Post-its unter dem Begriff Work Hack laufen, präsentieren Schültken und ihre Co-Autoren workhacks als Veränderungsdesign für die Organisationsentwicklung. Dies basiert auf der Erfahrung, „dass die Veränderung von sowohl großen als auch kleinen Unternehmen im Ganzen nicht planbar ist". Dieses Veränderungsdesign basiert auf vier Prinzipien: Erstens verändern workhacks Arbeitsabläufe und durchbrechen eingefahrene Routinen. Zweitens werden workhacks nicht von oben angeordnet, sondern jedes Team entscheidet für sich selbst. Drittens werden workhacks „als Experimente eingeführt und konsequent wieder abgeschafft, wenn sie nicht hilfreich sind". Und viertens können workhacks schnell eingeführt werden, ohne langwierige Entscheidungen und tiefschürfende Analysen. Ganz entscheidend ist der Unterschied zum klassischen Change, den Lydia Schültken im Interview anspricht: „Veränderung kann man nicht kognitiv vermitteln, Veränderung muss man spüren."

Ein Ausblick: Culture Hacking

Damit ordnen sich Work Hacks ein in ein breiteres Konzept des kulturellen Wandels in Organisationen. Auch das lässt sich als eine Form des Hackens begreifen: als Culture Hacking. So definiert der amerikanische Teamarbeiter und Teamentwickler Adam Feuer (in Anlehnung an den Buchautor und Keynote Speaker Jim McCarthy): „Culture Hacking is the systematic design and implementation of team practices, commitments, and viewpoints that yield desired results."

Diesen Beitrag veröffentlichen wir in enger Kooperation mit der Online-Plattform changeX. Finden Sie hier den kompletten Beitrag auf changeX.


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Bildquelle: © Coverabbildungen: Verlage Penguin, sipgate und Haufe

Autor: Winfried Kretschmer (Gastautor)

Veröffentlicht am: 15.02.2018


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