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Destinationen, Themensammlung - Inszenierung/Konzeption

France Meeting Hub-Premiere lässt die Teilnehmer ratlos zurück

Sind die Franzosen ein Volk der Lippenbekenntnisse? - Sicher nicht. Denn keinem anderen Land in Europa gelingt es, durch politisch angestoßene Infrastrukturprogramme in Kultur und Tourismus eine derartige Vielzahl und Vielfalt an innovativen und wegweisenden Vorbildprojekten ins Leben zu rufen. Bestes Beispiel dafür ist aktuell Marseille: Als europäische Kulturhauptstadt 2013 gebührt ihr die Ehre, Gastgeber des neuen Formates "France Meeting Hub" zu sein, einem neuerlichen Versuch eines frankreichübergreifenden MICE-Events zur Vermarktung dieser tollen Destination. Mein zweiter Besuch nach 2008 zeigt erstaunliche Veränderungen im Stadtbild. In Folge umfassender Stadtumbaumaßnahmen wurden neue Freiräume geschaffen, die zugunsten der Aufenthaltsqualität im städtischen Raum und damit unmittelbar auf das Konto verbesserter Infrastruktur für Veranstaltungen einzahlen. Die ambitionierte Premiere des France Meeting Hubs in Marseille verspricht im Programm eine spannend-kurzweilige Konferenz voller Interaktion und Einbindung der aus der ganzen Welt angereisten Meeting Professionals. Das Konzept scheitert jedoch schon am Grundsetting des Formates und der Inhalte.

Meeting Design aus vergangenen Zeiten

Nach Betreten des eindrucksvoll gelegenen Palais du Pharo macht sich direkt Ernüchterung breit. Der Konferenzraum ist in klassischer Reihenbestuhung aufgebaut, ein klassisches Podium lässt nichts Gutes erahnen. Die Ausgabe von Kopfhörern für die Übersetzung der Beiträge vom Französischen ins Englische (ja, die Veranstaltung wird vor immerhin 130 internationalen Hosted Buyers in französischer Sprache durchgezogen), tut ihr Übriges. Was folgt ist ein klassisches Schulterklopfen verschiedener Lobbyisten, deren Themen - politisch motiviert und inhaltsschwer - für die eingeladene Zielgruppe jegliches Interesse vermissen lassen. In nicht endenwollenden Podiumsdiskussionen und Keynote-Vorträgen werden vor allem die Erfolge der französischen Kulturhauptstadtbewerbungen inklusive ihrer Erfahrungswerte zum Besten gegeben. Zu guter Letzt wird die erstaunliche Erkenntnis zur zentralen Aussage auf den Thron gehoben, dass die Kultur eines Landes auf den Tourismus einzahlt. Dafür muss man nicht nach Marseille reisen.

Wo ist die Interaktion?

Es bleibt eine ernüchternde Erkenntnis, dass es den Franzosen noch viel weniger als den Deutschen gelingt, den Mut für zeitgemäße Veranstaltungsformate aufzubringen. So wird Interaktion aus Sicht des Veranstalters dadurch erreicht, dass man einen Twitteraccount mit entsprechendem Hashtag installiert hat, der die passiven Zuhörer zu Kommentaren und Fragen animieren soll. So laufen auf der Twitterwall bemühte und schmeichelnde Komplimente für die durchaus ausgezeichnete Wahl der Location und den schönen Blick auf die Stadt. Eine inhaltliche Anteilnahme bleibt schon alleine deswegen auf der Strecke, weil man zu den glattgezogenen Lobbybeiträgen schlichtweg nichts zu sagen hat. Taucht neben den Allgemeinplätzen tatsächlich einmal eine mehr oder weniger interessante Frage auf, wird diese weder von der viel zu harmlosen und nicht ansatzweise investigativen Moderatorin, geschweige denn von den Podiumsteilnehmern aufgegriffen. Als Höhepunkt der Interaktion wird dann zu guter Letzt dazu aufgerufen, durch eine SMS-Abstimmung (ins französische Netz; wofür wurde eigentlich das WLAN installiert?) von den Hosted Buyers zu erfahren, mit welchem Wort man den Austragungsort Marseille charakterisieren möchte. Das überraschende Ergebnis einer "Tagcloud" fördert Begriffe wie "Amazing" und "Exciting" zu Tage. Oumpf.

Technikkatastrophe bei den Präsentationen der Destinationen

Nicht zum ersten Mal bleibt es ein Geheimnis verschiedenster MICE-Veranstalter, warum gerade in einer der Kerndisziplinen des Veranstaltungsmanagements regelmäßiges Versagen an der Tagesordnung ist: Selten habe ich ein derart hilfloses und chaotisches Damentrio mit PowerPoint-Präsentationen und Videoeinspielern hantieren sehen wie bei dieser Gelegenheit. Dabei hatte man von Atout France aus richtig viel Budget für die Veranstaltung in die Hand genommen. Dies konnte man etwa an durchdachten einheitlichen Meetingkojen für die Aussteller der folgenden Workshops (oder besser Sales-Termine?) ablesen. Doch wie so oft wurde an einer Bild- und Tonregie gespart. Bei einzelnen Einspielern im Plenum führte das so weit, dass der Dolmetscher die Segel strich, weil er schlichtweg das Tonsignal des Videos nicht auf dem Ohr hatte - und in Folge dessen auch nicht übersetzen konnte.

Ein weiterer Fallstrick sind die stets gut gemeinten und ehrenhaft gesponsorten Leistungen der gastgebenden Supplier: So wird etwa beim ersten Empfang am Abend deutlich, woran Veranstaltungen dieser Art immer wieder scheitern: Weil eine Dramaturgie und Meetingarchitektur völlig fehlen und jegliche Chance der Inspiration und Emotion vertan wird. Weil man an diesem lauschigen Abend in Marseille die Teilnehmer in einen gesichtslosen klimatisierten Tagungsraum des nagelneuen und beeindruckenden InterContinental steckt, statt eine der unzähligen Terrassen mit Hafenblick und Wow-Effekt zu bespielen.

Organisationschaos oder gelebte Servicementalität?

Wirkliche Zweifel am guten Willen des Veranstalters kommen dann zu Beginn der anschließenden Post-Touren auf, als beim an sich gut vorbereiteten Kofferverteilen auf die verschiedenen Busse ein heilloses Chaos ausbricht. Der Eindruck, dass der Südeuropäer eine andere Servicementalität als unsereins an den Tag legt, erhält letztlich seine Hybris, als bei der Betreuung der anschließenden Post-Tour die örtliche DMC mit absoluten Basics heillos überfordert ist: Nicht klimatisierte Busse, fehlende Getränke im Bus, zu keiner Zeit eingehaltene - und kommunizierte - Zeitpläne, verlorengegangene Teilnehmer bei einer Fahrradtour, viel zu lange Programmpunkte... Wirklich ärgerlich wird es, wenn eine Destination dann ihr größtes Kapital nicht ausspielt: Wie keine andere Destination steht Frankreich für herausragende Kulinarik! Wenn man sich nach mehreren Stehimbissempfängen und Hauswein-Beleidigungen wieder auf den Kühlschrank zu Hause freut, dann ist leider ganz gründlich etwas schief gelaufen.

Was für ein großes Potenzial!

Die Veranstaltung blüht in den Momenten auf, wo man die französische Kultur und das "Savoir-vivre" erlebbar macht. In einer kurzweiligen, sicher schon tausendmal erlebten Stadtrallye bekommen die Teilnehmer Lust auf mehr: So etwa bei einem Besuch des Marktes in Apt, einem Mittagessen auf einer traditionellen Farm mit Verkostung lokaler Produkte und nicht zuletzt beim Besuch des absolut überwältigenden Weingutes Château La Coste vor den Toren Marseilles. Das Highlight mit architektonischen Perlen von Frank O. Gehri bis Jean Nouvel und - hört hört - ein hervorragender Wein versöhnen die Teilnehmer am Ende des Trips.

Verkostung lokaler Produkte

So überwiegt am Ende das Gute

Wenn man schließlich seinen Ärger über die schlechte Organisation runtergeschluckt hat, bleibt dennoch eine entscheidende Erkenntnis: Marseille ist eine hochattraktive MICE-Destination! Mit ihren vielfältigen Angeboten und einer zeitnah zu erreichenden Peripherie mit all den Highlights der Provence (Arles, Aix-en-Provence, Avignon und Nîmes liegen quasi um die Ecke) kann die Region den Wettbewerbern im Destinationsmarketing wie Barcelona und Lissabon locker den Rang ablaufen. Zumal den meisten Incentivegästen die eben genannten Klassiker schon aus den Ohren heraushängen.

Was bleibt?

... ist der gutgemeinte Rat, sich für die bereits angekündigte Neuauflage des France Meeting Hubs in 2014 professionelle externe Hilfe hinzuzuziehen, um aus der Destination Frankreich das herauszuholen, was in ihr steckt!


Bildquelle: MICE Club

Autor: Dominik Deubner

Veröffentlicht am: 24.10.2013


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